"Gucken weg, bis einer tot ist": Freund von Opfer erhebt nach Bluttat in Lohr schwere Vorwürfe - Stadt reagiert

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Bluttat in Lohr am Main: Freund von Opfer erhebt schwere Vorwürfe - "gucken weg, bis einer tot ist"
Lee Blount aus Lohr am Main kannte den getöteten 14-Jährigen nach eigenen Aussagen von Kindesbeinen an.
Bluttat in Lohr am Main: Freund von Opfer erhebt schwere Vorwürfe - "gucken weg, bis einer tot ist"
Collage inFranken.de: Pia Bayer/dpa ; NEWS5 / Höfig

Nach dem gewaltsamen Tod eines 14-Jährigen in Lohr am Main übt ein Jugendlicher schwere Kritik an der Stadt. Der Bürgermeister bezieht gegenüber inFranken.de Stellung zu den Vorwürfen.

  • 14-Jähriger in Lohr am Main erschossen - Freund mit schweren Anschuldigungen 
  • Jugendlicher attestiert fränkischer Kleinstadt Drogen- und Gewaltproblem 
  • "Wissen nicht, wohin": 17-Jähriger mit Forderung
  • Bürgermeister und Vereinsfunktionär halten dagegen

Die Tat löste weit über die Grenzen Frankens Entsetzen aus: In Lohr am Main (Landkreis Main-Spessart) ist am Freitag (8. September 2023) ein 14-Jähriger erschossen worden. Bei dem Täter soll es sich um einen gleichaltrigen Jungen handeln. Ein Bekannter des Getöteten attestiert dem kleinen unterfränkischen Ort gleich zwei grundsätzliche Probleme. "Es hat alles erst Aufmerksamkeit bekommen, wenn ein kleiner Junge stirbt", klagt der 17-jährige Lee Blount gegenüber der Agentur News5. Der Bürgermeister weist derartige Anschuldigungen entschieden von sich. 

14-Jähriger in Lohr am Main erschossen - Freund meldet sich mit schweren Anschuldigungen zu Wort

Lee Blount kennt den erschossenen Schüler laut Eigenaussage, seitdem dieser ein Kleinkind war. "Er war wie ein kleiner Bruder für mich", berichtet er News5. "Er hätte überleben können", behauptet der 17-Jährige. Sein Unmut richtet sich diesbezüglich gegen die örtlichen Behörden. "Ich habe Wut und Fassungslosigkeit wegen Lohr am Main", sagt er. Die Stadt habe ein Drogenproblem, moniert Blount. "Die Jugendlichen wissen nicht, wohin mit ihrer Zeit und sie machen unüberlegte Dinge." Dies sei ein großes Problem, um das sich niemand kümmere. "Es wird auch nicht angesprochen, sondern einfach unter den Teppich geschoben", beklagt der Teenager. Stattdessen kümmere sich die Verwaltung vor allem um das Touristenimage.

"Ich hab hier und da mal gekifft, das ist gang und gäbe hier", berichtet Blount. "Ich bin in einem Alter hineingerutscht, wo es absolut nicht in Ordnung ist, damit überhaupt zu tun zu haben. Wo man noch mit Spielzeug spielt - und so ist es nicht nur mir ergangen", betont der heute 17-Jährige. Mit Blick auf Lohr spricht er zudem von einem Gewaltproblem. "Ich habe selber auch schon Gewalt erlebt und meiner Meinung nach handeln die Täter unüberlegt und wollen sich damit brüsten." Über die möglichen Folgen dächten sie dagegen nicht nach. Hemmungen und Respekt würden laut seiner Beobachtung immer weniger. 

Eine Ursache für die negative Entwicklung sieht er im - nach seiner Auffassung - unzureichenden Angebot für junge Leute in Lohr. "Es braucht mehr Freizeiteinrichtungen für Jugendliche, man müsste Jugendliche mehr fördern", sagt Blount. "In den Schulen müsste es mehr Möglichkeiten geben, sich zu öffnen, über Dinge zu reden, damit sich nichts aufstaut. In Lohr könne man nur wenig Dinge machen und "seinen Druck nicht abbauen", kritisiert der Teenager. "Hier gibt es niemanden, der es dir leichter macht, auch keine Organisation. Jeder mobbt sich dann noch untereinander. Die Leute gucken weg, bis einer tot ist", behauptet der 17-Jährige.

