Seit einiger Zeit stellen Behörden fest, dass vermehrt Staatsangehörigkeitsausweise beantragt werden. Viele Anträge werden "Reichsbürgern" zugerechnet.
Es klingt wie ein Witz, doch es ist keiner: Seit einiger Zeit wenden sich vermehrt Personen an Behörden, die sich selbst "Reichsbürger" nennen. Seit den tödlichen Schüssen in Georgensgmünd (Landkreis Roth) stehen sie nun im Fokus der Ermittler.
Die Gruppierung erkennt die Bundesrepublik Deutschland samt ihrer Ämter und Institutionen nicht an, stellt sich eigenmächtig obskure Ausweise und sogar "Reichsführerscheine" aus und bastelt phantasievolle Kfz-Kennzeichen. Die Mitglieder dieser Gruppen sind wohl ein buntes Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern und Rechtsnationalen. Der Verfassungsschutz warnt vor den "Reichsdeutschen" und ihren meist bizarr anmutenden Darstellungen.
Auch das Landratsamt Lichtenfels hat kürzlich Post von einer dieser Gruppen aus 85652 Landsham bekommen, deren Briefkopf ein - im Fax undefinierbares - Wappen ziert, das von zwei Löwen flankiert wird. "Bundesstaat Bayern" prangt in Frakturbuchstaben oben auf dem Schreiben. Darin wird "die Wiederherstellung des status quo ante (bellum) für die Staaten und den seit 1871 existierenden Staatenbund Deutsches Reich in den Reichsgrenzen 2 Tage vor Ausbruch des 1. Weltkriegs (2. Deutsches Reich)" gefordert. Unterzeichnet hat das Fax eine Monika a. d. F. Sedlmeir, Zusatz in Frakturschrift: "administrative Regierung des Bundesstaat(s) Bayern".
Krudes Beispiel aus der Praxis
Auszug aus dem 2015 erschienenen, unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten erstellten Handbuch "Reichsbürger" des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung: "Ein Polizeibeamter versteht die Welt nicht mehr. Er ist von einer kommunalen Bediensteten im Nordosten Brandenburgs um Amtshilfe gebeten worden. Ein Bürger, bei dem Steuerschulden eingetrieben werden sollten, hatte sich zuvor einen ,Rechtsbeistand' besorgt. Nun bedrängen die beiden Männer die Bedienstete und halten sie für mehrere Minuten im Haus fest. Erst als der Polizeibeamte eintrifft, wird sie freigelassen. Als der Polizist die Personalien der beiden Männer aufnehmen will, redet der ,Rechtsbeistand' auf ihn ein. So wird der Polizeibeamte in harschem Ton aufgefordert, sich auszuweisen. In Rage gerät der ,Rechtsbeistand', als der Polizist seinen Dienstausweis vorlegt. Er will den Dienstausweis des Beamten nicht anerkennen und bezichtigt ihn, illegal zu handeln. Der ,Rechtsbeistand' selbst will sich nur mit einem Fantasieausweis des ,Deutschen Reiches' ausweisen und betont, er sei nicht ,Personal der BRD' und besitze daher keinen Personalausweis. Der Polizist lässt jedoch nicht locker und verlangt den Personalausweis des ,Rechtsbeistandes'. Dieser beginnt zu toben und wirft dem Beamten vor: ,Ihr eigener Innenminister kennt noch nicht mal seine eigenen Gesetze'."
Im Kreis Lichtenfels sind zwar noch keine "Reichsbürger" renitent aufgetreten, doch ihre ihre wirklichkeitsfremden Forderung haben sie schon nachdrücklich und wortreich vertreten. Im Landratsamt sei "vermehrt seit Ende letzten Jahres" das Interesse an Staatsangehörigkeitsausweisen gestiegen, sagt Landrat Christian Meißner (CSU). Von den insgesamt 38 ausgestellten Urkunden seien wohl 36 den "Reichsbürgern" zuzuordnen.
Das Landratsamt Lichtenfels, sagt Achim Liesaus, Leiter des Sachgebiets Öffentliche Sicherheit und Ordnung, stelle diese Urkunden für eine Gebühr von 25 Euro aus. In seltenen Ausnahmefällen sei dieses Papier wirklich erforderlich, wenn zum Beispiel jemand im Ausland studieren will.
In anderen Landkreisen, so die Erfahrung von Christian Meißner, gebe es ebenfalls eine verstärkte Nachfrage nach diesen Ausweisen. Der Landrat zu dem aktuellen Geschehen in Georgensgmünd: "Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Tat im Landkreis Roth sind wir derzeit am Prüfen, wer von den sogenannten Reichsbürgern im Besitz einer Waffe ist. Wer sich nicht zu unserem Staat bekennt, hat meiner Ansicht nach auch kein Recht auf den Besitz einer Waffe, dessen Genehmigung der gleiche Staat ausstellt, den diese Bürger ablehnen."
