Beim Belehren belässt es Marie-Agnes Strack-Zimmermann oftmals nicht. Fast 2.000 Personen hat die FDP-Politikerin bislang wegen beleidigender und bedrohender Einlässe angezeigt - einsamer Rekord in der deutschen Politik. Für einige der Verfasser sei es "der berühmte Schuss vor den Bug" gewesen, gibt sie Sirin im Interview zu verstehen. Das hat bei Marlies, die in den Niederlanden wohnt, nicht gefruchtet.
67-Jährige kommen im ZDF-Interview die Tränen
Die 67-Jährige bezichtigte Strack-Zimmermann (deren Namen sie falsch schrieb) bei Twitter, mit der "Waffen Industrie ins Bett" zu gehen und erkundigte sich: "Warum wird diese Kriegstreiberin nicht eingesperrt?" Den anschließenden Rechtsstreit gewann Marlies vor Gericht. "Ich war traurig, dass es so weit gekommen ist", erklärt sie gegenüber Mitri Sirin.
Sie habe ja keine Morddrohung verfasst, sondern nur "eine Kritik an ihrer Person und ihren Äußerungen". Und überhaupt: Wer in die Politik gehe, müsse "Druck und Beleidigungen auch aushalten können", findet die Frau, der offenbar selbst der Druck zu schaffen machte. Als sie von der Erleichterung nach dem Urteil spricht, kommen ihr vor der ZDF-Kamera die Tränen.
Wo hört Meinungsfreiheit auf - und wo wird sie womöglich illegitim beschnitten? Es sind Fragen, denen auch der Demokratieforscher Richard Traunmüller nur mit dem Verweis auf ein Dilemma begegnen kann. Der in Mannheim lehrende Wissenschaftler spricht vor der ZDF-Kamera von einem "Toleranzparadox" und erklärt es mit einer weiteren schönen Frage, auf die man zu gern eine gute Antwort hätte: "Wie kann man sich verteidigen gegen illiberale Kräfte, ohne selbst illiberal dabei zu werden?"
US-Philosoph Jason Stanley: "Die AfD ist noch peinlicher als Trump"
Was passiert, wenn jene, die gegen "woken" Meinungsmainstream Stimmung machen, selbst an die Macht kommen, lässt sich derzeit in den USA beobachten. Mitri Sirin besucht für seine Doku im Umland von Detroit seinen alten WG-Kumpel Ulrich und dessen Frau Bénédicte. Beide sind Uni-Professoren und beide können inzwischen im Schlaf runterbeten, welche Wörter sie bei ihrer Arbeit nicht mehr verwenden dürfen, wenn sie nicht die Streichung von Fördergeldern riskieren wollen: "'Frau', alles, was mit 'Ethnizität' zu tun hat, alles was mit dem 'Klimawandel' zusammenhängt, 'LGBTQ', 'Homosexualität' ..." Die Liste ist lang.
"Was erleben wir da gerade?", fragt Sirin auf seiner USA-Reise den - noch - in Yale lehrenden Philosophen Jason Stanley. "Faschismus natürlich", kommt die Antwort. Trump sei ein Autokrat. "Es ist wichtig, dass man versteht, dass die Vereinigten Staaten nicht mehr demokratisch sind." Warum er nach Kanada emigrieren wird und nicht nach Deutschland, in das Land seiner Vorfahren? Die Antwort trifft den Reporter sichtlich: "Die AfD ist noch peinlicher als Trump. Ich will nicht, dass meine Kinder in einem Land aufwachsen, in dem die AfD an die Macht kommen könnte."
"Wer so etwas fragt, hat keine Ahnung, wie Unfreiheit aussieht"
Wie das ist, in einem autoritären Staat zu leben, das wissen auch im wiedervereinten Deutschland noch viele aus dem eigenen Erleben. Der Maler und Schriftsteller Thomas Klingenstein verbrachte Anfang der 80er-Jahre Monate im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen, ehe er in die Bundesrepublik abgeschoben wurde.
Hier schließt der Film nicht unelegant den Kreis zur sächsischen Straßenumfrage. Vergleiche mit der DDR seien schmerzlich für all jene, die Unfreiheit erlebt hätten, sagt Klingenstein, 64, im Gefängnistrakt, der heute eine Gedenkstätte ist. Gibt es in Deutschland noch Meinungsfreiheit? Allein die Frage findet der Künstler "absurd": "Wer so etwas fragt, hat keine Ahnung, wie Unfreiheit aussieht."
"Am Puls mit Mitri Sirin - Ist unsere Meinungsfreiheit in Gefahr?" ist am Freitag, 3. Oktober, 19.20 Uhr, im ZDF zu sehen und schon jetzt in der ZDF-Mediathek.