In Kolitzheim an der Schweinfurter Mainschleife treffen wir überraschende Menschen.
Im Rathaus herrscht Verwirrung. "Schni-", sagt Moataz Al-Mostafa mit gespitzten Lippen, fügt ein betontes "ger" hinzu und dann noch ein "li". Erwartungsfroh schaut der junge Syrer den Mann im Bürgerbüro an. "Schniggerli?" Rainer Ullrich runzelt die Stirn. "Kenn ich nicht. Kennst du das?", fragt er seine Kollegin hinterm Tresen. Kopfschütteln. Er fragt weiter, ruft in die offenen Türen der Nebenzimmer hinein, bis endlich eine Mitarbeiterin sagt: "Na, das gibt's doch in Schwebheim bei der Kirchweih."
Gleich wird im Internet geschaut: Schnickerli gibt's nicht nur zehn Kilometer entfernt bei der "Schamer Kerm", das einstige Arme-Leuts-Essen gilt als Spezialität im Schweinfurter Mainbogen und wird in einzelnen Gasthäusern angeboten. Andernorts ist ähnliches als "Kutteln" oder "Saure Fleck" bekannt: Die einen ekeln sich wie verrückt, wenn sie sich nur vorstellen, auf Stückchen eines Rindermagens herumzukauen, die anderen schwören auf die regionale Delikatesse. Das ist überall in Franken so. Aber wie kommt der junge Syrer auf die Schnickerli?
Ein Syrer und fränkische Schnikerli
Moataz Al-Mostafa ist 29 Jahre alt, mit seiner Familie aus Aleppo geflüchtet und nach vielen Stationen im Kolitzheimer Ortsteil Zeilitzheim gelandet. Im Bürgerbüro wollte er einen neuen Behindertenausweis für seine Schwägerin beantragen. Dann traf er uns: Fotografin Barbara Herbst und ich, die Reporterin, sind gerade angekommen. Der Sommerserien-Pfeil hat uns hergeschickt und wir kennen hier noch nichts und niemanden. Aber wir wollen alles wissen. Wie ist das als Asylsuchender aus einer syrischen Großstadt in so einem kleinen Ort? Es gibt ja nicht einmal einen Lebensmittelladen, geschweige denn Zutaten für die arabische Küche.
Schönes Dorf, schöne Leute
In einem Ortsteil gebe es einen Supermarkt, sagt Verwaltungsmann Ullrich. Kolitzheim ist eine landwirtschaftlich geprägte Flächengemeinde von 60 Quadratkilometern. Etwa 5550 Menschen leben in den acht Dörfern. Moataz Al-Mostafa erzählt, dass er und seine Familie in Zeilitzheim die einzigen Syrer sind. "Das Dorf ist schön. In Aleppo sind viel mehr Autos. Flugzeuge. Bomben. Hier ist Ruhe." Er sagt, auch die Leute hier seien schön und meint wohl, dass sie gut sind. Zu ihm und seiner Familie. In der Stadt sei es schwer, Kontakt zu Deutschen zu finden. Im "Landekreis" ist's einfach. "Alle Nachbarn sind deutsch." Er gehe gern mit zu den Weinfesten. Als Muslim? Da lacht er. "Wein schmeckt gut." Aber Schweinefleisch gibt's bei ihm nicht, auch wenn er jetzt lernt, deutsch zu kochen. "Gulasch. Rindfleisch mit Sellerie." Und dann sagt er schön fränkisch: "Schniggerli".
Zu Besuch in der Pflege-WG
Als wir das Rathaus verlassen, landen wir nur zwei Häuser weiter in einer völlig anderen Welt. "Lebensoase" im "Haus Sonnenblume" heißt die Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Menschen. Wir klingeln. Sebastian Weidlich lässt uns rein. T-Shirt, Tätowierung, entspanntes Lächeln: Der 30-Jährige sieht nicht aus wie ein typischer Pfleger. Das macht die WG auch aus.
Wir reden im Aufenthaltsraum am großen Tisch, an dem Pflegekräfte und Bewohner gemeinsam ihre Mahlzeiten einnehmen. Mit Messer und Gabel vom Teller. Oder mit einem Schlauch durch die Magensonde. "Wir sitzen zusammen wie eine Familie", sagt Valentina Rebensdorf. Sie arbeitete vorher als Altenpflegerin. "Da lernst du in der Schule, wie es gemacht wird. Und dann kommst du in die Realität - und musst davon abweichen. Alles muss Zackzack gehen." Oft habe sie ein schlechtes Gewissen gehabt. Deshalb hat sie hier angefangen. "In der Intensivpflege habe ich Zeit", sagt die 32-Jährige.
Beim Waschen singt Heino
Das Haus ist drei Jahre alt, hell, modern. Die Türen zu den Zimmern stehen offen, und das gleichmäßige Geräusch der Beatmungsmaschinen lässt uns automatisch auch bewusst und tief atmen. "Manche Patienten laufen rum und können sogar reden", sagt Valentina Rebensdorf. Sie erzählt vom Sprachcomputer, den eine Bewohnerin mit den Augen bediente. Mit der Blickrichtung lässt sich bei dieser Technik der Mauszeiger auf dem Bildschirm bewegen. "Sie schrieb lange E-Mails." Jetzt geht das nicht mehr, die Frau kann mit Blicken nur noch zeigen, was sie mag und was nicht. Sebastian Weidlich sagt, es gehe immer darum, dass die Patienten sich wohlfühlen. Er erzählt von der Frau, die ihren Plattenspieler dabei hat. Bei der Grundpflege oder wenn er sie mit dem Igelball "durchbewegt", legt er Roger Whittaker auf. Oder Heino.