"Habe Verständnis, dass man wütend ist": Bürgermeister bezieht Stellung zu Vorwürfen

Auf Facebook beklagte derweil ebenfalls ein Mann, dass in Lohr am Main die Augen seit Jahren verschlossen würden. Er berichtet von Jugendlichen, die seit geraumer Zeit durch Pöbeln, Beleidigen, Vandalismus ihr Unwesen im Ort trieben. Den Teenagern werde diesbezüglich "kein Einhalt geboten", bedauert der Nutzer. "Es war nur eine Frage der Zeit, bis sowas passiert", hält er fest.

Lohrs Bürgermeister Mario Paul (parteilos) weist derartige Vorwürfe entschieden zurück. "Gleichzeitig habe ich aber Verständnis, dass man wütend und vielleicht auch zornig ist", betont er. Laut seiner Schilderung komme es in seiner Stadt - wie in vielen anderen Orten auch - immer wieder mal zu Betäubungsmitteldelikten, Sachbeschädigungen oder auch Schlägereien unter Jugendlichen. "Teilweise haben wir auch mit Jugendgruppen zu tun, die eine echte Herausforderung sind." Dies sei jedoch von Sommer zu Sommer verschieden. Ein generelles Gewalt- oder Drogenproblem gibt es laut seiner Schilderung in Lohr gleichwohl nicht.

Die Stadt ergreife diesbezüglich Präventivmaßnahmen. "Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Teilweise machen wir mit dem Ordnungsamt vor Ort Begehungen. Auch ich war hier schon dabei", sagt Paul. In Elternbriefen werde außerdem auch an die "Mitverantwortung" der Erziehungsberechtigten appelliert, ihre Kinder im Umgang mit Gewalt und Drogen bereits zu Hause zu sensibilisieren. 

Bürgermeister und Vereinsfunktionär halten Freizeitangebot in Lohr für ausreichend

Auch an entsprechenden Freizeitmöglichkeiten mangelt es in Lohr am Main dem Bürgermeister zufolge nicht. "Das grundsätzliche Angebot für junge Menschen ist gut. Wir haben unglaublich viele Vereins- und Hilfsangebote, die mit viel Herzblut betrieben werden." Bereits seit den 1970er-Jahren gebe es ein offenes Jugendzentrum. "Seit 2015 haben wir außerdem einen Stadtjugendpfleger", konstatiert Paul. Hinzu kämen unter anderem Aktivitäten von den Kirchen oder dem örtlichen Moscheeverein. Auch Ferienbetreuung, Fitnessstudios oder ein sogenanntes Boxcamp gebe es. "Ich denke, wir haben wirklich ein sehr gutes, reichhaltiges und für eine Kleinstadt mit 16.000 Einwohnern sehr passables Angebot", hält Lohrs Bürgermeister fest.

Ähnlich sieht es Ralf Stolle, Vorstand des TSV Sackenbach. Mehrere enge Familienangehörige des getöteten 14-Jährigen spielen dort Fußball. "Dass die Stadt nichts für Jugendliche bietet, sehe ich nicht", erklärt Stolle im Gespräch mit inFranken.de. "Es gibt ein Jugendzentrum, einen Skaterpark und Bolzplätze. Druck ablassen können die Jugendlichen zum Beispiel beim Boxcamp in Lohr", berichtet auch der Fußballfunktionär. "Ich finde nicht, dass es hier schlimmer ist als anderswo", hält Stolle fest, der als Polizist in Offenbach am Main arbeitet. Die hessische Großstadt sei im Vergleich zu Lohr "ein ganz anderes Kaliber"

Nichtsdestotrotz nimmt er einen Wandel der Jugend wahr. "Sie kommt viel früher in Kontakt mit Gewalt, Drogen und all den anderen negativen Aspekten. Das liegt aber vor allem an den sozialen Netzwerken, in denen diese Dinge präsent sind - und leider auch viel Hetze", sagt Stolle. Er selbst habe als Jugendlicher gebolzt und sei auf Bäumen herumgeklettert. "Aber die Zeiten ändern sich nun mal, dagegen kann man wenig tun", erklärt der Vereinsvorstand. "Man spricht ja häufig von einem schrecklichen Einzelfall - aber tatsächlich glaube ich nicht, dass man so etwas wirklich verhindern kann", hält er mit Blick auf die Bluttat in Lohr am Main fest. Weitere Nachrichten aus dem Main-Spessart-Kreis findet ihr hier.