Bei der Polizei im Kreis Lichtenfels sind keine Aktivitäten der "Reichsbürger" aktenkundig, erklärt der Lichtenfelser Inspektionsleiter Willibert Lankes.
Das Internet ist indes voll mit Einträgen der skurrilen Art. Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen klagen, dass sie inzwischen häufiger mit "Reichsbürgern" konfrontiert seien. Mancherorts nennen sich diese Gruppen "Freistaat Preußen" oder eben "Bundesstaat Bayern". In einer Reportage der "Süddeutschen Zeitung" (5. Juni 2016) werden diese Gruppen so beschrieben: "Laut Verfassungsschutz eine Mischung aus, Bedeutungssüchtigen, Geschäftemachern, Tricksern, Querulanten, aber auch ernsthaft Überzeugten, psychisch Kranken, Betrogenen, Verzweifelten und Träumern."
Im eingangs zitierte Handbuch heißt es: "In mitunter aggressiver Weise treten dort Bürger auf und verbreiten wilde Verschwörungsfantasien. Sie sehen in der Bundesrepublik Deutschland keinen souveränen Staat, weil er gar nicht existiere. Demnach gebe es auch keine Regierung. Selbiges gelte für Kommunen und Landkreise. Jegliches staatliches Handeln wird als illegitim aufgefasst. Somit seien alle Gesetze, Bescheide und Gerichtsurteile nichtig. Sie behaupten ferner, die Bundesrepublik Deutschland sei eigentlich ein Unternehmen namens ,BRD GmbH'. Dementsprechend weigern sie sich, eine ,Geschäftsbeziehung' mit dieser ,GmbH' einzugehen und zahlen weder Steuern noch kommunale Gebühren, Abgaben oder Bußgelder. Stattdessen nehmen manche von ihnen sogar Gerichtsverhandlungen und Erzwingungshaft in Kauf. Andere wiederum geben ihren Personalausweis bei der Gemeinde- oder Stadtverwaltung ab. Als Begründung führen sie an, nicht mehr ,Eigentum' oder ,Personal' der ,BRD GmbH', sondern Angehörige des ,Deutschen Reiches' zu sein. Um das zu untermauern, hantieren sie mit eigens erstellten Fantasiedokumenten wie ,Reichsausweisen' oder ,Reichsführerscheinen' herum."
Keine Postleitzahlen im Ausweis
Landrat Meißner hat einen solchen Fall in seiner Sprechstunde erlebt. Eine Bürgerin habe angemahnt, ihren Staatsangehörigkeitsausweis ohne Postleitzahl (denn die gab es 1914 noch nicht) erstellt zu bekommen. Er habe darauf geantwortet, dass dann aber auch nicht "Landkreis Lichtenfels" darin stehen dürfe, denn zu dieser Zeit habe ihr Wohnort zum Bezirksamt Staffelstein gehört - nicht
Bad Staffelstein wohlgemerkt, denn diesen Titel hatte die Stadt im 20. Jahrhundert noch nicht.
Das Kuriositätenkabinett ließe sich ins Uferlose verlängern. Wer im Bekanntenkreis fragt, wird erstaunt sein, wie viele Menschen sich schon einmal mit diesen Dingen, die zur Kategorie "Moderne Mythen" zählen, beschäftigt haben.
Denn was soll man davon halten, wenn jemand die Zahl der Federn an den Flügeln des Bundesadlers zählt, dies in Relation zu höheren Federzahl des Reichsadlers setzt und daraus eine Bedeutung ableitet?
Wer sind die "Reichsbürger"?
Definition Die Reichsbürgerbewegung umfasst mehrere uneinheitliche, sektenartige Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern, die sich selbst als "Reichsbürger", "Reichsregierung", "Staatsangehörige des Freistaates Preußen" oder "Natürliche Personen" bezeichnen. Sie entstand in den 1980er-Jahren und tritt seit 2010 verstärkt in Erscheinung.
Zu ihrer Ideologie gehört die Ablehnung der Demokratie und häufig die Leugnung des Holocausts. Ihre Anhänger behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort, aber - entgegen ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre - nicht in Form der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr werde das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 (oder den Grenzen von 1914, je nach Gruppe) durch eine "kommissarische Reichsregierung" (KRR) oder Ähnliches vertreten.
wikipedia
Studie Das zitierte Handbuch "Reichsbürger" des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung ist im Internet auf der Seite www.verfassungsschutz.brandenburg.de als Dokument im pdf-Format einzusehen.