Verführerin, neugieriges, ungehorsames Weib. Sünderin! Seit Jahrhunderten prägt die Bibel ein gefährliches Bild der Weiblichkeit - wobei die Würzburger Theologin Barbara Schmitz vieles nicht im Text begründet sieht. Sondern in Ängsten von Männern wie Augustinus und Michelangelo.
Das Missverständnis beginnt mit der ersten Frau. Eva war nicht schuld. "In der Geschichte selbst, in Genesis 2 und 3, steht nichts von Sünde und Schuld", sagt Barbara Schmitz. Die Bibel ist ihr Forschungsthema, den Text kennt die Würzburger Theologieprofessorin sehr gut. "Allgemein prägend sind eher die Meinungen, die sich dazu gebildet haben: Das, was vermutet wird, was da steht." Zum Beispiel, das Eva die Sünde in die Welt brachte.
"Diese Sicht ist bestimmt durch die spätere Wahrnehmung, die in dieser Weise durch Augustinus geprägt wurde." Schmitz erzählt, dass es eigentlich in dem Kapitel darum geht, wie der Mensch zum Menschen wurde. "Mann und Frau sind so eine Art Tongebilde. Sie müssen vom Baum der Erkenntnis essen, um zu begreifen, was gut ist und was böse." Erst dann können sie mit freiem Willen entscheiden. Der eigentliche Sündenfall ist die Geschichte von Kain und Abel. "Da hat der Mensch bereits von der Erkenntnis gekostet, kennt die Sünde, kann Gut und Böse unterscheiden - und mordet trotzdem."
Wenn Männer den Kopf verlieren Aber auch, wenn Eva als Urmutter der Sünde rehabilitiert wird, bleiben noch eine ganz Reihe suspekte Frauengestalten. Lucas Cranach der Ältere malte Salome und Judith als männermordende Vamps (siehe Bildergalerie): Beide dem Schönheitsideal der Zeit entsprechend, mit ähnlicher Kleidung - und abgeschnittenen Männerköpfen. Der von Johannes dem Täufer liegt auf einem Tablett vor Salome, während Judith den von Holofernes in der Hand hält. In der anderen hat sie das Schwert. Ansonsten sind die Posen identisch.
"Stark vereinfacht gesagt ist Judith im Text eigentlich die Gute, Holofernes der Böse. Bei Salome und Johannes dem Täufer ist es umgekehrt." Salomes Funktion in der Bibel ist eine Erklärung für den Tod von Johannes. Sie fordert seinen Kopf. Judith hingegen besiegt den Tyrannen Holofernes und rettet ihr Volk. Trotz der verschiedenen Hintergründe werden beide Frauen in Cranachs Gemälden gleichgesetzt. Er malt ein beängstigendes Frauenbild. "Beide gelten als Inbegriff der Femme fatale, obwohl der biblische Text entgegengesetzte Rollen mit beiden Frauen verbindet", sagt die 39-Jährige.
Als Frau in der katholischen Theologie Für die Spezialistin auf dem Gebiet des Alten Testaments gehören solche Fragen zum Beruf. Ob sie als katholische Theologin, Lehrstuhlinhaberin in einer Welt der Männer, mit ihren Interpretationen nicht aneckt? "Frauen sind zwar weit entfernt davon, in Universität und Kirche angemessen repräsentiert zu sein", sagt sie. "Aber auch wenn das vielleicht nicht zum Bild der katholischen Kirche passt: Es gibt bei uns keine Grenzlinie zwischen Männern und Frauen." In der Wissenschaft gibt es nur verschiedene Ansätze. "Die Bibel besteht nicht aus Texten, die vom Himmel gefallen sind, sondern aus solchen, die von Menschen geschrieben wurden. Und die müssen wir interpretieren."
Ein weiteres Beispiel dafür ist Lots Frau, oft als Inbegriff weiblicher Neugier gesehen, weil sie sich entgegen des Verbotes zur untergehenden Stadt Sodom umdreht und zur Salzsäule erstarrt. Schmitz erklärt, dass diese Geschichte wohl entstand, um eine ungewöhnliche Felsformation zu erklären. "So wie es bei uns lokale Legenden zur Eiche am Wegesrand gibt." Im biblischen Text werde das nicht bewertet. "Zurückblicken als Fehler zu interpretieren, halte ich für falsch. Man kann es auch umgekehrt sehen: Lots Frau wurde ein Denkmal in der Natur gesetzt."
Unbekannte Gottesbilder Alles Interpretationssache. Nicht nur die Frauenbilder, auch das Bild von Gott. Die Variante vom alten Mann mit Rauschebart stammt von Michelangelo. "Diese Vorstellung ist in der Renaissance wohl der Überlegung entsprungen, dass Gott ein alter Mann sein muss, wenn sein Sohn Jesus ein junger Mann ist." Vorher gab es kaum figürliche Gottesdarstellungen, und die Bibel liefert nun einmal Material für männlich geprägte Gottesbilder. Klar: der Herr, Gottvater.
Gott als Frau in den Wehen "Aber es gibt auch Schilderungen von Gott als Hebamme, als Gebärende, als Frau, die in den Wehen liegt, als Stillende", sagt Schmitz. "Wir kennen diese Bilder nur nicht. In unserer Tradition werden sie nicht rezipiert."
Die Theologin erinnert außerdem an Naturmetaphern: Gott als Fels, als Quelle oder Baum. "Durch diese Vielfalt ist es unmöglich, zu sagen: Gott ist ein Mann. Wir wissen nicht, wie Gott wirklich ist."