Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Europas größte Volkswirtschaft dürfte in diesem Jahr - anders als erhofft - allenfalls minimal wachsen. Doch es ist nicht alles düster.
«Kranker Mann Europas», «dramatisch schlecht»: Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Zum Jahresende schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zum Vorquartal um 0,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag bestätigte. Dennoch eilt der deutsche Leitindex Dax von Rekord zu Rekord, die Erwerbstätigkeit ist so hoch wie nie, und Japan verliert seinen Status als drittgrößte Volkswirtschaft an Deutschland. Wie passt das zusammen, und wie düster ist die Lage?
Die Bundesregierung erwartet nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung 2023 im laufenden Jahr nur noch ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. «Dramatisch schlecht» nannte das Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unlängst. «Wir kommen langsamer aus der Krise als gehofft.»
Die Industrie, die in Deutschland mit etwa 30 Prozent an der Bruttowertschöpfung ein vergleichsweise starkes Gewicht hat, leidet nicht nur unter den zeitweise massiv gestiegenen Energiepreisen, sondern auch unter schwacher Nachfrage, insbesondere aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr sanken die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe um 5,9 Prozent zum Vorjahr. Gestiegene Zinsen und hohe Kosten bremsen zudem den Bau aus. «In der Industrie und der Bauwirtschaft sind mittlerweile die dicken Auftragspolster abgeschmolzen, die die Unternehmen noch zu Coronazeiten aufgebaut hatten», erläuterte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser jüngst.
Gegenwind für deutsche Wirtschaft
«Die Jahre, in denen die deutsche Industrie Job- und Wachstumsmotor für die deutsche Wirtschaft war, sind vorerst vorbei», erwartet Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Vor allem der Energiepreisschock nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene anhaltende Unsicherheit bei den Energiepreisen wirkten weiter fort.
Zudem trifft die Schwäche des Welthandels die exportorientierte deutsche Wirtschaft: Der Wert der Ausfuhren von Waren «Made in Germany» sank im vergangenen Jahr. «Der Gegenwind für die deutsche Wirtschaft kommt neben den hohen Energiekosten vor allem von der schwachen globalen Nachfrage, insbesondere nach hochzyklischen Gütern wie Autos, Werkzeugmaschinen und Chemikalien», analysierten Volkswirte des Kreditversicherers Allianz Trade Deutschland.
Zahl der Erwerbstätigen auf höchstem Stand seit 1990
Dennoch zeigt sich der Arbeitsmarkt in Europas größter Volkswirtschaft bislang robust, auch wegen des Fachkräftemangels. Nach wie vor suchen viele Unternehmen händeringend Personal. Die Deutsche Bundesbank sieht derzeit keine Anzeichen, «dass sich die Lage am Arbeitsmarkt durch die schwache Konjunktur spürbar verschlechtern wird».
Die Zahl der erwerbstätigen Menschen erreichte nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr mit 45,9 Millionen den höchsten Jahresschnitt seit der Wiedervereinigung 1990. Neun von zehn der zusätzlichen Jobs entstanden dabei im Dienstleistungsbereich (+0,9 Prozent), während es im produzierenden Gewerbe (+0,3 Prozent) und im Baugewerbe (+0,6 Prozent) geringere Zuwächse gab.