Doch kein "Sumpf des Irrsinns"? Lauterbach lenkt ein im Streit um Krankenhausreform

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Lauterbach plant eine große Krankenhaus-Reform. Fachkräften wie Hebammen könnte dadurch künftig reihenweise entlassen werden. Deswegen soll jetzt nachgebessert werden.
Karl Lauterbach
Michael Kappeler/dpa/Archivbild

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die größte Krankenhausreform der letzten 20 Jahre geplant - aber offenbar ohne Hebammen. Nach viel Kritik geht der SPD-Politiker jetzt doch auf die Forderungen ein.

Eine Mindestzahl an Pflegepersonal, mehr ambulante Behandlung und offenbar ein kleineres Budget: Die geplante Krankenhausreform für Deutschland kommt nicht bei allen gut an. Auch die Hebammen kritisierten Lauterbachs Plan deutlich, denn ihre Zukunft war demzufolge ungewiss.

Der Bundesgesundheitsminister hat sich nun der Kritik angenommen. Wie geht es für die Hebammen weiter?

Update vom 09.11.2022: Lauterbach lenkt ein - Hebammen sollen weiter finanziert werden

Die viel kritisierte Krankenhausreform wird offenbar nochmal geändert - zumindest in einem Punkt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Forderungen der Hebammen nachkommen, teilte er am Mittwoch (9. November 2022) mit. Zuvor hatte es Streit um die Finanzierung der Hebammen und Entbindungspfleger in den Kliniken gegeben.

Wie der Minister der "Rheinischen Post" sagte, sollen Hebammen auch künftig im sogenannten Pflegebudget bleiben. "Geburtshilfe und Kinderheilkunde dürfen nicht dem Spardiktat des alten Krankenhaussystems unterworfen sein", so Lauterbach. Im geplanten Gesetz war das bislang aber nicht im Detail geklärt. Hebammen hatten daraufhin in den sozialen Medien darauf aufmerksam gemacht und eine Petition gestartet. Der Deutsche Hebammenverband sprach davon, dass die Pläne "katastrophale Auswirkungen auf die klinische Geburtshilfe" hätten.

Auch aus der FDP wurde Unmut laut. In einem Positionierungspapier schrieb die pflegepolitische Sprecherin der Fraktion, Nicole Westig, laut "Bild": "Damit werden keine Anreize gesetzt, Hebammen verstärkt in die stationäre Betreuung zu bringen." Das Gesundheitsministerium solle "Maßnahmen ergreifen, die die Zahl der Hebammen auf den entsprechenden Stationen steigert und nicht reduziert".

Ursprüngliche Meldung vom 07.11.2022: Streit um Lauterbachs Krankenhausreform

Es gehe um die größte Krankenhausreform der letzten 20 Jahre: So kündigte Karl Lauterbach (SPD) im ZDF seine geplanten Neuerungen für die Branche in Deutschland an. "Modern" und "bedarfsgerecht" soll die Gesundheitsversorgung dadurch werden - Kritiker zweifeln daran jedoch stark.

In den sozialen Medien wird derzeit vor allem die Finanzierung des Pflegepersonals heiß diskutiert. Das Gesetz sieht vor, dass ab 2025 nur noch Pflegekräfte, die bei der "unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt werden", im Budget berücksichtigt werden. In den Kliniken arbeiten aber auch zahlreiche weitere Fachkräfte wie Physiotherapeuten, Logopäden oder Hebammen - die nach der Gesetzesreform anderweitig finanziert werden müssten.

Betroffene fürchten die Entlassung, die Qualität der Gesundheitsversorgung würde damit schlechter werden. Besonders hart treffe es die Geburtshilfe, heißt es in einer Petition, die Hebammen ins Leben gerufen haben. "Auf den Wochenbettstationen werden Hebammen gekündigt werden, da diese Stellen nicht mehr refinanziert werden", schreibt die Initiatorin, Michelle Franco. "Stattdessen werden reguläre Pflegekräfte eingesetzt, die nicht für Betreuung von Schwangeren und Neugeborenen ausgebildet sind." Die Versorgungsqualität würde massiv darunter leiden.

"Geht's noch?": Hebammen stellen sich gegen geplante Krankenhaus-Reform

Außerdem würde somit das Klinik-Personal nicht entlastet werden, was Lauterbach eigentlich mit dem neuen Gesetz erreichen wollte. Stattdessen werde der Fachkräftemangel verschärft. "Nun soll das bereits überlastete, durch die Pandemie gebeutelte Pflegepersonal die Mammutaufgabe der Betreuung der Wochenbettstationen ohne jegliche Zusatzqualifikation übernehmen?", so Franco. 

Hebammen sind bereits jetzt dünn gesät in Deutschland. Nach der Reform könnten es noch weniger geben, denn auch die Ausbildung würde darunter leiden. Auszubildende müssen einen Teil ihrer Praxiseinsätze auf der Wochenbettstation absolvieren, wo sie von einer Hebamme angeleitet werden - wird die Stelle aber abgebaut, müsste das jemand anderes übernehmen. Der Ausbildungsverordnung nach ist das aber gar nicht erlaubt. Aus all diesen Gründen fordern die Hebammen, dass sie wieder als notwendiges medizinisches Personal mit ins Budget eingeschlossen werden. Die Petition haben inzwischen schon knapp 780.000 Menschen unterschrieben.

