Warum uns die Ukrainer näher stehen als andere Geflüchtete

2 Min
Georg Kamphausen ist Professor für Soziologie an der Universität Bayreuth.
Georg Kamphausen ist Professor für Soziologie an der Universität Bayreuth.
Martin Kreklau

Ukrainer dürfen sich bei uns willkommen fühlen, Geflüchtete aus anderen Ländern haben es dagegen oft schwer. Das hat viel damit zu tun, dass die Neuankömmlinge nicht als Fremde empfunden werden, sagt der Bayreuther Soziologe Georg Kamphausen.

Geflüchtete aus der Ukraine werden mit offenen Armen empfangen. Wohnung, Arbeitserlaubnis - alles geht schneller und unbürokratischer als bei der letzten großen Flüchtlingswelle ab 2015. Die Bereitschaft der Deutschen, in jeder denkbaren Weise zu helfen, ist überwältigend.

Warum wir angesichts des Krieges in der Ukraine bereit sind, viel mehr zu tun als für Geflüchtete aus anderen Ländern, darüber haben wir mit dem Soziologen Georg Kamphausen von der Universität Bayreuth gesprochen. Der 67-Jährige ist Professor an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät und sieht gleich mehrere Gründe dafür, dass wir die Ukrainer ganz anders wahrnehmen als Asylsuchende aus anderen Ländern. Und er hält uns einen Spiegel vor, der auch Widersprüche und unbequeme Wahrheiten zeigt.

Warum stehen uns die Geflüchteten aus der Ukraine näher als die aus anderen Ländern?

Georg Kamphausen: Sie sind Europäer, Nachbarn, es gibt viele historische Verflechtungen zwischen unseren Ländern. Lemberg (Lwiw) und andere ukrainische Städte waren früher einmal Dreh- und Angelpunkte Europas.

Was hat sich durch Putins Angriff auf die Ukraine in unserer Wahrnehmung verändert?

Bei allen Europäern sitzt der Schock sehr tief, dass es bei uns in Europa einen Krieg gibt. Im Gegensatz zu militärischen Auseinandersetzungen in anderen Ländern steht jetzt plötzlich zur Debatte, dass dieser Krieg noch näher rücken könnte. Dass es in Syrien Krieg gibt, dass Putin dort den Machthaber Assad unterstützt, dass dort Weltkulturerbe zerstört und Städte zerbombt werden, das wissen wir. Aber diese Grausamkeiten sind weit weg. Sie betreffen uns nicht unmittelbar.

Spielt es für unsere Hilfsbereitschaft eine Rolle, dass es vor allem Frauen mit Kindern sind, die jetzt bei uns Schutz suchen?

Das hat natürlich die Spendenbereitschaft gefördert und den Willen, die Geflüchteten zu unterstützen, ebenso wie die Männer, die kämpfen. Die Ukrainer verteidigen nicht nur sich selbst, sondern Europa. Sie führen uns vor, wie man für sein Land und für die Interessen der Demokratie einsteht.

Die Bilder, die in den ersten Kriegswochen um die Welt gegangen sind, zeigen Frauen mit Kindern, deren Männer sich von ihnen verabschieden und in den Krieg ziehen. Plötzlich fällt den Menschen bei uns auf, dass es so etwas gibt wie Patriotismus und Vaterlandsliebe, Gründe, für sein Land sein Leben zu lassen.

Wir bewundern diesen Mut, diese Entschlossenheit. Und wir erkennen, dass die Ukrainer auch für uns kämpfen.

Unsere gefühlte Nähe zur Ukraine hat aber noch andere Gründe?

Es hat natürlich auch damit zu tun, wer und was uns fremd ist. Eine Aussage des Soziologen Georg Simmel beschreibt das gut. Der Fremde ist für Simmel eine Person, die heute kommt und morgen bleibt. Die Geflüchteten aus der Ukraine zeigen deutlich, dass sie nicht gekommen sind, um zu bleiben. Sie wollen hier eine Weile sicher sein und dann schnell wieder nach Hause. Das sehen wir nicht als Bedrohung unseres Wohlfahrtsstaates. Das ist anders bei Geflüchteten aus Ländern, die kommen, um zu bleiben.

Spielt nicht auch das europäische Aussehen eine Rolle?

Man könnte sagen: Wir schauen in gewisser Weise in unser eigenes Gesicht. Die Ukrainer sind eben nicht die Fremden, sondern die von nebenan. Sie sind wir in anderer Gestalt. Wir schätzen den Fleiß und die Kompetenz ukrainischer Handwerker, das kulturelle Schaffen in Musik und Theater. Die Menschen aus den arabischen oder afrikanischen Ländern, die haben nicht unser Gesicht. Sie haben eine andere Hautfarbe, eine andere Religion, einen anderen kulturellen Hintergrund.

Beeinflusst uns auch die Angst, dass wir in die gleiche Situation kommen könnten?

Das macht uns unglaublich viel Angst. Putin braucht nur das Wort Atom sagen, dann bibbert ein ganzes Volk.

Haben wir Deutschen durch den Krieg ein neues Bewusstsein für die Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie bekommen?

Nein, das sehe ich noch nicht. Wir haben lange an Wandel durch Handel geglaubt, nicht an Rüstung für mehr Sicherheit. Das Wichtigste für uns Wohlstandsbürger ist, dass es uns an nichts fehlt. Der Staat soll die Steuergelder deshalb für unsere Wohlfahrt ausgeben und nicht für Kriegsmaterial, die Ausweitung der Bundeswehr oder eine wichtigere Rolle in der Nato.