Traumreisen als Hilfe gegen chronische Schmerzen

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Traumreisen und Entspannungsübungen an einen fiktiven oder realen Ort lenken die Gedanken in positive Bahnen, das wirkt sich auf Schmerzen aus. Foto: Christian Dijkstal
Traumreisen und Entspannungsübungen an einen fiktiven oder realen Ort lenken die Gedanken in positive Bahnen, das wirkt sich auf Schmerzen aus. Foto: Christian Dijkstal

Autsch! Wer sich in den Finger schneidet oder auf einen Nagel tritt, fühlt Schmerz. Die Lösung im Akutfall ist ganz einfach - die meisten Menschen tun automatisch das Richtige. Bei chronischem Schmerz ist das allerdings anders. Er schafft eine Situation, die bis in die Depression führen kann. Hilfe bietet eine Therapie in der Schmerztherapeutischen Tagesklinik in Schweinfurt.

Bis zu vier Wochen dauert die ambulante Therapie, in der Ärzte, Ergotherapeuten, Psychologen und Physiotherapeuten neue Wege für das Leben mit chronischem Schmerz aufzeigen. Mit einem Bandscheibenvorfall begann bei Carmen C. (richtiger Name ist der Redaktion bekannt) vor zehn Jahren ein Weg, den sie heute als "verrückt und befremdlich" beschreibt.

Die ersten Schmerzen überging die Bad Kissingerin. Vollzeitarbeit, Haushalt, Garten, Kind und Mann müssen schließlich unter einen Hut gebracht werden. Und Freizeit gibt es nebenbei auch noch: Mountainbiken, Marathon laufen und Muscle Power lauten die Begriffe aus ihrem früherem Leben. Jede Minute wird ausgenutzt.
Pausen? Wozu? "Mir hat es Spaß gemacht immer noch mehr Leistung zu bringen", sagt sie.

Nach einem Unfall verstärken sich die Schmerzen an der Halswirbelsäule und im Arm und sie gehen auch nach Krankengymnastik, im Urlaub und durch Massagen nie ganz weg. "Plötzlich bekam ich Angst, mein Leben war geprägt vom Schmerz, der immer da ist, Tag und Nacht" beschreibt die Büroangestellte ihre Situation. Dass sie heute immer öfter gelassen mit ihrem chronischen Schmerz umgehen kann, das hat sie bei einer Therapie in Schweinfurt gelernt.

Individueller Theapie-Stundenplan

Jeder Patient erhält einen Stundenplan, bestehend aus Einzelgesprächen und Gruppenstunden ausgefüllt mit Aqua-Gymnastik, Besprechungen, Mototherapie, Muskelentspannung, Nordic-Walking, Physiotherapie, Schmerzbewältigung - dazu zählen auch Traumreisen - und Kreativzeit. In all diesen Einheiten stehen Aufklärung und Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund.

Weniger gefragt sind Hinweise auf Methoden wie Operationen oder die Erhöhung der Medikamentendosis. "Wir gehen neue Wege bei der Behandlung chronischer Schmerzen" sagt Jutta Albrecht, die Leiterin der Schmerzambulanz "und das heißt, möglichst viel Information weitergeben." Sie gestaltet ihre Ärztliche Informationsstunde wie eine Medizinvorlesung - allerdings so, dass sie auch Laien verstehen. Es geht um gängige Medikamente und um deren Wirkung. Und für einen Einblick in die Geschichte der Medizin, wofür Schmerz gut ist, wie das Nervensystem funktioniert und vieles mehr, bleibt ebenfalls Zeit. Die Patienten erfahren, dass das Gehirn bei akutem Schmerz auf sein Archiv zurückgreift.

Es erkennt die Situation und reagiert bei kleinen Verletzungen automatisch: Pflaster drauf, Steinchen aus dem Schuh und die Welt ist wieder in Ordnung. "Chronischer Schmerz entsteht schleichend und über einen längeren Zeitraum hinweg, oft wissen die Betroffenen nicht so genau, wann der Schmerz angefangen hat", erklärt Albrecht und die acht Teilnehmer im Seminarraum nicken. Wenn der Patient die Akutsituation beim Schmerz absichtlich oder unbewusst immer wieder übergeht und symbolhaft gesehen das "Steinchen aus dem Schuh" nicht entfernt, chronifiziert sich der Schmerz.

Nach Unfällen und Perfektionisten

Betroffen sind häufig Menschen, die Unfälle hatten, oder Personen, die sich in hohem Maß auf der Arbeit und in der Freizeit engagieren, möglichst perfekt sein wollen und das rund um die Uhr. Andererseits kann chronischer Schmerz beispielsweise in Form von Fibromyalgie (Faser-Muskel-Schmerz) - die Ursache ist noch ungeklärt - auftreten.

