Inszenierte Angriffe könnte es jedoch auch in anderen Regionen geben: Möglich wäre auch, dass tatsächliche oder vorgetäuschte Angriffe ukrainischer Truppen auf russischem Gebiet genutzt werden, um eine Ausweitung des Krieges im Nachbarland oder eine noch zerstörerische Kriegsführung und den Einsatz geächteter ABC-Waffen zu legitimieren. Auch vor inszenierten Vorfällen an den Grenzen zu den baltischen Staaten und Polen hatten einzelne Experten gewarnt.
Szenario 3: Propaganda-Erfolge - der "Sieg" über die Ukraine
Viele Menschen blicken mit Spannung auf Putins Rede zur traditionellen Militärparade am 9. Mai in Moskau, mit der Russland jedes Jahr an den Sieg über Hitler-Deutschland 1945 erinnert. Viele Experten gingen ursprünglich davon aus, dass der Kreml-Chef an dem Tag Erfolge in der Ukraine feiern wollte, deren angebliche "Entnazifizierung" er als Ziel des russischen Militäreinsatzes nennt. Angesichts der nur stockend vorankommenden russischen Truppen und des starken ukrainischen Widerstands scheint dies nun wenig wahrscheinlich.
Allerdings könnte Putin die Chance nutzen, scheinbare Erfolge zu präsentieren. Greg Yudin, Professor für politische Philosophie in Moskau, hatte in einem Interview mit der Zeit beispielsweise davon gesprochen, dass Putin den Kampf um Mariupol und die Eroberung der letzten Widerstandsnester im Stahlwerk Asowstal zu solch einem Sieg aufspielen könnte.
Der amerikanische Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Michael Carpenter, geht eigenen Aussagen zufolge eher von einer Annexion der ostukrainischen Separatistengebiete Luhansk und Donezk aus. Ähnliche Pläne könnte Moskau auch für das besetzte südukrainische Gebiet Cherson haben, sagte Carpenter.
Szenario 4: "Business as usual" - Zeichen der eigenen Stärke
Möglich ist es aber auch, dass Putin darauf verzichtet, den 9. Mai und den Krieg in der Ukraine so eng zu verknüpfen. Mag dies auch Putins Ziel gewesen sein, die militärische Lage lässt die Verkündung eines Sieges in der Ukraine eigentlich nicht zu. Stattdessen könnte Putin nun das Ziel verfolgen, den eigenen Bürgern und dem Ausland die Stärke der russischen Armee vor Augen zu führen.
So will Russland bei der traditionellen Militärparade am 9. Mai auf dem Roten Platz auch in diesem Jahr neue Waffen präsentieren. "Erstmals werden in der motorisierten Kolonne moderne Mehrfach-Raketenwerfer vom Typ Tornado-G mit 122 Millimeter Kaliber und ausgestattet mit automatischen Steuerungs- und Feuerleitsystemen über den Roten Platz rollen", kündigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch nach einem Bericht der Agentur Interfax an.
Insgesamt sind zum "Tag des Sieges" - dem Jahrestag des Siegs der Sowjetunion gegen Hitler-Deutschland 1945 - in 28 russischen Städten Militärparaden geplant. Beim landesweit größten Aufmarsch in Moskau sollen 11 000 Soldaten und 131 Militärfahrzeuge zu sehen sein. Außerdem sollen 77 Hubschrauber und Flugzeuge teilnehmen.
Fazit: Putin bleibt unberechenbar und will dies auch bleiben
Über die Beweggründe für Putins Handeln wurde in den letzten Wochen regelmäßig spekuliert. Folgt er einem eiskalten Kalkül? Hat er am Ende den Verstand verloren? Die Frage nach Putins Motiven lässt sich in der aufgeheizten politischen Situation und von Propaganda überformten Nachrichtenlage kaum seriös beantworten.
Kaum jemand geht davon aus, dass es sich bei der russischen Ankündigung, man könne Berlin in 106 Sekunden mit Atomwaffen erreichen, um mehr als einen Einschüchterungsversuch handeln könnte. Andererseits hielten es viele Experten auch noch wenige Tage vor der Invasion für ausgeschlossen, dass Russland der Ukraine den Krieg erklären könnte. Insofern ist auch eine weitere Eskalation des Krieges, sei es durch ausgeweitete Angriffe in der Ukraine, durch eine Generalmobilmachung oder gar den Übergriff der Kampfhandlungen auf andere Regionen wie die Republik Moldau, leider nicht auszuschließen - auch wenn dies Russlands Situation kaum verbessern dürfte.
Sicher ist momentan nur eins: Der Plan, dass Putin am 9. Mai 2022 die erfolgreiche "Entnazifizierung" der Ukraine und ein Ende der "Spezialoperation" verkünden kann, ist gescheitert. Der Krieg in der Ukraine wird wohl weitergehen - zum Leidwesen der Menschen weltweit. rowa/mit dpa
Keiner kann sagen, was Putin plant. Aber eine Generalmobilmachung würde wohl auch in Deutschland zu einem bösen Erwachen führen. Vor allem für die Pro-russische Bevölkerung, die ihre russische Staatsbürgerschaft nie abgegeben hat. Denn, wenn die Info von anderen Seiten stimmt, bedeutet das, dass Wehrpflichtige und Reservisten eingezogen werden, auch aus dem Ausland. Dann müssten wohl viele junge Männer hier ihre Koffer packen und "heim ins Reich" fahren müssten, da sie ja russische Bürger sind. Ob Putin das durchsetzen kann, ist allerdings fraglich. Da wird dann wahrscheinlich der Joker "doppelte Staatsbürgerschaft" greifen.