Cybersex: Sprengstoff für die Beziehung

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Der Screenshot war einfach: Sexseiten im Internet sind offen zugänglich.
Der Screenshot war einfach: Sexseiten im Internet sind offen zugänglich.

Ohne Hemmungen, Scham, Zeit und Raum: Meist sind es Männer, die den Pornokick im Internet suchen. Ihre Frauen sind schockiert und verletzt. Am 23. Oktober gibt es in Bamberg einen Vortrag zum Thema Sexsucht.

Herr M. sitzt am Computer und onaniert. Angetörnt vom heißen Sex, den ein Pärchen vor seinen Augen am Bildschirm hat. Da kommt Frau M. zur Tür herein und sieht ihren Mann in Aktion. Sie ist schockiert. Sie schüttet Ilse Kolb ihr Herz aus: "Ich bin verletzt", sagt Frau M., "ich fühle mich abgewertet." Für Kolb, Leiterin der Ehe- und Familienberatungsstelle Pro Familia in Bamberg, ist die Geschichte kein Einzelfall. Etwa eine halbe Million Menschen, meist Männer, suchen den Pornokick im Internet. "Das ist Sprengstoff für die Beziehung", sagt Kolb.

Eine ganz normale Geschichte ...

Die Geschichte von Herrn und Frau M.: sie ist eine ganz normale. Das Paar lebt seit acht Jahren in einer festen Partnerschaft. "Am Anfang hatten wir wie wahrscheinlich die meisten Paare viel Sex", erzählt Frau M. in der Beratungsstelle.
"Das ließ nach einiger Zeit nach." Während einer Beziehungskrise erwischte sie ihren Partner beim Pornoschauen im Internet. Sie war gekränkt, schob es auf die Krise.

Doch auch nach der Krise stelle Frau M. fest: "Die Pornoguckerei war ein fester Bestandteil seines Alltags." Sie fand heraus, dass ihr Mann außerdem im Internet chattet, heiße Gespräche führt und sich dabei befriedigt. "Für mich ist das eine Art Fremdgehen", vertraut Frau M. der Sexualtherapeutin Ilse Kolb an. Sie fühlt sich minderwertig, weil ihr Partner virtuelle Reize ihren realen vorzieht.

Befriedigung ohne Schuld und Scham

Es sind meistens Frauen, die zu Pro Familia kommen und sagen: "Ich habe meinen Mann im Internet erwischt." Beim Pornoschauen, beim Chatten, beim Telefonsex. In Aktion vor dem Bildschirm. Kolb weiß, warum Cybersex - vor allem für männliche Internetnutzer - so spannend ist: "Das Internet befreit von Zeit- und Ortsgrenzen. Die Triebe werden ohne Hemmungen und Aufschub befriedigt. Und diese Befriedigung ist frei von Schuld und Scham."

Sex ohne Verpflichtungen, Selbstbefriedigung beim Chatten, Perversionen im Internet ausleben: "Das ist einfacher als eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Partnerin", sagt Kolb." Jedoch gerieten die realen Beziehungen dabei aus dem Blickfeld - und das Suchtpotenzial, die Gefahr der Abhängigkeit seien hoch. Durch die Hormonausschüttung entstehen kurzfristige Reize, die nach immer mehr verlangen. Deshalb suchen die Betroffenen permanent neue Reize und so werden die Reizschwellen immer mehr nach oben verlagert. "Das ist eine Sucht wie andere auch", erklärt Kolb, "aber keine Stoffsucht, sondern eine Verhaltenssucht."

Sechs Stunden Sex am PC

Sie wirke durch Bestätigung und Glücksgefühle auf das Belohnungssystem des Körpers. Kolb weiß: "Wer sexsüchtig ist, kann trotz negativer Auswirkungen den Konsum nicht beenden." Sie erzählt vom Fall eines jungen Mannes, den sie beraten hat: Er hatte als Jugendlicher keine Freunde, war ein unsicherer Mensch. Er flüchtete sich in die Internetpornografie. Und kam nicht mehr davon los. Sechs Stunden täglich am Bildschirm, das war sein Standard als Erwachsener. "Die Betroffenen merken, dass sie das nicht mehr stoppen, ihr Verhalten nicht mehr kontrollieren können", sagt Kolb. Was im schlimmsten Fall passieren kann und was auch ihrem Klienten passiert ist: Er wurde arbeitsunfähig.

Bindungsängste hatte er sowieso. "Internetpornografie führt zu überhöhten und unrealistischen Erwartungen. Wer sich das anschaut, entwickelt verzerrte und eindimensionale Bilder von Beziehung", sagt Kolb. Gibt es dennoch einen Partner und ertappt derjenige den Süchtigen am Bildschirm: Verletzte Gefühle. Sie sind Sprengstoff für die Beziehung. Kolb meint: "Reinen Pornokonsum könnten die meisten vielleicht noch eher akzeptieren als das Fremdgehen im Internetchat."

Problembewältigung mit Sex

Sexsüchtige setzen Sex als Bewältigungsstrategie für Probleme ein. Gleichzeitig ist Sexsucht extrem schambesetzt. Darüber redet man nicht. Bis jemand sie als Sucht akzeptiert und erkennt, dass er die Grenzen des normalen Verhaltens überschritten hat: das dauert lang, sagt Kolb. Sie sagt auch, je früher sich jemand helfen lässt, desto besser.

Therapie: Totale Abstinenz

Ziel einer Einzeltherapie sei es, "zu einer gesunden, wirklichkeitsnahen und beziehungsorientierten Sexualität zu kommen." Das bedeutet: totale Internetabstinenz, einen bis drei Monate lang. Stattdessen Ersatzbefriedigung: Sport, Arbeit, Freunde, die eventuell vorhandene Beziehung, gutes Essen, Wellness. Meistens ist auch eine Aufarbeitung der Verhältnisse in der Herkunftsfamilie notwendig.

Hält man Sexsüchtige vom Computer fern, werden sie zunächst unruhig und aggressiv. "Die Betroffenen haben Angst vor der Abstinenz, weil sie sie mit Askese verbinden", sagt die Sexualtherapeutin. Trotzdem hat sie gute Erfahrungen mit der Therapie. Denn nach einer Weile verstehen die Süchtigen: Abstinenz bedeutet Freiheit.

Vortrag: Trauma im Verborgenen

Sexsucht Auf Einladung von Pro Familia hält Kornelius Roth, Psychiater und Sexualtherapeut aus Bad Herrenalb, einen Vortrag über "Sexsucht & Internet - Krankheit und Trauma im Verborgenen".

Vortrag Der Vortrag findet am Mittwoch, 23. Oktober, um 19 Uhr in der Uni Bamberg, Markushaus - Raum M3N/02.32, statt. Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich.