Gibt es eine belastbare Zahl, die den Lehrermangel beschreibt?
"Die genaue Zahl der fehlenden Lehrkräfte zu ermitteln ist wahrlich nicht einfach: Wir hatten vor den Osterferien im Grund- und Mittelschulbereich einen Krankenstand beim Lehrpersonal von 15 Prozent, der Unterrichtsausfall lag aber nur bei 0,7 Prozent. Die Lehrerinnen und Lehrer fangen alle Defizite irgendwie auf: dann unterrichtet halt eine Lehrerin parallel in zwei Klassen. Als ich selbst Schulleiterin war, habe ich auch schon einfach mal so drei Klassen in der Aula ‘bespaßt’ – professionellen Unterricht kann man das natürlich nicht nennen. Wir fangen alles irgendwie auf, was dieser Lehrermangel in Bayern alles so verursacht."
Aber sie haben doch 1.000 neue Lehrerstellen pro Jahr zusätzlich bekommen?
"Ja, es gibt Personal für das Förderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“, das zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile für Schüler*innen aufgesetzt ist. Und ja, es gibt Personal für die ‘Willkommensgruppen’ für die Kinder aus der Ukraine. Aber das Personal für diese Sondermaßnahmen reicht hinten und vorne nicht. Noch vor den Osterferien wurden viele Kinder nach Hause geschickt, weil Lehrer*innen fehlten. Die Lage vor Ort ist sehr unterschiedlich: Manchmal sind alle Stellen für die Klassenleitungen besetzt, es gibt Fachlehrkräfte und der Förderlehrer ist ebenfalls im Einsatz. Also alles paletti. Dann gibt es aber andere Schulen, da ist ‘Land unter’: da sind sechs Klassenleitungen krank, es gibt kein Zusatzpersonal und die Förder- und Fachlehrer*innen übernehmen Aufgaben der Klassenleitungen. In diesen Schulen kann auch mal der Hausmeister Kinder beaufsichtigen und die Schulleiter*innen führen drei Klassen gleichzeitig."
Aber es braucht doch Transparenz bei den Bedarfszahlen für Lehrkräfte, um die notwendigen Initiativen zu starten?
"Da gibt es viele Zahlen, aber nichts Offizielles und Belastbares. Der Kultusminister legt sich da nicht fest, weil er sonst eingestehen müsste, dass er der ‘Staatsaufgabe Bildung’ aktuell nicht umfassend gerecht wird. Das geht doch so weit, dass Schulleiter*innen sich irgendwelche Menschen mit dem ‘Lasso’ fangen, damit überhaupt jemand vor der Klasse steht. Überall im Land geht es darum, die Löcher im System mit Nicht-Pädagogen zu stopfen. Ich gehe so weit zu sagen, dass der Lehrkräftemangel kaschiert wird, und das systematisch."
Können Lehrer*innen den Kindern und Jugendlichen noch gerecht werden?
"Daran zweifeln die Eltern; und das zu Recht. Die Eltern stellen fest, dass oft nicht ausgebildete Lehrer die Kinder unterrichten. Eltern fragen sich, warum die Kinder schon so oft nach der zweiten Unterrichtsstunde nach Hause kommen. Sie beklagen, dass die Lücken bei ihren Kindern von Nichtpädagogen geschlossen werden sollen. Und freilich gibt es umfassende Kompetenz-Defizite bei den Schülerinnen und Schülern. Aber ebenso auch in der emotionalen und sozialen Entwicklung. Es fehlt die Teamerfahrung, bei den Soft-Skills mangelt es."
Werden die Defizite bis zu den Sommerferien ausgeglichen?
"Jedenfalls ist der Druck groß, gerade jetzt in den letzten Wochen vor den Sommerferien möglichst viele Lücken zu schließen. Wir erleben jeden Tag, dass Schüler*innen aus der dritten Klasse nicht gut sind im Schreiben, Lesen und Rechnen. Und die Eltern machen Druck, weil in der vierten Klasse der Übergang ins Gymnasium ansteht."
Neue Aufgaben kann Schule also nicht übernehmen?
"Einfach draufpacken, das wollen viele Politiker: Durch Corona haben manche Kinder an Fitness verloren, deshalb sei es angebracht, mehr Gesundheitserziehung zu machen. Außerdem hätten viele Kinder nicht Schwimmen gelernt, deshalb seien Zusatz-Lernprogramme angesagt. Fake-News nehmen überhand, es braucht also eine andere Medienerziehung - die Add-Ons, die wir so einfach mal übernehmen sollen, die häufen sich. Manches würden wir gerne machen, aber ohne ausreichendes und professionelles Personal funktioniert das nicht."
