Was ist mit abgelehnten Asylbewerbern?
Abgelehnte Asylbewerber sollen leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Mit der Einigung können jetzt mehr Drittstaaten als sicher eingestuft werden, auch bloße Teilgebiete von Staaten können künftig als sicher gelten. Grundlage dafür können auch nationale Einschätzungen sein. Wenn ein Drittstaat als sicher anerkannt ist, sollen auch Menschen aus Staaten mit einer hohen Anerkennungsquote - das sind aktuell etwa Syrer und Afghanen - dorthin verwiesen werden können.
Wie werden die Flüchtlinge verteilt?
Diese Frage war in den vergangenen Jahren zwischen den EU-Ländern der ewige Zankapfel. Die Verteilung wird den Plänen zufolge nun mit einem «Solidaritätsmechanismus» geregelt: Wenn Mitgliedstaaten keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie anders Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Länder wie Ungarn lehnen eine Solidaritätspflicht ab. Die EU-Staaten konnten sich allerdings im Juni auch ohne Zustimmung Ungarns auf eine gemeinsame Position einigen.
Die Entscheidung darüber, welcher EU-Staat für die Durchführung des jeweiligen Asylverfahrens verantwortlich ist, soll durch vereinfachte Regeln schneller als bisher getroffen werden. Es gilt aber weiterhin den Grundsatz der Zuständigkeit des ersten EU-Staates, in den ein Asylbewerber eingereist ist. Betrachtet werden auch familiäre Bindungen und ob jemand in einem EU-Land einen Bildungsabschluss erworben hat.
Wie kam es zu der Einigung nach Jahren des Stillstandes?
Erstens will die Mehrheit der EU-Staaten unbedingt verhindern, dass Russlands Präsident Wladimir Putin weiterhin von der Uneinigkeit der Europäischen Union in Migrationsfragen profitiert. Denn er wird als Drahtzieher hinter einigen Migrationsrouten vermutet, die sich in den vergangenen zwei Jahren neu etabliert haben, etwa über Belarus. Sein Ziel dabei ist - so glaubt man zumindest in Brüssel - die Destabilisierung der EU. Zweitens wollen viele der Politiker, die zuletzt an den Verhandlungen beteiligt waren, den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, die sich strikt gegen Zuwanderung positionieren, bremsen. Das gilt auch für die Vertreterinnen der Bundesregierung wie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) oder Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Was heißt das jetzt für Deutschland?
Kurzfristig wird sich an der Situation in Deutschland nichts ändern. Denn bis die nun politisch geeinten Regelungen in die Praxis umgesetzt werden, werden noch Jahre vergehen. Dennoch könnte es langfristig zu einem Rückgang der Zahl der Menschen, die ohne Visum deutsche Grenzen passieren, kommen - weil ein Teil der Schutzsuchenden von den Außengrenzen direkt zurückgeschickt wird und die verschärften Regeln abschreckend wirken.
Darauf hoffen neben den Verhandlern auch CDU und CSU sowie Länder und Kommunen. Letztere fühlen sich teils überfordert durch die hohe Zahl von Asylsuchenden und Ukraine-Flüchtlingen, die sie unterbringen und versorgen müssen. Sollte die Zahl der unerlaubten Einreisen mittelfristig deutlich sinken, ist damit zu rechnen, dass die Mitte Oktober eingeführten Binnengrenzkontrollen der Bundespolizei an den deutschen Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz enden.
Beendet das den Streit um die Migrationspolitik in Deutschland?
Nein. Innerhalb der Ampel ist man bei diesem Thema zwar nun enger zusammengerückt. Und parallel zur Einigung in Brüssel wurden in Berlin am Mittwoch auch einige Streitpunkte zwischen FDP und Grünen zu Einbürgerungen und Abschiebungspraxis abgeräumt. Doch die Opposition bleibt kritisch. Die AfD hält die verschärften Regeln für nicht ausreichend.
Unionspolitiker äußern sich zwar zufrieden über die Einigung. Sie üben aber dennoch Kritik an Innenministerin Faeser, die in den vergangenen zwei Jahren maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt war. «Die europäische Asylpolitik macht nicht wegen, sondern trotz der Bundesregierung einen Schritt nach vorn», sagt die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Glücklicherweise habe sich Faeser in Brüssel mit ihren Forderungen für eine «Aufweichung des Grenzverfahrens» offenbar nicht durchsetzen können.
Politiker der Linken sind schlichtweg entsetzt. Ihre Innenpolitikerin Clara Bünger sieht die Einigung als «Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks, den die Bundesregierung mit ihrer asylfeindlichen Rhetorik und Politik weiter befeuert». Auch bei den Vereinen der privaten Seenotretter herrscht Fassungslosigkeit. «Es wird möglich sein, Menschen allein deshalb an der Grenze zu inhaftieren, weil sie Schutz in Europa suchen, selbst Familien mit Kindern», sagt Gorden Isler von Sea-Eye. Künftige Generationen müssten nach diesem Wendepunkt in der europäischen Asylpolitik «die universelle Gültigkeit der Menschenrechte als zivilisatorische Errungenschaft wieder erstreiten müssen».
Wie geht es jetzt weiter?
Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität und soll noch vor der Europawahl nächstes Jahr im Juni passieren. Die Mitgliedstaaten haben dem Vernehmen nach eine zweijährige Umsetzungsfrist vereinbart. Das soll den Staaten an den Außengrenzen genügend Zeit geben, entsprechende Einrichtungen zur Unterbringung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent zu schaffen.