Wolfgang P.s Verteidigerin erhebt schwere Vorwürfe: Der Einsatz, bei dem ein Polizist ums Leben kam, sei der Versuch gewesen, "einen Querulanten zu zähmen".
Als sich die Aufzugstür im Sitzungssaal 600 öffnet, sind die ersten Schritte des Angeklagten etwas holprig. Begleitet von fünf Justizbeamten strauchelt Wolfgang P. und stolpert samt Aktenordner in Richtung Anklagebank. Ein kurzes Lächeln und ein Plausch mit seiner Anwältin, dann blickt der 49-Jährige herausfordernd in die Linsen der Fernsehkameras. Trotz Fußfesseln und Handschellen versucht P., sich selbstbewusst zu geben.
Für den Mann aus dem mittelfränkischen Georgensgmünd geht es an diesem Dienstagmorgen um sehr viel. P. ist des Mordes angeklagt. Er soll im Oktober 2016 bei einem Polizeieinsatz einen 32-jährigen SEK-Beamten erschossen haben. Vorsätzlich und hinterhältig, verschanzt hinter einem Mauereck in seinem Haus. Aus Sicht der Anklage wollte P. möglichst viele Beamte töten.
Angeklagter schweigt
Zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Nürnberg ist das öffentliche Interesse groß. Etwa 150 Medienvertreter haben sich akkreditiert, viele Interessierte sind gekommen. Sie wollen hören, was der kahlköpfige Mann, den die Anklage der sogenannten "Reichsbürger"-Bewegung zuordnet, zu den Tatvorwürfen sagt. Doch P. schweigt.
Stattdessen redet seine Anwältin. Der dilettantisch durchgeführte Einsatz im Oktober 2016 sei für die Einsatzleitung "ein Desaster", schimpft Susanne Koller bereits vor Prozessbeginn. Man habe ihren Mandanten jederzeit tagsüber bei der Arbeit oder "mit der Jogginghose auf der Couch" antreffen können.
Der überfallartige Einsatz in den Morgenstunden sei unverhältnismäßig und "armselig" gewesen. "Es war der Versuch, einen Querulanten zu zähmen."
Warum aber schießt P. elfmal auf Polizeibeamte, die vor seiner Wohnungstüre stehen? Ihr Mandant habe sich bedroht gefühlt und deshalb die Pistole geholt, die er unter seinem Kopfkissen aufbewahrt. Die Polizisten habe er nicht erkannt. "Es war ohrenbetäubend laut." Die Schüsse dienten alleine der Selbstverteidigung in einer Notwehrlage, die Schutzweste habe er erst nach der Schussabgabe angelegt. "Es geht ihm nicht gut. Er ist über den Tod des jungen Beamten zutiefst erschüttert."
Angst vor Kriminellen
Auch gegenüber Michael Wörthmüller hatte sich Wolfgang P. zu den Tatvorwürfen geäußert. Vor Gericht sagt der Forensische Psychiater, P. habe von einer Bedrohungslage "wie im 3. Weltkrieg" gesprochen. "Er berichtete von lautem Geschrei, einem hellen Lichtkegel." Aus "Angst vor Kriminellen" habe er zur Waffe gegriffen. Die Polizei habe er als solche nicht erkannt. "Er sagte, er habe niemanden töten wollen und könne sich nicht erklären, warum er in Panik geraten ist."
Generell sei er an einem "friedlichen Wandel" interessiert. Die Waffen dienten alleine der Selbstverteidigung, "weil es genügend Menschen gibt, die einem schaden wollen."
Schwerer Verkehrsunfall
Das Leben des Angeklagten ist bis heute ein ständiges Auf und Ab. Seine Mutter bringt sich um, als der Angeklagte sieben Monate alt ist. Er wächst bei den Großeltern auf, kämpft sich mehr schlecht als recht durch die Klassenzimmer.
Irgendwann arbeitet er erfolgreich als Vermögensberater. Schnelle Autos, 30 Angestellte: P. genießt das Leben. Ein schwerer Verkehrsunfall im Jahr 2001 wirft ihn aus der Bahn. "Ein Ereignis mit Relevanz", sagt Wörthmüller. P. trägt schwere Kopfverletzungen davon. Er muss den Beruf des Vermögensberaters aufgeben, bezieht viele Jahre eine Berufsunfähigkeitsrente. Weil ihm die ein Gericht irgendwann wieder verwehrt, widmet er sich der Selbstverteidigungskunst Wing Chun, bietet auch Kurse an.
Gleichzeitig macht er sich zunehmend Gedanken über die "ungewöhnlichen Dinge, die in der Welt passieren". Er recherchiert auf eigene Faust, verbringt bis heute 5000 Stunden vor dem Computer. Ergebnis: Da läuft einiges schief. P. legt sich immer häufiger mit Behörden an. Bei dem SEK-Einsatz am 18. Oktober sollten ihm rund 30 Waffen abgenommen werden, weil er als nicht mehr zuverlässig eingeschätzt wurde.
Weil die Situation an diesem Herbsttag außer Kontrolle gerät, sitzt Wolfgang P. seit knapp zehn Monaten im Gefängnis. Den Auftakt seines Mordprozesses verfolgt er interessiert, manchmal schüttelt er den Kopf oder nickt zustimmend.
Ein einziges Mal meldet sich Wolfang P. am ersten Verhandlungstag noch zu Wort. Als die Vorsitzende Richterin anhand seiner Ausweise die Personalien feststellen will, fällt ihr der Angeklagte ins Wort. "Diese Person bin ich nicht. Ich bin der freie Mensch Wolfgang."