Hat der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2018 in Russland das Herz und die Leidenschaft gefehlt? Ein Kommentar.
Vom Herzen ist in diesen Tagen viel die Rede. Der deutschen Nationalmannschaft habe das Herz und die Leidenschaft gefehlt, deshalb sei sie so historisch früh ausgeschieden, schreiben die Analysten. Und sie habe vor allem nicht die Herzen der Fans erreicht. Wie richtig das ist, zeigt sich keine fünf Tage nach dem Debakel gegen Südkorea. Während die DFB-Verantwortlichen am Wochenende dem wankenden Bundestrainer Jogi Löw nochmals deutlich den Rücken stärkten, scherte sich der Rest der Republik kaum noch um
Die Mannschaft. Die Tränen, so hat man den Eindruck, trockneten diesmal besonders schnell. Aus, vergessen und vorbei.
Nun muss man sich schon die Frage stellen, warum dieses Team, das vor vier Jahren so glorios den Titel in Brasilien geholt hatte, diesmal bei seinen Anhängern so herzlos daherkam. Als Jogis Jungs in Brasilien jedes Mal übers Wasser schipperten, um zu ihrem eigens eingerichteten Quartier
Campo Bahia zu kommen - diese Bilder hatten so viel Strahlkraft, dass wir alle dachten, wir wären selbst mit dabei und hätten Urlaub. Die Mannschaft war uns auch zwischen den Spielen präsent und nah. In Russland war davon wenig zu spüren. Lediglich die Szenen aus Sotschi vermittelten vielleicht etwas dieses Lebensgefühl. Sonst herrschte eher russische Melancholie statt brasilianischer Leichtigkeit.
Nationalspieler wirkten unnahbar
In erster Linie wurde das Team in Russland so gut abgeschottet wie möglich. Auf die Fans wirkten die Nationalspieler unnahbar. Man mag den DFB-Verantwortlichen gar keine Absicht unterstellen, dass dies so rüberkam. Vielmehr ist dieser Mangel an Zuwendung inzwischen eine der Folgen des Systems DFB oder besser, des Systems "Bierhoff". Der fast allmächtige Sportdirektor der Nationalelf hat die Mannschaft seit dem Titelgewinn derart durchorganisiert und als Marke positioniert, dass nur noch wenig Luft für Empathie bleibt. Perfektion statt Emotion. Wenn der DFB die Geschehnisse vom Mittwoch ehrlich aufarbeiten will, dann sollte über die Personalie Oliver Bierhoff mindestens genauso nachgedacht werden wie über die des Bundestrainers.
Wenn man die Ursachen der Entfremdung von den Fans betrachten will, lohnt sich auch der Blick auf eine Stufe unterhalb der Nationalmannschaft: Das System des größten Sportverbandes der Welt krankt schon an der Basis. Im Prinzip ist jeder Kreisklassenfußballer ein Fan von Hummels, Khedira & Co. Wer allerdings mit Funktionären von Dorfvereinen spricht, bekommt sehr schnell den Eindruck, dass die Überreglementierung und aufgeblähten Vorgaben des DFB und seiner Landesverbände die Protagonisten auf dem Land überfordern und jeglichen Spaß nehmen. Vor allem in einer Zeit, in der die demografische Entwicklung die kleinen Vereine zu Spielgemeinschaften zwingt und dem Ehrenamt schwer zu schaffen macht. Der verbandseigene Slogan "Unsere Amateure. Echte Profis." wirkt dann eher wie Hohn denn Motivation.
Fußball bietet großes Potenzial
Vermutlich gibt es nach dem historischen WM-Debakel keinen besseren Moment, um beim DFB selbstkritisch wirklich alles infrage zu stellen - auch das Zusammenspiel zwischen Profis und Amateuren. Das müssen die Verantwortlichen wollen - und es wird wehtun. Nach wie vor ist Fußball mit Abstand die beliebteste Sportart und bietet großes Potenzial. Dieses alleine auf Kommerz und Vermarktung zu reduzieren, ist keine gute Lösung. Jedem ist klar, dass sich mit verklärter Nostalgie und einer "Elf Freunde müsst Ihr sein"-Strategie Fußball nicht mehr finanzieren lässt - auch nicht im Amateurbereich. Aber ganz ohne Herz geht es eben auch nicht. Die Fans haben in aller Regel ein gutes Gespür dafür, ob diese Mischung (noch) ausgewogen ist.