NIcht für die Geburtshilfe zugelassen - trotzdem oft verwendet: Cytotec. Aber ist das wirklich ein Problem? Symbolfoto: fesenko/Adobe Stock
In mehr als der Hälfte aller deutschen Kliniken wird ein Medikament zur Geburtseinleitung benutzt, das hierfür nicht zugelassen ist: Cytotec. Aber ist das die ganze Wahrheit hinter der Diskussion? Die Gesellschaft für Gynäkologie sieht das etwas anders.
Das Magenmedikament Cytotec wird seit Jahren für einen anderen Anwendungsbereich verwendet: die Geburtshilfe - und das ohne Zulassung dafür. Nach Recherchen des Bayrischen Rundfunks und der Süddeutschen Zeitung sei das Medikament ein weit verbreiteter Weg, um die Wehen einzuleiten - trotz mangelnder Untersuchungen hinsichtlich Folgen und Gefahren für das Kind und die Mutter. Aber kann man es sich mit dieser Bewertung wirklich so einfach machen?
Nach der Berichterstattung von BR und SZ wurde eine Diskussion über das Medikament angestoßen, in die sich nun auch die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) eingeschaltet hat. Daraufhin griffen Die Zeit und auch die Süddeutsche Zeitung das Thema erneut auf.
In der von Prof. Dr. Sven Kehl und Prof. Dr. Michael Abou-Dakn verfassten Pressemitteilung für die DGGG heißt es, "entgegen der Berichterstattung ist der Wirkstoff Misoprostol zur Geburtseinleitung bei geburtshilflichen Experten nicht umstritten." Es gebe keinen Wirkstoff, der ähnlich gut in Studien untersucht wurde, die zu der unstrittigen Evidenz führten, Misoprostol sei das "effektivste Medikament zur Geburtseinleitung."
Zwar sei richtig, dass das Medikament potenzielle Nebenwirkungen wie Fieber, Zittern oder Überstimulation haben kann. Allerdings könne man die in der Berichterstattung erwähnten Fälle, in denen Mütter oder Kinder sogar starben, nicht auf das Medikament, sondern auf ärztliche Fehler zurückführen.
Studien belegen die Vorteile von Cytotec
Im Zuge der Therapiefreiheit ist es zudem nicht verboten, ein Medikament Off-Label - also anders als vom Hersteller vorgesehen - zu verwenden. Die Patienten müssen nur im Vorfeld aufgeklärt worden sein und zugestimmt haben.
Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass die Verwendung trotz fehlender Zulassung und bestehender Alternativen bestehen bleibe, weil die Vorteile bei korrekter Dosierung überwögen. Etliche Studien würden belegen, dass der verwendete Wirkstoff zu weniger Kaiserschnitten führen würde. Angeführt wird eine Studien-Auswertung des renommierten Cochrane-Netzwerks. 75 Studien mit 14.000 Teilnehmern wurden dafür ausgewertet.
Nach Cytotec-Berichten: Patienten meldeten sich zu Wort
Nachdem erstmals BR und SZ über den Fall berichtet hatten, meldeten sich hunderte Frauen aus ganz Deutschland. Das berichtete die ARD. Scheinbar sind schwere Komplikationen häufiger, als gedacht. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass Risiken bekannt seien, wenn das Medikament Cytotec außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs verordnet werde. Die Anwendung werde aber unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiter empfohlen.
Die Universität Lübeck hat demnach in einer bisher unveröffentlichten Studie herausgefunden, dass Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol in der Hälfte aller deutschen Kliniken zur Geburtshilfe verwendet wird. Das Medikament kostet pro Tablette nur einen Euro und ist damit im Vergleich zu Alternativen deutlich günstiger, aber für diesen Einsatz eben nicht zugelassen.
Wofür ist Cytotec eigentlich gedacht?
Besonders interessant: Das Pharmaunternehmen Pfizer, Hersteller des Medikaments, hat es 2006 vom deutschen Markt genommen "weil es zu oft außerhalb des vorgesehenen Anwendungsbereichs verwendet wurde", schreibt der BR. Wird ein Medikament außerhalb des eigentlich vorgesehenen Einsatzgebiets verwendet, wird das als "Off-Label-Use" bezeichnet.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bevorzuge eindeutig den Einsatz von zugelassenen Arzneimitteln gemäß der jeweiligen Zulassungsbedingungen, sagte Sprecher Maik Pommer der Deutschen Presse-Agentur. Denn dafür lägen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit vor. Bei anderen Anwendungen sei das häufig nicht der Fall. Die Behörde kann den Einsatz des Mittels in der Geburtsmedizin wegen der Therapiefreiheit der Ärzte aber nicht verbieten.
Cytotec ist nach Angaben des Herstellers zur Vorbeugung von medikamentenbedingter Magenschleimhautschädigung gedacht. In der Praxis hat man allerdings schnell herausgefunden, dass es sowohl für Abtreibungen, als auch in der Geburtseinleitung angewendet werden kann.
Günstig aber trotzdem nicht zugelassen
Allerdings erfolgte nie eine Zulassungsstudie für die Anwendung in der Geburtseinleitung, weshalb die Wirkung, Folgen und ideale Medikation nie definiert wurden.