Bei den meisten Betroffenen krempelt der Schmerz das Leben komplett um: Sie fühlen sich schneller erschöpft, reagieren über, vernachlässigen soziale Kontakte und meistens besteht ein Defizit beim Bitten um Unterstützung. Ganz normale Vorgänge wie Autofahren, Restaurant- oder Kinobesuche werden zum Alptraum, denn der Schmerz begleitet sie überallhin und schränkt gewaltig ein. "Wichtig ist, dem Schmerz nicht zu viel Raum zu geben", gibt Psychologin Helga Zier den Patienten mit auf den Weg und zeigt eine Schmerzskala, deren Bereiche von eins bis zehn aufgeteilt sind. Nicht jeden Tag ist der Schmerz gleich stark, wird klar. Weiterhin lernen die Patienten, sich mit positiven Gedanken auf Attacken vorzubereiten.

"Gedanken beeinflussen das Befinden", so Zier und führt die Zusammenhänge zwischen Ärger und Schmerz aus: Schmerz kann die Bereitschaft erhöhen, sich zu ärgern, und Ärger kann den Schmerz verstärken. Auch wenn es schwer fällt: Anklagen und Schuldzuschreibungen wie "die Welt ist ungerecht, alle sind gesund, nur ich nicht" bringen nicht weiter. Vielmehr sollte jeder für sich glaubhafte, positive Botschaften formulieren und den chronischen Schmerz annehmen.

"Erst, wenn man den Schmerz akzeptiert, hat man die Basis geschaffen, ihn zu kontrollieren" hat Carmen C. gelernt, und auch, dass sie sich ständig überforderte. Natürlich sei sie traurig darüber, einen Teil ihrer Leistungsfähigkeit verloren zu haben, gibt sie zu, "aber es gibt immer eine Lösung." Statt quer durch den Wald zu brettern, fährt sie jetzt im Sommer mit dem Rad an der Saale entlang. "Das ist besser, als gar nicht zu fahren", findet sie, und wenn es mal wieder ganz stressig ist, dann denkt sie an "ihre" Gruppe in Schweinfurt, an das gemeinsame Lachen, an die Traumreise zu ihrem Wohlfühlort und daran, dass man sich immer wieder mal belohnen sollte.

Auch das zählt zur Therapie: Sich darum zu kümmern, dass es einem selbst gut geht, Aktivität entwickeln statt in Selbstmitleid zu verfallen. Hilfreich ist Bewegung. Denn das Schonverhalten, zu dem viele Patienten neigen, beschert langfristig gesehen noch mehr Schmerz. Aber wenn Carmen C. ab und zu überhaupt keine Lust auf irgendetwas hat, dann bleibt sie in ihrer Freizeit trotzdem einfach mal im Bett liegen - aus purer Freude am Nichtstun.

Information: Schmerztherapeutische Tagesklinik Schweinfurt, Gustav-Adolf-Str. 6-8, 97244 Schweinfurt, Tel.: 09721/720-6405.

Negative Gedanken

Situation: Ich habe starke Schmerzen.
Negativer Gedanke: Ich halte das nicht aus.
Negatives Gefühl: Ich bin niedergeschlagen.
Negative Körperreaktion: Alle Muskeln sind angespannt.
Negatives Verhalten: Ich ziehe mich zurück, ich verzichte aus Angst auf soziale Kontakte.

Positive Gedanken
Situation: Ich habe starke Schmerzen.
Positiver Gedanke: Vielleicht sind die Schmerzen bis morgen nicht mehr so schlimm.
Positives Gefühl: Ich bin zuversichtlich.
Positive Körperreaktion: Die Muskeln entspannen sich.
Positives Verhalten: Ich lenke mich ab und mache Entspannungsübungen.

Chronischer Schmerz
Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung, man spricht von chronischem Schmerz, wenn die Symptome länger als sechs Monate anhalten. Es gibt körperliche, psychische und soziale Gründe, die zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen. Chronische Schmerzen können nicht wie akute Schmerzen behandelt werden.

Akuter Schmerz
Akuter Schmerz hat den Charakter eines Warn- und Leitsignals. Er ist sinnvoll, denn ohne den akuten Schmerz wäre der Mensch nicht vor den Folgen von Verletzungen geschützt.
Der oft kurzfristige Schmerz signalisiert, zu handeln, durch die Maßnahmen wird die Gesundheit des Menschen erhalten.