Wirte klagen: Bürokratie-Gigantismus macht uns kaputt

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Nicht nur in die Speisekarte, sondern auch in einen Ordner, in dem alle allergenen Stoffe deklariert werden, können die Gäste der Willmersreuther "Linde" künftig schauen. Über einen überbordenden Bürokratieaufwand klagt Wirtin Brigitte Schelhorn. Foto: Alexander Hartmann
Nicht nur in die Speisekarte, sondern auch in einen Ordner, in dem alle allergenen Stoffe deklariert werden, können die Gäste der Willmersreuther "Linde" künftig schauen. Über einen überbordenden Bürokratieaufwand klagt Wirtin Brigitte Schelhorn. Foto: Alexander Hartmann
Gastwirtin Ilse Vogel-Jäger verbringt immer mehr Zeit mit Büroarbeit. "Die Allergiker-Verordnung umzusetzen, erfordert einen gewaltigen Zeitaufwand", sagt die Kasendorfer Gastwirtin.
Gastwirtin Ilse Vogel-Jäger verbringt immer mehr Zeit mit Büroarbeit. "Die Allergiker-Verordnung umzusetzen, erfordert einen gewaltigen Zeitaufwand", sagt die Kasendorfer Gastwirtin.
 
Marianne Fuchs
Marianne Fuchs
 

Nach dem Rauchverbot und der Mindestlohn-Regelung setzt den Gastronomen die Allergiker-Verordnung zu, die auch so manch Betroffener für überflüssig hält. Ernährungswissenschaftler sehen allerdings einen "Schritt in die richtige Richtung".

Ihr Arbeitsplatz ist die Küche, der Tresen und die Wirtsstube. Statt an Herd und Zapfhahn verbringen Gastwirte aber immer mehr Zeit am Schreibtisch und Computer. Ordner werden gewälzt, Unterlagen gefertigt: erst das Rauchverbot, dann die Mindestlohn-Regelung, und jetzt muss auch noch die Allergiker-Verordnung umgesetzt werden, die offiziell Lebensmittel-Informations-Verordnung heißt.

"So macht man die kleinen Wirtschaften kaputt", sagt Brigitte Schelhorn, die das Gasthaus "Zur Linde" in Willmersreuth betreibt. Sei schon die Mindestlohn-Regelung ("Uns ärgert nicht der Lohn selbst") durch die Pflicht zur exakten Dokumentation der Arbeitszeit eine Zumutung, so setze die Allergiker-Verordnung dem Bürokratie-Gigantismus nun die Krone auf, schimpft Schelhorn.

Großer Arbeitsaufwand
Wie vielen Wirten, aber auch Bäckern und Metzgern bereitet auch ihr diese Kopfzerbrechen. Allergische Stoffe in Lebensmitteln (siehe "Die Verordnung"), die bei der Zubereitung der Gerichte verwendet werden, müssen gekennzeichnet werden. Deklariert werden müssen beispielsweise glutenhaltiges Getreide, Eier, Milch, Senf oder auch Sellerie sowie die daraus gewonnenen Erzeugnisse. Brigitte Schelhorn will die allergenen Stoffe in einem Ordner vermerken, den der Kunde auf Verlangen ausgehändigt bekommt. Den zu erstellen gleiche einer Doktorarbeit. Mit Bruder Horst und ihrem Mitarbeiter Volker Pausch forsche sie im Computer, "was wo enthalten ist". "Der Aufwand ist enorm. Und interessieren wird es am Ende keinen Kunden", glaubt Schelhorn.
Sie beklagt, dass Vereine und Verbände, die Feste ausrichten, anders als Gaststätten "Narrenfreiheit haben". "Die müssen nichts dokumentieren. Das soll mir mal einer erklären."

"Maßlos übertrieben"
Ilse Vogel-Jäger, Gastwirtin in Kasendorf, hält die Verordnung für "maßlos übertrieben". Wer auf Lebensmittel allergisch reagiere, wisse das. "Bei mir haben Allergiker bisher von sich aus gefragt, was ich für sie kochen kann." Doch der Wirtin bleibt keine Wahl. Sie muss die Speisekarte zur Hand nehmen, herausfinden, welche allergenen Stoffe sie verwendet . Auch Ilse Vogel-Jäger setzt auf den Ordner. "Ich werde in der Speisekarte hinter jedes Gericht Buchstaben setzen, deren Bedeutung im Ordner erläutert wird."

Großer Aufwand
Wie aufwendig das ist, macht sie anhand der Leberknödelsuppe deutlich. Da verwende sie neben der Leber auch Eier, Paniermehl, Butter, Muskatnuss, Majoran und Semmelbrösel sowie Brühe aus ausgekochten Kochen, in denen Wurzelgemüse enthalten ist. Auch wenn sie die Inhaltsstoffe nur durch Buchstaben abkürze, entstehe ein ganz schöner Buchstabensalat. "Da hätte ich ja allein bei der Suppe das Alphabet fast durch." Die Industrie mache es sich da leicht. "Da heißt es nur: Dieses Produkte könnte Spuren von Sellerie enthalten", sagt Ilse Vogel-Jäger und stellt fest: "Man müsste ja Lebensmittelchemiker sein, um keinen Fehler zu machen."

Dass die Verordnung durchaus Sinn macht, sagt Ernährungswissenschaftlerin Tina Langenscheidt vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Es sei "ein Schritt in die richtige Richtung", so die Expertin, die betont, dass für den Verbraucher nun Transparenz geschaffen werde. Transparenz, die etwa für die eine Hilfe sei, die ihr Essen aus einer Großküche beziehen, würden dort doch oft Fertigprodukte eingesetzt, die viele allergene Stoffe enthielten.

Eine Allergikerin
Die Gastronomen klagen, Verbraucherschützer und Ernährungsberater begrüßen die neue Verordnung. Und was sagen die Allergiker selbst? Es gibt viele, die sich darüber freuen, dass Klarheit geschaffen wird, aber auch andere, die bezweifeln, dass die neue Vorschrift überhaupt erforderlich ist. So die Kulmbacherin Marianne Fuchs, die Stammgast bei Ilse Vogel-Jäger ist. Fuchs leidet unter einer Lactose- und Fructose-Unverträglichkeit, wird aber künftig nicht in den Ordner schauen, sondern weiter das Gespräch mit der Köchin suchen. "Ob bei der Ilse oder auch in einer anderen Gaststätte. Ich hatte nie Probleme. Ich habe immer was bekommen, was mir schmeckt und was ich vertrage."

"Sollte jeder selber wissen"
Beim Kalbsrahmbraten lässt sie sich die Soße extra servieren ("Da nehme ich wenig"), den grünen Salat lässt sie nicht mit Joghurtdressing, sondern mit Essig und Öl anrichten. "Und beim Italiener bestelle ich die Pizza eben ohne Tomatensoße", sagt Fuchs, die auf den gesunden Menschenverstand setzt: "Jeder Allergiker sollte selbst wissen, was er essen kann und von was er am besten die Finger lässt."