Ist jemand, der unvermittelt ins Büro seines Bürgermeisters platzt, ein Wutbürger? Nein, für mich ist das eher ein Mutbürger, weil er sich etwas traut.
Die Frage, was so wichtig oder interessant ist, dass es am nächsten Tag in der Zeitung stehen sollte, beschäftigt uns Journalisten Tag für Tag. Ein Beispiel, was Relevanz bedeutet, habe ich in meiner Ausbildung gelernt: Die Nachricht "Hund beißt Mann" lockt kaum jemanden hinter dem Ofen hervor, heißt es jedoch "Mann beißt Hund", dann muss das zwingend ins Blatt.
Wer seine Meinung öffentlich sagt, hat Mumm
Manchmal wundere aber auch mich über so manche Schlagzeile - durchaus in der eigenen Zeitung. So am letzten Freitag, als wir auf unserer Frankenseite über einen "Wutbürger im OB-Büro" berichteten. Hallo! Geht's noch? Genau da gehört er doch hin! Ich finde es klasse, dass ein Mensch den Mumm hat, seinen Frust direkt beim Rathauschef abzuladen.
Für mich ist der Begriff Wutbürger hier völlig falsch, Mutbürger wäre in diesem Fall richtig gewesen.
Wo sonst als bei meinem (Ober-)Bürgermeister soll ich denn meine Probleme vorbringen? Genau dafür wurde er doch gewählt. Genau dafür wird er auch bezahlt. Volksnähe zeigt man doch nicht, wenn man - umgeben von vier Bodyguards - in einem Festzelt ein Fass Bier anzapft. Volksnähe zeigt man, wenn man sich dem Bürger stellt, im Zweifel überall und rund um die Uhr. Auf jeden Fall aber im Büro im Rathaus.
Ab in den Papierkorb
Nein, Wutbürger sind für mich etwas anderes. Das sind für mich die, die - meistens auch noch unter falschem Namen - in den (gar nicht so) sozialen Netzwerken allen möglichen Blödsinn absondern. Wenn ich den ganzen Mist lese, könnte ich zum Wutredakteur werden. Echt.
Wieder erinnere ich mich an meine Ausbildung. Was mussten wir tun, wenn uns jemand anonym seine Meinung mitteilen wollte? Richtig: Wir mussten den Brief dahin tun, wo er hingehörte, in den Papierkorb. Das waren halt noch Zeiten.
Der Begriff Wutbürger ist eine Erfindung der Medien, um unliebsame Bürger die ihre Meinung äußern in Misskredit zu bringen.
Leider entfernen wir uns immer mehr von demokratischen Verhältnissen. Und viele Menschen haben bereits Angst ihre Meinung öffentlich zu bekunden.
Dazu tragen auch Skandale, wie der um CDU-Ministerkandidat Sascha Ott, der die falsche Partei bei facebook geliked hat, bei.
Wenn man bedenkt, dass Herr Ott auf persönliches Drängen von Merkel abgesägt wurde, erkennt man, dass wir schnurstracks auf eine DDR2.0 zusteuern.