Der Bamberger "Bunbury" ist eine aufgekratzte Feier sexueller Vielfalt und Selbstbestimmung. Diese Lesart offenbart sich den Zuschauern schon in der Eröffnungsszene. Sie werden darin des entblößten Hinterns von Diener Lane (Paul Maximilian Pira) ansichtig, seiner rot geschminkten Lippen, den in Stöckelschuhen steckenden Füßen, dem lasziven Schwung seines Körpers. Neben ihm auf dem Boden liegt ein selig ermatteter Algernon Moncrieff (Daniel Seniuk) im nachlässig gebundenen Bademantel.
Moralisch verwahrlost
Später werden auch Algernon Moncrieff und Jack Worthing (Bertram Maxim Gärtner) leidenschaftlich übereinander herfallen.
Anders als in Wildes Original gilt das sexuelle Begehren der beiden einander - und nicht etwa den vor allem in sich selbst verliebten jungen Frauen (Carlotta Freyer und als Mann in einer Frauenrolle: Stefan Herrmann), die sie zu begehren nur vorspielen.
Sie tun dies wie Algeron aus kindlicher Lust am Spiel. Sie tun dies wie Jack, weil sie die Vorspiegelung heterosexuellen Begehrens den gesellschaftlichen Normen schuldig zu sein glauben. Schug überhöht seine beiden Hauptfiguren dabei keineswegs zu hehren Ikonen schwuler Emanzipation. Algernon bleibt wie in Wildes Original ein moralisch und intellektuell verwahrloster Luftikus. Ein ich-süchtiges Kind in den ausgesuchten Kleidern eines Dandys.
Mit unbedingtem Stilwillen formt er sein Leben zum Kunstwerk. Diesen Meister des Künstlichen spielt Daniel Seniuk mit bewundernswerter Natürlichkeit. Darin liegt in "Bunbury" die große Kunst des Bamberger Schauspielers.
Bertram Maxim Gärtner dringt in seiner Rolle als Jack Worthing der Ehrgeiz zum sozialen Aufstieg genauso aus jeder Pore seines Körpers wie das Unbehagen an seiner lügenhaften Existenz. Gärtner spielt gemäß seinen eigenen, am Bamberger Theater längst etablierten Maßstäben: heiser, verschwitzt, manisch.
Über den Schauspielern wacht auf einem Banner ein großes Porträt Oscar Wildes. Der irische Autor ist auf der Bamberger Bühne nicht nur als Schöpfer "Bunburys" von Bedeutung. Er ist es als schwuler Mann unter dem Rad einer Zeit, in der Männer nicht offen schwul leben konnten.
"Schwule Sau"
Als "Burnbury" im Jahr 1895 auf die Bühne kam, klopfte sich die im Stück der Doppelmoral überführte Upper Class vor Selbstbehagen auf die Schenkel.
Damals war Oscar Wilde ein bewunderter Hofnarr, wenig später wurde er zum Unberührbaren. Seine homosexuellen Liebschaften vernichteten den verheirateten Familienvater: Prozesse, Zuchthaus, Zwangsarbeit, gesellschaftliche Ächtung, Tod im Exil.
Mit Handschellen und in Sträflingskleidung setzen Polizisten Oscar Wilde sogar einmal bewusst dem Hass der pöbelnden Massen aus. Schug und Al Khalisi holen diesen schmachvollen Moment im Leben Wildes hinein in dessen "triviale Komödie für ernste Menschen". "Schwule Sau" zum Beispiel wird auf der Bamberger Bühne dem verhafteten Schriftsteller (Paul Maximilian Pirna) an den Kopf geworfen. Entgegen Wildes eigener Überzeugung ahmt in diesem Moment nicht das Leben die Kunst nach. In diesem Moment macht stattdessen das Leben die Kunst wahrhaftiger.
Denn auf den Fußballplätzen, Schulhöfen und sozialen Netzwerken unserer Gegenwart zählt "schwule Sau" unverändert zum Repertoire sprachlicher Herabsetzung.
Nur in einzelnen Momenten rutscht die Inszenierung in die sumpfigen Gefilde verschwitzten Pennälerhumors. Etwa wenn Algernon "Dildos" meint, im letzten Moment aber sprachlich zu "Dill-Dose" abbiegt.
Von der Angst vor Kitsch und Übertreibung jedenfalls lassen sich weder Schug und Al Khalisi noch die ausnahmslos großartigen Schauspieler einschüchtern. Sie alle nehmen nicht nur das Stück selbst ernst - sondern auch die Biografie seines Autors Oscar Wilde.