Ein weiterer auf das Screening zurückgehender Risikofaktor ist Experten zufolge, dass sich teilnehmende Frauen vermeintlich sicher fühlen und seltener ihre Brust abtasten. Hinzu kommen sogenannte Übertherapien – also die Behandlung von Tumoren, von denen keine Gefahr ausgeht.
Das Programm wurde ab 2005 schrittweise zunächst für 50- bis 69-Jährige eingeführt, aktuell wird Frauen zwischen 50 und 75 Jahren alle zwei Jahre eine Untersuchung angeboten. «Unter den 50- bis 69-Jährigen nimmt jedes Jahr etwa die Hälfte der Eingeladenen am Mammografie-Screening-Programm teil», sagte BfS-Präsidentin Paulini. Mit mehr Teilnehmerinnen ließe sich für mehr Frauen die Zehn-Jahres-Überlebensrate nach einer Brustkrebs-Erkrankung verbessern, erklärte der Bottroper Experte Kolberg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zertifizierter Brustzentren in Deutschland.
Wäre viel mehr möglich?
Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der RWTH Aachen, betont, mit vorhandenen diagnostischen Möglichkeiten könnte man weit mehr als die 20 bis 30 Prozent Sterblichkeitsminderung erreichen. Ein Problem sei die mangelnde Eignung der Mammografie bei sehr dichtem Brustgewebe. Aktuell würden 20 bis 30 von 100 Frauen mit Brustkrebs nach dem Screening als gesund nach Hause geschickt. Der Tumor falle dann oft erst bei einer Tastuntersuchung als sogenanntes Intervallkarzinom auf – oder erst bei späteren Mammografien.
Rund 16 Prozent der beim Screening gefundenen Karzinome hätten bereits Metastasen gebildet, seien also zu spät gefunden worden. Ausgerechnet bei den biologisch aggressiven Karzinomen versage die Mammografie zu oft.
Kuhl ist überzeugt, dass sich die Zahl der an Brustkrebs sterbenden Frauen stark senken ließe. Dazu müsse die Früherkennung besser individuell angepasst werden. So sollten etwa Frauen mit sehr dichtem Brustgewebe, bei denen eine Mammografie nicht ausreicht, alternative Früherkennungsverfahren angeboten werden – insbesondere die Magnetresonanztomographie (MRT), für die es die höchste wissenschaftliche Evidenz gebe. Dieses Verfahren liefere umso bessere Nachweise, je aggressiver ein Karzinom sei.
MRT - bei vielen Frauen die weitaus bessere Wahl?
Etwa zehn Prozent der Frauen haben ein extrem dichtes Brustgewebe. Sie würden durch das derzeitige Mammografie-Screening unterversorgt, heißt es auch von der Europäischen Gesellschaft für Brustbildgebung (EUSOBI). Es gebe Nachweise, dass MRT-Untersuchungen die Brustkrebs-Sterblichkeit bei ihnen erheblich senken könne. Frauen sollten von ihren Ärzten generell über ihre Brustdichte informiert werden. Die Fachgesellschaft empfiehlt, Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren mit extrem dichter Brust alle zwei bis vier Jahre ein MRT-Screening anzubieten.
In Deutschland müssen Frauen in diesen Fällen MRT-Untersuchungen selbst zahlen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die etwa 350 Euro für eine Früherkennungs-MRT nur bei einem nachweislich deutlich erhöhten Risiko für Brustkrebs – etwa bei einer BRCA1- oder BRCA2-Genmutation oder familiärer Belastung. «Auch wenn Mammografie und Ultraschall keine eindeutigen Ergebnisse liefern, kann ein MRT zur weiteren Abklärung von unklaren Befunden eingesetzt werden», erklärte Kolberg.
Behandlung bleibt ein Faktor
Einen weiteren Ansatzpunkt für eine stärkere Senkung der Sterblichkeit sieht Kolberg in einem noch stärkeren Fokus der Brustkrebs-Therapie auf zertifizierte Brustzentren. Auch die Autoren der Studie geben zu bedenken, dass der Nutzen des Screening-Programms über den der Früherkennung hinausgehen könnte – durch den Einfluss auf die Qualität der weiteren klinischen Versorgung. Bei einem auffälligen Befund im Programm würden Frauen typischerweise an ein zertifiziertes Brustzentrum verwiesen - bei Frauen mit einer Diagnose außerhalb des Programms sei das weniger wahrscheinlich.
Es mache sich deutlich bei der Sterblichkeitsrate bemerkbar, sich nicht in einem zertifizierten Brustzentrum behandeln zu lassen, betonte Kolberg. Noch immer würden in Deutschland etwa 8.000 Frauen jährlich außerhalb solcher Zentren behandelt. «Das muss sich ändern.»
Screening künftig auch für 45- bis 49-Jährige?
Näher an der Umsetzung ist eine andere Maßnahme: eine erneute Erweiterung der ins Mammografie-Screening einbezogenen Altersgruppen. Im vergangenen Jahr hatte das BfS berichtet, dass die Teilnahme am Programm auch für Frauen ab 45 Jahren mit mehr Nutzen als Risiken verbunden ist. Das Screening kann die Brustkrebs-Sterblichkeit demnach bei 45- bis 49-Jährigen um rund 20 Prozent reduzieren.
Das Bundesamt empfiehlt darum, die untere Altersgrenze für die Teilnahme von 50 auf 45 Jahre herabzusetzen. In der Altersgruppe zwischen 45 und 50 Jahren erkranken laut BfS in Deutschland jedes Jahr etwa 5.000 Frauen an Brustkrebs.
Die Auswertung zum Nutzen des Screening-Programms wurde vom BfS koordiniert und von der Universität Münster federführend durchgeführt. Es wurden Daten aus den Jahren 2009 bis 2018 berücksichtigt, dabei wurden Quellen wie Krankenkassen- und Krebsregisterdaten kombiniert. «Die Ergebnisse sind für alle Bevölkerungsschichten und Regionen Deutschlands repräsentativ», sagte Paulini.