Patienten sterben früher als nötig: Lauterbach legt umstrittene Krankenhausstudie vor

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Lauterbach legt umstrittene Krankenhausstudie vor - Opposition spricht von "Auftragsarbeit"
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht wegen seiner geplanten Krankenhausreform in der Kritik.
Lauterbach legt umstrittene Krankenhausstudie vor - Opposition spricht von "Auftragsarbeit"
Bernd Wüstneck/dpa

Das Gesundheitsministerium um Minister Karl Lauterbach (SPD) plant eine Krankenhausreform. Diese ist allerdings nicht ganz unumstritten. Besonders eine Studie, die die Pläne stützt, wird heftig kritisiert.

  • Karl Lauterbach (SPD): Studie stützt geplante Krankenhausreform
  • Reform: Das ist vom Gesundheitsministerium geplant
  • Kritik: Ates Gürpinar (Die Linke) wirft "Auftragsarbeit" vor

In deutschen Krankenhäusern könnten jedes Jahr tausende Todesfälle wegen Schlaganfällen und Krebs könnten laut einer Analyse vermieden werden, wenn die komplexen Behandlungen dafür nur in spezialisierten Kliniken gemacht werden. Eine Konzentration mit Mindestvoraussetzungen bei der Qualität biete "erhebliche Potenziale" für bessere Ergebnisse, heißt es in einem am Donnerstag (22. Juni 2023) vorgelegten Bericht einer Regierungskommission, die das Bundesgesundheitsministerium berät. Wegen der hohen Krankenhausdichte seien auch "keine wesentlichen Einschränkungen" der Erreichbarkeit in Kauf zu nehmen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warb für eine Reform, die auf mehr Spezialisierung zielt. Von den Kliniken kam Kritik.

Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) trifft mit Plänen zu Krankenhausreform auf heftige Kritik

"Qualität rettet Leben", sagte Lauterbach in Berlin. Die Ergebnisse der Analyse bestätigten damit den Kern der vorgesehenen Krankenhausreform. "Wir brauchen eine gute und schnell erreichbare Grundversorgung. Aber nicht jedes Haus muss auch jede medizinische Behandlung anbieten." Komplizierte Eingriffe sollten ausschließlich in spezialisierten Kliniken durch sehr gut qualifizierte Mediziner vorgenommen werden. Im Gegenzug müssten die Kliniken gut bezahlt werden. Die Reform könne so zehntausende Leben pro Jahr retten, besonders bei der Versorgung von Krebs- und Herz-Kreislauf-Patienten.

Konkret gebe es das Potenzial, bei elf untersuchten Krebsarten jährlich mehr als 20.000 Lebensjahre zu retten, wenn alle Patient*innen in zertifizierten Krebszentren behandelt würden, heißt es in dem Kommissionsbericht. Bisher würden je nach Krebsart zwischen 35 und 84 Prozent der Patient*innen in Zentren mit besonders viel Erfahrung behandelt. Wären nur noch diese zur Krebsbehandlung zugelassen, würde bei Darm-, Brust- und Prostatakrebs die mittlere Erreichbarkeit unter oder um 20 Minuten liegen. Das wäre "unverändert exzellent" im Vergleich zu europäischen Nachbarländern, heißt es in der Analyse, über die zunächst die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete.

Bei Schlaganfällen besteht demnach das Potenzial, dass jährlich knapp 5000 Menschen mehr im ersten Jahr nach einem Schlaganfall überleben können - wenn alle Patienten in Kliniken mit Spezialabteilungen für eine schnelle Versorgung ("Stroke Unit") kämen. Abgeschätzt wurden auch die wahrscheinlichen Erfolgsaussichten beim Einsatz künstlicher Gelenke. Würden nur Spezialkliniken Hüften ersetzen, könnten demnach pro Jahr 397 erneute Operationen unnötig werden. Die Berechnungen beruhen den Angaben zufolge auf Daten der gesetzlichen Krankenkassen, Qualitätsberichten der Krankenhäuser, medizinischen Registern und Fachgesellschaften. Auch Analysen der Kassen zeigten schon Vorteile von Spezialisierungen.

