Kleine Bäckereien werden immer seltener. Auch die Lindauer müssen sich aktuell in Verzicht üben. Denn ihr Bäcker Reinhold Schwab hatte einen Unfall.
Seit fünf Wochen herrscht in Lindau Ausnahmezustand, denn von jetzt auf gleich musste die heimische Bäckerei schließen. Der Grund: Bäcker Reinhold Schwab (58) hatte einen Fahrradunfall. Bei einer Tour mit seiner Frau ist er in eine Wiese geraten und gestürzt. "Ich habe eine künstliche Hüfte bekommen", erzählt der Bäcker selbst. Das bedeutete: Krankenhaus, und nach der Operation musste er drei Wochen zur Reha. Seitdem ist die Bäckerei zu. Denn unglücklicherweise hatte genau zum selben Zeitpunkt Bäckerin Christine Knorr, die zwei oder drei Mal pro Woche in der Backstube tätig ist, eine Knieoperation. In der Backstube helfen normalerweise noch Reinhold Schwabs Ehefrau Christine und seine 80-jährige Mutter Renate mit. Doch allein ist der Backbetrieb nicht zu bewerkstelligen, merkten die beiden schnell.
"Jetzt haben wir den Salat. Es herrscht Notstand. Seit mehreren Wochen sind wir ohne Bäckerei, ohne frische Brötchen und wir merken, dass uns unser Laden sehr fehlt. Man kann nicht schnell mal zum Bäck', um einen Kuchen holen, weil Kaffeegäste kommen. Die Brötchen, die man sich notgedrungen mal im Discounter mitnimmt, sind gegen die Brötchen von unserem Bäcker zum Abgewöhnen", sagt Kundin Susanne Hofknecht. "Wir sind froh und auch etwas stolz, noch eine Bäckerei im Dorf zu haben", so Hofknecht.
Sie ist nicht die Einzige, die den Bäcker vermisst. "Natürlich kaufe ich immer bei unserem Bäcker im Ort ein. Brot, Brötchen, Kuchen - man ist die Qualität gewöhnt, und es fehlt. Man muss jetzt immer fahren", erklärt Renate Leppert. "Ich gehe schon immer morgens um halb sechs Uhr zum Bäcker, hole frische Brötchen. Man braucht kein Auto - das ist eine feine Sache", schwärmt Luise Hübner vom heimischen Bäcker. "Ich freue mich schon, wenn es wieder frische Brötchen aus Lindau gibt", sagt sie.
Lange muss sie nicht mehr warten. Denn Bäcker Reinhold Schwab befindet sich auf dem Weg der Besserung. Am Wochenende probiert er aus, wie viel er sich schon zumuten kann. Er möchte die Brötchen fürs Brunnenfest liefern. Einige Hundert Brötchen kann er schon backen, traut er sich zu. Und natürlich backt er ein paar mehr als die Bestellten, damit die Stammkundschaft auch zum Zuge kommt. Wenn alles gut läuft, wird die Bäckerei Mitte oder Ende Juli wieder ganz aufmachen. "Ich muss einfach schauen, was ich schaffe", sagt Schwab.
Auch der Bäcker selbst hat ein großes Interesse, so schnell wie möglich wieder zu öffnen. Als Selbstständiger bedeutet der Ausfall für ihn, ohne Einkommen zu leben. Und die Kosten laufen weiter. Bäcker Reinhold Schwab geht es wie vielen kleinen Handwerksbäckereien. Die Nachfolge ist nicht gesichert. Niemand möchte mehr Bäcker werden. Der ältere Sohn hatte kein Interesse. Der jüngere Sohn hätte sich mit dem Beruf anfreunden können. "Aber mein Sohn hat die Lehre angefangen und eine Allergie bekommen", sagt Reinhold Schwab. Also ging er in die Brauerei. "Kleine Bäckereien wie unsere sind ein Auslaufmodell. Jeden Tag schließt eine Bäckerei und eine Metzgerei", bedauert Schwab.
In Bayern gibt es aktuell noch 2253 Bäckerei-Betriebe (vor zehn Jahren waren es noch 3500). Diese Bäckereien betreuen 7600 Verkaufsstellen. Auch Reinhold Schwab hat neben dem Standort in Lindau noch eine Filiale in Forstlahm. Noch dramatischer sehen die Zahlen deutschlandweit aus: Denn von 55.000 Bäckereien, die es in den 1950er Jahren gab, existieren aktuell nur noch 9965, so der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerkes.
Dass junge Leute keine Ausbildung mehr zum Bäcker machen möchten, liegt sicher mit an den Arbeitszeiten. Reinhold Schwab steht um halb drei Uhr auf und arbeitet bis 12 Uhr mittags, samstags bis 14 Uhr. Dann schläft er einige Stunden. "Man schläft nie lange am Stück, sondern immer in Etappen. Das merkt man schon", gibt der Bäcker offen zu. Ein wichtiges Ritual in seinem Leben ist das gemeinsame Kaffeetrinken am Nachmittag. Mit selbstgebackenem Kuchen selbstverständlich.