In Alzenau steht ein Polizist vor Gericht, weil er eine mögliche Körperverletzung nicht untersucht haben soll. Die damaligen Ereignisse rund um den Messerstecher liefern viele offene Fragen für den Prozess.
Von einem Messer wollen die am Tatort eingesetzten Polizisten nichts gewusst haben, Ermittlungen wegen einer möglichen Körperverletzung gibt es nicht - der Richter spricht von Schlamperei: Im Prozess um eine mutmaßliche Strafvereitelung im Amt durch einen Polizisten im fränkischen Alzenau gestaltet sich die Aufklärung der Vorfälle rund um eine mögliche Straftat des späteren Messerstechers von Aschaffenburg (28) schwierig.
Für den Prozess vor dem Amtsgericht Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) sind zwei Tage angesetzt. Am Dienstag könnte das Urteil gesprochen werden.
Schreie in Flüchtlingsunterkunft
Es ist die Nacht zum 30. August 2024. Die Polizei wird zu einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau gerufen, Bewohner wollen Schreie gehört haben. In dem Gebäude treffen die ersten beiden Beamten nach Darstellung der Staatsanwaltschaft auf den 28 Jahre alten Verdächtigen, der von Mitbewohnern fixiert wird. Der Afghane soll seine Freundin (45) in der Unterkunft gewürgt und angegriffen haben, vielleicht mit einem Messer, vielleicht auch nicht. Beide sind betrunken, die Frau wird laut Ermittlern nicht ernsthaft befragt.
Zwei weitere Polizisten treffen ein, einer macht Bilder von den Wunden der Frau. Der Mann - psychisch auffällig - kommt eine Nacht in Gewahrsam, kehrt aber am nächsten Tag wieder in die Unterkunft zurück. Ermittlungen werden nicht eingeleitet, eine mögliche Tatwaffe wird weder gesucht noch sichergestellt.
"Ich habe das Messer nicht gesehen", sagt eine in der Unterkunft lebende Ukrainerin vor Gericht. Aber sie habe Schreie gehört und Verletzungen gesehen. Eine andere Migrantin meint, ein Messer gesehen zu haben, zudem Blutspuren an der 45-Jährigen. Die Erinnerungen sind mehr als ein Jahr später vage. Das mutmaßliche Opfer erzählt am ersten Prozesstag: "Mit einer Hand hat er mich gewürgt und in der anderen Hand hat er das Messer gehalten."
Fünf Monate später eine Attacke mit Todesopfern
Rund fünf Monate später soll derselbe Mann im Aschaffenburger Park Schöntal zwei Menschen mit einem Küchenmesser getötet haben - möglicherweise im Zustand der Schuldunfähigkeit. Das Sicherungsverfahren gegen den Beschuldigten könnte in dieser Woche vor dem Landgericht Aschaffenburg enden. Die Staatsanwaltschaft will den Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen lassen.
Erst nach der bundesweit beachteten Bluttat geht eine Anzeige bei der Polizei wegen des Vorfalls in Alzenau ein. Die Staatsanwaltschaft Coburg ermittelt gegen vier damals eingesetzte Beamte, drei Verfahren wurden eingestellt. Der nun angeklagte 29-Jährige war damals Sachbearbeiter des Falls. Laut Staatsanwaltschaft hätte er erkennen müssen, dass eine gefährliche Körperverletzung vorliegen könnte – ermittelte jedoch nicht. Für den Ankläger ist das unverständlich und als Strafvereitelung im Amt zu werten.
Es entsteht der Eindruck, dass die Verantwortlichkeit oft bei den Falschen gesucht wird: Während die „Kleinen“ zur Rechenschaft gezogen werden, bleiben gravierende Fehler auf höherer Ebene folgenlos.
Besonders kritisch ist, wenn Gutachter oder Behörden Entscheidungen treffen, die später schwerwiegende Konsequenzen haben – ohne dass dies aufgearbeitet wird.
Solche Fälle werfen Fragen nach Transparenz und Verantwortungsbewusstsein auf.