Playmobil wird heuer 40 Jahre alt. In den Kinderzimmern der Welt leben inzwischen rund 2,7 Milliarden Figuren der fränkischen Firma. Sie kommen ohne Nase aus, wofür der Wissenschaftler Sacha Szabo seine eigene Interpretation hat.
Sie vermehren sich schneller als die Weltbevölkerung. Während diese um 2,6 Menschen pro Sekunde wächst, erblicken jede Sekunde 3,2 Playmobil-Figuren das Licht der Welt. Eine Nase haben sie nicht. Das hatten sie noch nie. Seit 1974 ist das so, als zunächst Ritter, Indianer und Bauarbeiter in den Kinderzimmern auftauchten.
Der Freiburger Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo hat seine eigene, wenn auch nicht ganz ernst gemeinte Theorie, warum die Playmobil-Figuren keine Nase besitzen. "Sie ist nicht notwendig, weil die Fortpflanzung bei Playmobil-Figuren anders funktioniert. Sie müssen sich nicht riechen und haben auch keine inneren Organe. Letzteres haben wir durch Röntgen festgestellt", sagt Szabo und lacht. Die Fortpflanzung laufe ganz ohne Nase - über das Netzwerk Mensch-Spritzgussmaschine.
7,5 Zentimeter in der Hand
Der vor fünf Jahren verstorbene Playmobil-Entwickler Hans Beck hatte die 7,5 Zentimeter großen Figuren anfangs zunächst mit Riechorgan geplant (siehe Skizze). Er verzichtete aber sofort darauf, weil ihm das Gesicht mit Nase zu clownesk erschien. Horst Brandstätter, Inhaber der Zirndorfer Firma Geobra Brandstätter, die sich hinter Playmobil verbirgt, hatte seinem Entwicklungsleiter Beck Anfang der 1970er Jahre den Auftrag zu diesem Systemspielzeug gegeben. Inzwischen wurden 2,7 Milliarden der Plastikfiguren hergestellt. Und die Geobra-Brandstätter-Gruppe mit ihren rund 3700 Beschäftigten erzielte 2012 einen Jahresumsatz von 591 Millionen Euro.
Wo liegt der Reiz an den in ihrem Gesamteindruck reduzierten Figuren? Sacha Szabo hat eine Erklärung: "Playmobil ermöglicht es Kindern, sich ein Bild von der Wirklichkeit zu machen, um die Wirklichkeit verarbeiten zu können." Als die Erfolgsgeschichte von Playmobil begann, war Szabo fünf Jahre alt. Mit sechs musste er ins Krankenhaus, bekam die Mandeln rausgenommen und kam erstmals mit dem Spielzeug aus Zirndorf in Berührung. "Da haben mir meine Eltern Playmobil-Krankenhausfiguren geschenkt", erzählt er. "Der verstörende Krankenhausaufenthalt wurde so durch Spielen verständlich gemacht. Spielen ist eine Möglichkeit, um bestimmte Eindrücke der Umgebung in das eigene Verständnis zu integrieren."
Die Playmobil-Figuren werden aber auch gerne von Erwachsenen genutzt. "Sie bieten die Möglichkeit, bestimmte Sachen des Alltags begreifbar zu machen.
Zum Beispiel nutzen Medien sie oft zur Illustration oder in der Werbung", hat Szabo dafür eine Erklärung.
Im Laufe von vier Jahrzehnten hätten sich die kleinen Modelle ein wenig dem Zeitgeist angepasst, hat der Unterhaltungswissenschaftler festgestellt. "Soziologisch ist das spannend: Heute gibt es in der Gesellschaft einen sehr starken Druck, individuell zu sein. Das spiegelt sich bei Playmobil wider. Die Figuren waren früher austauschbar. Krone runter, Bauhelm drauf, und aus dem König wurde ein Bauarbeiter. Jetzt sind die Figuren viel stärker individualisiert. Ähnlich wie im richtigen Leben, wo heute fast jeder ein Spezialist ist. Wenn er nicht gebraucht wird, wird er temporär arbeitslos. Und die Figur landet in der Ecke."
Aus pädagogischer Sicht kann die Playmobil-Familie gegenüber anderen Spielsachen punkten. Der Verzicht auf Gewalt wird von den Kunden weltweit honoriert.
Selbst die Cowboys erhielten erst nach Protesten von Kindern eine Pistole.
Frauen seit 1976
Es sind die menschlichen Züge der Playmobil-Figuren, womit diese laut Szabo zum Beispiel im Unterschied zu den Schlümpfen langfristig immer wieder auf Begeisterung stoßen. "Das ermöglicht, den Alltag nachzuempfinden", meint Szabo.
Aus sieben Einzelteilen besteht jede Figur: Unterkörper, Oberkörper, zwei Arme, Innenteil, Kopf und Frisur. Seit dem vergangenem Jahr können die weiblichen Figuren sogar immer neu eingekleidet werden - mit modischen Wechselkleidern und Röcken. Frauen gibt es in der Playmobilwelt seit 1976. Bis diese sich emanzipieren konnten, dauerte es aber eine Weile. "Erst seit den 1990er Jahren dringen sie in Männerrollen vor. So gibt es inzwischen nicht mehr nur die Krankenschwester oder die Königin, sondern auch Einbrecherinnen", sagt Szabo.
Eine schwangere Frau landete dagegen erst vor zwei Jahren erstmals in den Kinderzimmern.
3995 Figurenvarianten sind seit 1974 entstanden. Es gibt 149 verschiedene Tierarten - vom Schmetterling bis zum Schwertwal. Und seit 1978 segeln mehr als 16 Millionen Piratenschiffe durch die Kinderzimmer.