Viele Hebammen haben sich in den sozialen Medien ebenfalls dafür ausgesprochen, dass das Gesetz nochmal überarbeitet wird. Auch der Gynäkologe Konstantin Wagner teilte auf Instagram seine Empörung sowie die Petition mit seinen mehr als 250.000 Followern. Das Gesetz zeige, weder Hebammen, noch Schwangere oder Kinder haben eine Lobby. "Wer daran noch Zweifel hatte, darf sich gerne mal die neuen Überlegungen des Gesundheitsministeriums anschauen", schreibt Wagner in seinem Post mit dem Titel "Geht's noch, Herr Lauterbach?".

Großer Kritikpunkt: Pflegepersonal wird durch neues Gesetz nicht entlastet

Der Facharzt macht außerdem deutlich, dass anderes medizinisches Fachpersonal von den Kliniken aus eigener Tasche bezahlt wird, werde nicht passieren. "Statt das Pflegefachpersonal zu entlasten (was seit Jahren! indiskutabel behandelt wird), wird dieses zukünftig nun zusätzlich die Aufgaben der Hebammen übernehmen. Klasse Idee", so Wagner. Mit in den "Sumpf des Irrsinns" würden dann Schwangeren, Mütter und Neugeborenen gezogen. "Denn bei allem Respekt vor den Kenntnissen des Pflegefachpersonals: ausgebildet in der Beurteilung von Uterusstand, Entwicklung von Neugeborenen, Stillberatung und Co. sind sicher Wenige. Was ist uns die Gesundheit von beginnendem Leben wert?", fragt der Gynäkologe.

Auch Intensivpfleger Ricardo Lange, der in der Corona-Pandemie mit seinen emotionalen Appellen an die Regierung bekannt wurde, unterstützt die Kritik am neuen Gesetz. "Ihr habt meine volle Solidarität. Wer hier spart, hat sie nicht mehr alle!", kommentierte unter Wagners Beitrag. Eine weitere Nutzerin, die angibt Krankenpflegerin zu sein, schreibt: "Ich weiß jetzt schon, dass ich [...] völlig überfordert wäre mit den Aufgaben einer Hebamme/Entbindungspflegers. Bei aller Liebe, wir haben vieles in unserer Ausbildung gelernt, aber nicht deren Tätigkeit."

"Da merkt man mal wieder, dass da Leute über Dinge entscheiden, wovon sie anscheinend nicht mal den Hauch einer Ahnung haben!", kommentiert eine andere Frau. Andere bezeugen, wie wichtig Hebammen für werdende Mütter sind. "Ich bin vor 8 Wochen zum ersten Mal Mama geworden und ich bin so unendlich dankbar für die Hebammen, die mich im Kreißsaal und zuhause begleitet haben", schreibt eine Nutzerin. Ohne Hebammen wären wir "absolut aufgeschmissen", die Reformpläne seien ein "Armutszeugnis für unsere Politiker".

"Armutszeugnis": Geburtshilfe von der Politik vernachlässigt?

Lauterbach hat die Geburtshilfe in Krankenhäusern aber scheinbar nicht komplett vergessen. Zeitungen der Funke-Mediengruppe berichteten, dass hierfür in den kommenden zwei Jahren 240 Millionen Euro fließen sollen. Das hat das Gesundheitsministerium am Samstag (5. November 2022) auf dpa-Anfrage bestätigt. Mit dem Geld sollen die Kliniken jenseits des Systems der Fallpauschalen unterstützt werden.

Die Millionen werden zunächst auf die Bundesländer verteilt. Die Länder sollen dann selbst entscheiden, welche Kliniken von den zusätzlichen Bundesmitteln profitieren. Basis der Pläne ist ein Änderungsantrag für das sogenannte Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, das sich derzeit noch im parlamentarischen Verfahren befindet. Eine Ministeriumssprecherin betonte, dass es noch zu Änderungen kommen könne. Der Plan muss also noch beschlossen werden. Somit besteht auch noch die Chance, dass die umstrittene Änderung zur Finanzierung des Personals überarbeitet wird.

Ziel der Gesetzesänderungen, die das Ministerium anstrebe, sei es, die medizinische Versorgung in Krankenhäusern wieder stärker an den Bedürfnissen der Patienten zu orientieren, erklärte die Sprecherin. Bereits nach der ersten Ankündigung gab es dafür Kritik. So kritisierten die Kliniken und Krankenkassen die geplante Mindestbesetzung von Stationen - wer zu wenig Personal hat, dem drohen Strafen. Wie der Verband der Universitätsklinika anmerkte, werde so aber kein zusätzliches Personal gewonnen, sondern nur der Fachkräftemangel dokumentiert.

Diesen Mangel stellte Lauterbach kürzlich gänzlich infrage. Das Problem sei nicht, dass es zu wenig Pflegekräfte in Deutschland gebe, sie würden nur "sehr wenig effizient" eingesetzt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) widerspricht dem. "Es gibt nach wie vor zu wenig Pflegekräfte. Mit rund 30.000 unbesetzten Stellen in der Krankenpflege zählen wir sogar 10.000 mehr als im Vorjahr", so die stellvertretende Vorsitzende, Henriette Neumeyer im Gespräch mit Focus Online.

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mit/mit dpa