"Mind after Midnight"-Phänomen: Deshalb geht es uns nachts psychisch schlechter als am Tag

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Schlafstörung: Nachts funktioniert unser Gehirn anders
Schlafstörungen können fatale Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Schlafstörung: Nachts funktioniert unser Gehirn anders
Kinga Cichewicz/Unsplash

Nach Mitternacht passiert nichts Gutes, heißt es oft. Forschende haben jetzt herausgefunden: Da ist was dran. Die Auswertung mehrerer Studien hat ergeben, dass unser Gehirn in der Nacht anders funktioniert als tagsüber.

  • "Mind after Midnight"-Zustand: Forschende bestätigen, dass unser Gehirn nachts anders funktioniert
  • Weniger Glückshormone, erhöhtes Suizidrisiko: Nachts geht es uns schlechter als tagsüber
  • Fehlender Schlaf verändert den Hirn-Stoffwechsel
  • Studien zeigen: Wir neigen nachts zu negativen Gedanken

Wer nachts häufig unter Schlafmangel leidet, der kennt es vielleicht: Die Gedanken fangen an zu kreisen und die Sorgen, die man tagsüber als halb so schlimm erachtet, erscheinen plötzlich riesengroß und unüberwindbar. Forschende aus Amerika haben jetzt mehrere Studien ausgewertet und herausgefunden: Nachts arbeitet unser Gehirn anders als tagsüber. Ihr Beitrag wurde im Fachmagazin "Frontiers in Network Physiology" veröffentlicht. Was steckt hinter dem sogenannten "Mind after Midnight"-Zustand?

"Mind after Midnight"-Zustand: Forscher erklären, warum uns lange Nächte nichts bringen

Wer nachts wach ist, neigt eher zu negativen Gedanken, zieht öfter die falschen Schlüsse und kann sein Handeln weniger gut kontrollieren: Das hat die Auswertung der Studien laut Forschenden eindeutig ergeben. Und der Grund dafür ist nicht bloß Müdigkeit, sondern liegt unter anderem im Hirn-Stoffwechsel begründet. Der wird durch fehlenden Schlaf nämlich verändert. Die Wissenschaftler*innen nennen einige Aspekte unseres Lebens, die sich durch Schlafmangel verändern können:

1. Essverhalten

Dass wir mehr Hunger haben, wenn wir länger wach sind, ist klar. Auffällig ist aber die Wahl unserer Lebensmittel, wenn es uns nachts aus dem Bett treibt: Nachts werde weniger Obst und Gemüse gegessen, dafür nehmen wir mehr Kohlenhydrate, Fette und Fertigprodukte zu uns. Das könnte laut den Studien auch an einer geringeren Impulskontrolle liegen. 

2. Alkohol- und Drogenmissbrauch

Wer nachts wach ist, neigt eher dazu, Alkohol zu trinken oder Drogen zu konsumieren. Die Forschenden haben herausgefunden, dass das daran liegen kann, dass unser Urteilsvermögen in der Nacht weniger gut ausgeprägt ist, als tagsüber. Deshalb neigen wir nachts dazu, unkluge Entscheidungen zu treffen.

3. Suizid-Gedanken

Auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand selbst das Leben nimmt, ist nachts höher. Zwar finden die meisten Suizide tagsüber, zwischen zehn und 14 Uhr statt. Wird aber berücksichtigt, dass nachts weniger Menschen wach sind, ergibt sich ein anderes Bild. Zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens ist das Suizidrisiko unter denjenigen, die wach sind, dreimal höher als zu jeder anderen Tageszeit. 

Auch die Gedanken an Selbstmord sind nachts weiter verbreitet, so die Forschenden: Personen, die um vier Uhr morgens wach lagen oder nach eigenen Angaben zwischen elf Uhr abends und fünf Uhr morgens wach waren, neigten laut einer der Studien eher zu Suizid-Gedanken

4. Gewaltverbrechen

Die Zahl der Gewaltverbrechen ist nachts wesentlich höher als tagsüber. Dem Beitrag in "Frontiers in Network Physiology" zufolge werden geschätzte 55 Prozent der Gewaltverbrechen in der Nacht begangen. Auch das hängt unter anderem mit einer geringeren Impulskontrolle zusammen. 

Weniger Glückshormone? Gründe für unser Verhalten in der Nacht

Aber warum arbeitet unser Gehirn nachts anders als tagsüber? Die Wissenschaftler*innen sehen den Hauptgrund für unser verändertes Verhalten in der inneren Uhr unseres Organismus. So folgt die Gehirnaktivität während der 24 Stunden eines Tages immer dem gleichen Muster: Tagsüber ist das Organ aktiv, nachts befindet sich unser Hirn in der Ruhephase.

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Die Signalübertragung in unserer Hirnrinde funktioniert deshalb nachts nur eingeschränkt. "Kognitive Funktionen wie das Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, Probleme zu lösen, verschlechtern sich", heißt es in der Veröffentlichung. Die Folge: Völlige Fehleinschätzungen von Situationen, Unfälle durch Unachtsamkeit und Schlimmeres.

Außerdem sei der präfrontale Kortex unseres Gehirns nachts nur eingeschränkt leistungsfähig. Das heißt: Wir reagieren nicht mehr der Situation angemessen. Und was auch wichtig ist: Die Spiegel der Glückshormone Serotonin und Noradrenalin sind nachts niedriger. Das führt dazu, dass unsere Stimmung nachts eher traurig und gedrückt ist. In der zweiten Nachthälfte werde dafür ein Anstieg des "Belohnungshormons" Dopamin beobachtet, heißt es in der Studien-Auswertung - das macht uns zusätzlich impulsiv. 

"Mind after Midnight": So gefährlich ist der Zustand

Bleiben wir nicht nur nachts wach, sondern holen den Schlaf zusätzlich auch tagsüber nicht nach, leiden also unter Schlafmangel, steigert das laut Forschenden unseren schlechten Zustand noch. Nachts verstärke sich die Neigung, riskantere Entscheidungen zu treffen. Depressive, ängstliche und paranoide Gedanken können die Folge sein. 

Den Gemütszustand in der Nacht bezeichnen die Forschenden auch als "Mind after Midnight". Wird es zur Gewohnheit, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, steigert das laut den Experten das Risiko für psychische Erkrankungen und Suchtverhalten

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Hinweis der Redaktion: Wir berichten für gewöhnlich nicht über Selbstmorde. Eine Ausnahme bilden Fälle von großem öffentlichen Interesse. Bei der Telefonseelsorge erreichst du unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Hilfe in schwierigen, möglicherweise ausweglos erscheinenden Situationen. Innerhalb von Bayern kannst du dich alternativ unter der 0800-6553000 beim Netzwerk Krisendienste Bayern melden. Dort bekommst du rund um die Uhr qualifizierte Hilfe in psychischen Krisen und Notfällen. Unter www.frnd.de ("Freunde fürs Leben") findest du zudem weitere Informationen und Hilfsangebote.