So gelang es Gysi auch, die tapfere Frage des Moderators nach seinen Stasi-Verwicklungen elegant zu umgehen. Immerhin hat er sich mit juristischen Mitteln gegen derartige Vorwürfe erfolgreich zur Wehr gesetzt. Klar wurde auch, dass in dem oben angeführten Geflecht sauber zu agieren und dabei die Interessen seiner Mandanten wahrzunehmen kaum möglich war. Doch war dies das dritte, das Anwaltsleben. Die ersten beiden, Kindheit- und Jugend bzw. Studentenleben, schillerten vor allem in den genealogischen Wurzeln Gysis auf, die in den Bamberger Raum führen, genauer nach Mühlhausen im Kreis Erlangen-Höchstadt.
Tölpelhaftes Missverständnis
Auch der in der Reichspogromnacht ermordete Willy Lessing ist ein Verwandter Gregor Gysis - so wie die Nobelpreisträgerin Doris Lessing.
Er selbst, so Gysi, sei nach den Nürnberger (Rasse-)Gesetzen etwa zu einem Drittel Jude, nach jüdischem Recht gar keiner - nach der Wende, dem vierten Leben, wurde er auch antisemitisch beschimpft. Anekdotisch widmete er sich dieser Zeit.
Das Ende der DDR habe er schon zu Beginn des Jahres 1988 geahnt, die Grenzöffnung schließlich sei ein tölpelhaftes Missverständnis Günter Schabowskis gewesen. Helmut Kohl habe ihm und Hans Modrow gedankt, dass die Implosion des realen Sozialismus so gewaltlos verlaufen sei. So wie er nach anfänglicher eisiger Ablehnung auch von konservativen Bundestagskollegen akzeptiert worden sei: "Sie haben erkannt, dass ich keine Kinder fresse." Eine solche Charmeoffensive führte Gysi auch in Bamberg.
Zwar fiel der Name Karl Marx einmal, aber der 71-Jährige gab sich gewiss nicht als Klassenkämpfer, eher als Herz-Jesu-Sozialist. Einer, der ein Statement ins Publikum rief, das kaum Widerspruch erwarten ließ: "Das dritte Kind einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin sollte Beethovens Neunte mit einem Spitzendirigenten erleben dürfen."
Den Urgroßvater würdigte er als "Ursprungskapitalisten" im Gegensatz zum "Erbkapitalisten". Dabei weiß oder wusste er vermutlich, dass in Marx' Kritik der politischen Ökonomie individuelles Verhalten keine Rolle spielt. Immerhin mied er auf die Frage nach dem Erfolg der AfD moralisierendes Gejammere oder Beschimpfungen, sondern lieferte Eckpunkte einer politisch-ökonomischen Analyse, der spannendste Teil des Abends. Wendeerfahrungen mit Massenarbeitslosigkeit und dem verbreiteten Gefühl, Verlierer der Geschichte zu sein, machten Ostdeutsche in Sonderheit anfällig für Rechtspopulismus - eingebettet in eine weltweite Entwicklung. "Die Politik klärt nicht auf. Die Medien auch nicht."
Versagen der Linken
Jedoch mied Gysi, der laut Starke zur Selbstironie in hohem Maße fähig ist, die Selbstkritik. Setzt doch nach einem Wort Walter Benjamins jeder Erfolg der Rechten ein Versagen der Linken voraus.
Der Bamberger OB sprach auch das Ankerzentrum an. Geschickt argumentierte sein überaus eloquenter Gast im Sinne der Willkommenskultur, aber auch so, dass deren Kritiker nicht völlig überrumpelt wurden. Zu den Ursachen der Migration hatte er wenig Originelles und durchweg Konsensfähiges anzuführen. Auf den Einwand Starkes, dass die Oberfranken nicht überfordert werden dürften, meinte Gysi mit einem Hauch Resignation und deutlich berlinernd: "Is ebent allet nicht so leicht.