Was meinen Sie, wenn Sie sagen, dass die Lehrkräfte „mit Herz und Haltung“ ihre Aufgaben wahrnehmen?
"Ja, der Beruf ist auch eine Frage der Haltung, der Einstellung. Viele Lehrkräfte sagen, ‘Selbstverständlich integriere ich die drei ukrainischen Kinder, die nehme ich noch dazu. Jetzt habe ich 27 Kinder in der 8. Klasse am Gymnasium, dann füllen wir halt auf 30 auf’. Diese ‘Haltung des Herzens’ hat aber schwerwiegende Folgen. Wenn wir dann noch ein Trisomie-21-Kind integrieren sollen, aber dazu nicht die Kompetenz haben, dann werden wir den Kindern nicht gerecht. Ein Schulbegleiter wäre angesagt, ist aber nicht verfügbar. Unterstützung aus dem Förderzentrum wäre dringend notwendig, leider aber auch Fehlanzeige. Also ich will sagen: Viele Lehrkräfte machen das für die Kinder, aus Überzeugung. Das ist die pädagogische Falle, in die wir immer wieder tappen, obwohl die Bedingungen es nicht hergeben."
Viele Lehrkräfte haben also trotz aller Widrigkeiten die richtige Einstellung?
"Ja, sie machen es aus einer Haltung heraus, nicht wegen der Bezahlung. Gerade an den Grund- und Mittelschulen ist die Eingruppierung im Vergleich zu anderen Schulformen unfair. Sie verdienen deutlich weniger als die Kolleg*innen an den Realschulen und Gymnasien. Nicht verschweigen will ich aber, dass es unter den Lehrkräften viele Burnout-Fälle gibt. Und die Zahl von 70 Schulleitern*innen, die im letzten Jahr hingeschmissen haben, sagt ja auch einiges aus."
Was stört sie an den Corona-Lockerungen in den Schulen?
"Das ist verbunden mit viel Unsicherheit bei Schülern, Eltern und Lehrkräften. Die Angst ist groß, dass es weiterhin viele Corona-Fälle an den Schulen gibt. Und wenn Klassenzimmer überfüllt sind, weil die zweite Lehrkraft fehlt, dann ist das Risiko objektiv viel zu groß."
Was erwarten Sie jetzt, nachdem die Test- und Maskenpflicht gefallen ist?
"Natürlich wollen wir alle Unterricht ohne Maske, ohne Abstand und kein Testregime mehr. Aber die Lehrkräfte raten zur Vorsicht. Das führt selbstredend zu Konflikten mit Eltern und Schülern. Diese Situation ist durch die Zurücknahme der Corona-Regeln nicht einfacher geworden."
Ist die Gesundheit der Schüler und der Lehrkräfte gefährdet?
"Wir hatten vor den Osterferien so viele an Corona erkrankte Lehrkräfte wie nie zuvor. Gleichzeitig verkündet der Ministerpräsident, dass das Oktoberfest stattfindet. Das Signal ist also klar: Es soll wieder Normalität herrschen. Viele verstehen dann nicht, warum die Schulen noch so zögerlich sind. Aber eigentlich ist das ganz einfach zu erklären: Die vermeintliche Normalität ist bei uns einfach noch nicht angekommen."
Was erwarten Sie für den Herbst 2022?
"Da holt uns wieder ein, was wir in den Corona-Vorjahren erlebt haben: Freilich haben wir einiges trainiert. Abstand halten, Maske tragen und Testen, das können wir. Soll das wiederkommen? Reicht das aus? Wenn die ‘Corona-Killermutation’ wirklich kommt, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach prognostiziert, dann sind wir zum dritten Mal flächendeckend nicht gut ausgestattet für das ‘Lernen zu Hause’. Wir sind zwar vielerorts besser geworden, aber es gibt sie immer noch, die schlechten WLAN-Verbindungen. Lehrkräfte müssen nach Hause fahren, um Unterricht digital anzubieten. Kinder haben noch kein Endgerät. Wir sind weit davon entfernt, einen wirklich professionellen Distanzunterricht anzubieten. Defizite gibt es in der Ausstattung, in der Professionalität und in der konkreten flächendeckenden Umsetzung. Wir können also nur hoffen, dass vielleicht doch die Normalität eintritt. Oder gibt es eigentlich gar keine Normalität mehr?"
Wer ist Simone Fleischmann?
Simone Fleischmann ist seit sieben Jahren Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), dem mit rund 67.000 Mitgliedern größten Bildungsverband in Bayern. Ausgebildet ist sie für das Hauptschullehramt und als Schulpsychologin. Nach dem Studium war sie einige Jahre als Hauptschullehrerin in Feldkirchen und später dann als Konrektorin und Schulleiterin an der Anni-Pickert Grund- und Mittelschule in Poing tätig. Schon als kleines Mädchen, so wird kolportiert, saß Simone Fleischmann lieber bei ihrem Vater mit in der Klasse, als nebenan in den Kindergarten zu gehen.
