Knapp die Hälfte seiner 26 Therapiewochen hat er hinter sich. Der Alltag in der Klinik gibt ihm Halt, schafft Struktur. Viktor organisiert als Kulturwart Ausflüge für die anderen Patienten, etwa zum 1. FC Nürnberg und nach Geiselwind. Wenn er nicht gerade im Kraftraum schwitzt oder an einer der zahlreichen Gruppensitzungen teilnimmt, kümmert er sich um die kleine Patientenbibliothek. Dass Sucht eine Krankheit ist, die es zu behandeln gilt, hat Viktor verstanden. Dies ließe sich zumindest wohlwollend aus seiner Aussage herauslesen: "Hier ist es wie im Kurhotel - nur mit mehr Kontrolle".
An den Konsum denkt er gerade nicht. Er versucht es zumindest. "Von 100 auf Null", meint Viktor, während er ständig an dem silbernen Kreuz herumfummelt, das an einer Kette um seinen Hals hängt. "Nein, besonders religiös bin ich nicht. Aber meine Eltern hatten mir das mit der Bitte geschenkt, ich solle es nicht für Drogen verscherbeln." Dass er es tatsächlich noch hat, erfüllt ihn mit Stolz. Und mit eben jener Zuversicht, die ihn glauben lässt, die Entwöhnung endlich zu schaffen. Ob er wieder Drogen nehmen wird? "Nie mehr. Mir bleibt ja auch gar nichts anderes übrig."
Suchttherapeut im Interview: "Abhängigkeit lässt sich nicht heilen"
Maximilian Straif ist therapeutischer Leiter der auf Suchterkrankungen spezialisierten Bezirksklinik Hochstadt (Landkreis Lichtenfels), die zu den Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken gehört. Im Interview spricht er über Herausforderungen und warum die Kriminalisierung von Konsumenten nicht hilfreich ist:
Lässt sich eine Suchterkrankung überhaupt heilen?
Maximilian Straif: Abhängigkeit ist eine chronische Krankheit, beziehungsweise ein gut gelerntes Verhaltensmuster. Eine "Heilung" in diesem Sinne gibt es nicht, so wenig wie man seine Vergangenheit vergessen kann. Man kann nur lernen, alternative Verhaltensmuster aufzubauen und zu verinnerlichen.
Wie hoch ist die Erfolgsquote?
Das geht nicht pauschal zu beantworten, es ist von Substanz zu Substanz unterschiedlich. Generell beenden bei uns gut 60 Prozent der Patienten die Therapie erfolgreich. Patienten kommen recht häufig wieder, wobei es bei einigen auch als Erfolg gewertet werden kann: Weil sie wieder Hilfe suchen, wenn es nicht klappt.
Gibt es die "gefährlichste" Droge?
An sich gibt es nicht die eine "gefährlichste" Droge, es ist immer eine Frage der Passung von Person und Droge. In Franken und anderen grenznahen Regionen ist das Thema Methamphetamin sehr präsent, auch Alkohol spielt eine große Rolle. Generell gibt es natürlich besonders gefährliche Substanzen und Konsumformen, bei denen schnell Überdosen entstehen wie etwa bei Opiaten. Andere Substanzen sind gefährlich wegen ihrer harmlosen Erscheinung (zum Beispiel Synthetische Cannabinoide als "legale" Alternative zu THC), die aber stark abhängig machen und eine hundertfach stärkere Wirkung haben können.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Suchttherapeut?
Als besondere Herausforderung sehe ich die Zunahme von "Neuen psychoaktiven Substanzen" (NPS) mit ihrem massiven Abhängigkeitspotenzial. Sie werden im Internet bestellt, Inhaltsstoffe sind für Konsumenten nicht nachzuvollziehen. Meistens sind die Wirkungen unberechenbar und stärker als bei herkömmlichen Drogen.
Eine liberale Drogenpolitik ist in Bayern nicht in Sicht. Richtig so?
Eine Verurteilung kann Abhängigen ein Anlass sein, sich Hilfe zu suchen. Allgemein verhindert die Kriminalisierung aber, den Menschen effektiv zu helfen. Eine staatliche Kontrolle der Substanzen ist unmöglich und fördert den Schwarzmarkt.
Kommentar des Autors zur Drogenpolitik
Fakt ist: Niemand kann noch mehr Abhängige hervorbringen wollen. Dass die Zahl der Drogentoten in Bayern 2018 stark gesunken ist, klingt gut. Weniger Überdosen von Heroin und dem Schmerzpflasterwirkstoff Fentanyl - auch das klingt gut. Wer aber mit Sozialarbeitern, Lehrern und Suchttherapeuten spricht, bekommt die Lage anders geschildert. Schon an Schulen wird gekifft, geschnüffelt und gezogen. Dagegen muss vorgegangen werden; Dealer müssen bestraft und Hintermänner aus dem Verkehr gezogen werden. Doch das ist nur eine Seite der Medaille.
Solange die beliebtesten Volksdrogen Alkohol und Tabak weiterhin werbewirksam wüten können, wird es schwer sein, Konsumenten illegaler Stoffe mit der Moralkeule zu drohen. Hochprozentiges als identitätsstiftend anzupreisen und Cannabisrauchende als Verbrecher abzustempeln, passt nicht zusammen. Um den Konsum weicher (illegaler) Substanzen nicht ausufern zu lassen, helfen nicht noch mehr Polizeikontrollen. Sondern Aufklärung und Zuwendung. Und die Gewissheit, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.