Deutsche Krankenhausgesellschaft: Vorgehen in der Studie "völlig absurd"

Der Leiter der Expertenkommission, Tom Bschor, erläuterte, dass im jetzigen System Patient*innen mit Schlaganfall und Krebs "früher sterben als nötig, weil zu viele Krankenhäuser diese Behandlungen durchführen". Deutschland habe mit seiner "einzigartig hohe Dichte an Krankenhäusern" ideale Voraussetzungen, auch mit einer Konzentration auf erfahrene Kliniken engmaschig exzellente Versorgung anzubieten.

Lauterbach strebt über den Sommer konkretere Vorschläge für die Reform an. Die auch auf Empfehlungen der Kommission zurückgehenden Gesetzespläne sehen bundeseinheitliche Qualitätskriterien und genauer definierte Leistungsbereiche der Krankenhäuser mit entsprechender Finanzierung vor. Zudem soll das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden, um den Finanzdruck zu verringern.

An den Reformplänen wird aber auch heftige Kritik geäußert. Besonders aus den Bundesländern kommt Widerstand, wie der Bayerische Rundfunk (BR) berichtet. Sie befürchten die Schließung von kleinen Krankenhäusern. Lauterbach bezeichnete die Furcht vor Kliniksterben zuletzt als "Falschmeldung", die nicht stimme. 

Opposition wirft Gesundheitsministerium "offensichtliche Auftragsarbeit" vor

Zweifel an der Qualität der nun vorgelegten Studie äußerte auch der Münchner Krankenhausexperte der Linksfraktion, Ates Gürpinar. "Die heute vorgelegte Potenzialanalyse der Regierungskommission Krankenhäuser ist eine offensichtliche Auftragsarbeit, die den Zweck verfolgt, dem Bundesgesundheitsminister in seinem Kampf mit den Ländern um die Krankenhausreform den Rücken zu stärken", zitiert ihn der BRAuch die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisierte die Berechnungen scharf. Die "bestellte" und "wissenschaftlich zweifelhafte" Analyse auf Basis von Kassen-Abrechnungsdaten verunsichere die Bevölkerung. Bei älteren Patient*innen würden Schlaganfälle oft nicht früh als solche erkannt. Leider hätten gerade diese Patient*innen dann eine schlechtere Prognose und eine höhere Sterblichkeit. Daraus einen Zusammenhang zur Behandlungsqualität der Krankenhäuser zu ziehen, sei "völlig absurd".

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Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nannte die Studie einseitig. Er fürchte, dass sie als Vorwand genutzt werde, kleinere Krankenhäuser über einen Kamm zu scheren, um sie im Leistungsspektrum zu beschneiden oder zur Schließung zu veranlassen. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, hinter der Statistik versteckten sich viele Einzelschicksale. Die Zahlen ließen Menschen zweifeln, ob Ort und Behandlung für den Verlauf einer Krankheit und einer Lebenskrise ursächlich gewesen seien. Es müsse schon heute gesichert sein, dass leitliniengerecht behandelt werde.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen erklärte: "Schlechte Gelegenheitsversorgung hilft niemandem, sondern kann das Leben kranker Menschen noch gefährden." Daher seien bundesweite Qualitätsvorgaben der richtige Weg, um mehr spezialisierte Kliniken in die Versorgung zu bekommen. Der Sozialverband VdK teilte mit, für Notfälle, Geburten und einfache Operationen müsse es weiter ein schnell erreichbares Krankenhaus geben. Für planbare und komplizierte Eingriffe sei ein spezialisiertes Krankenhaus aber besser. "Die nächstgelegene Klinik sollte dann nur die zweite Wahl sein."

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