Der Lehrerberuf ist einer der betulichsten Berufe in Deutschland. Anzahlzahlschwache Schulklassen, am liebsten unter 15 Kinder pro Klasse, geringe Unterrichtszeiten pro Tag, jedoch viele Freizeiten (z.B. zusätzliche Freitage, etc.) und ständig Ferien.
Nicht umsonst können diese Personen, welche den Lehrerberuf ausüben noch zusätzliche nebentätige Funktionen während des Tages, was in anderen Berufen ausweglos ist, ausüben. Diese Dienste führen meist noch zur schnelleren höheren finanziellen Beförderung.
Hohe Gehälter, was ihr Lebensstil zeigt und hohe Pensionen, ohne dazu jegliche eigene Finanzierung zu leisten, ist der Erfolg.
Trotzdem jammern diese Leute, dass sie am Limit angekommen sind.
Pädagoge zu sein bedeutet heutzutage zwar sehr viel Fingerspitzengefühl, um das Vertrauen der jungen Leute zu erarbeiten. Jeder Beruf verlangt eine gewisse Qualifikation. Deshalb sollte zuvor geprüft werden, ob man diese Eignung besitzt und nicht in den sogenannten Kollaps wie Simone Fleischmann darlegt, verfällt!
Das ist eine ausgewogen und gründlich untersuchte Auswertung frisch vom Stammtisch.
Klar gibt es "soche und solche" auch unter Lehrern. Ein Teil wird sicher versuchen, sich mit geringstmöglichem Aufwand durchzumogeln. Aber ich kenne einige Lehrer, die zwar die Zeit haben tagsüber anderen Dingen nachzugehen, ob nun Hobbys oder Nebenbeschäftigungen. Was aber dann bedeutet, dass sie oft abends / nachts dasitzen und noch Arbeiten korrigieren und Unterricht vorbereiten. Und wenn man abends in Ruhe arbeiten kann, wieso sollte man sich dann nachmittags nicht mal nen Schwimmbadbesuch gönnen. Am nächsten Stammtisch sind es dann wieder die Finanzbeamten, die Bearbeiter im Job-Center, die Polizisten usw. usw. von denen es natürlich viel zuviele gibt auf Kosten der Steuerzahler.
Das sind dann auch die ersten, die maulen, wenn die Steuererstattung zu lange dauert, der Hartz IV-Antrag seit drei Wochen nicht bearbeitet ist oder die Polizei eine halbe Stunde braucht um einen Wagen zu schicken.
Die Lehrer sind weit von der allgemeinen Traumvorstellung entfernt, dass sie eigentlich nur wenige Unterrichtsstunden am Tag haben und ständig Ferien. Wenn eine überfüllte Klasse einschliesslich AHDS-Kindern, dann noch die Integration von evtl. benachteiligten Kindern und ausländischen Kindern ohne Sprachkenntnisse oder ohne vorausgegangene Schulbildung an sich, Kindern mit Trauma aufgrund von Krieg oder Flucht von einer Lehrkraft unterrichtet werden soll, dann ist das fast nicht zu stemmen. Darunter leiden dann alle Kinder. Diejenigen die dem Unterricht uneingeschränkt folgen können, lernen wenig, da auf alle verschiedenen Leistungsstufen eingegangen werden muss und es nicht zu schwierig werden darf, die anderen Kinder sind überfordert, da man nicht die Lösung eines Problems erarbeiten kann, wenn man die Aufgabe schon nicht verstanden hat. Da findet dann Bildung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner statt. Und im Zeitalter der Inklusion ist es natürlich ein no go, wieder alle in eigene Klassen je nach Problem zu stecken. Die s.g. Willkommensklassen kann man aufgrund von Lehrermangel ja auch nicht für jede Altersklasse, jede sprachliche Prägung usw. bis zum Abitur durchziehen. Oder soll ein Vierzehnjähriger, der noch kein Deutsch spricht, mit Sechsjährigen in eine Willkommensklasse gehen? Schon vor über 20 Jahren hat eine Lehrerin darüber geklagt, dass in der Grundschule früher zu Beginn etwas gesungen wurde oder die Kinder was erzählen durften, während aktuell (also vor 20 Jahren) es schon unmöglich war, da fast die erste Schulstunde gebraucht wurde, um die Kinder dazu zu bringen, nicht mehr herumzurennen oder unter den Tischen herumzukriechen um einen geordneten Unterricht zu starten.