Nach schwerem Unfall: durch Karate zurück ins Leben

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Heiko Röder (rechts) beim Karate-Training mit dem Trebgaster Dojo-Leiter Peter Kerrmann. Fotos: Dieter H übner
Heiko Röder (rechts) beim Karate-Training mit dem Trebgaster Dojo-Leiter Peter Kerrmann. Fotos: Dieter H übner
Stolz zeigt Heiko Röder sein Diplom auf Reispapier, das ihn als Träger des 1. Dan ausweist.
Stolz zeigt Heiko Röder sein Diplom auf Reispapier, das ihn als Träger des 1. Dan ausweist.
 

Heiko Röder aus Hegnabrunn hat es fünf Jahre nach einem schweren Unfall zum Karate-Meister geschafft. Nachdem er aus dem Koma erwacht war, prognostizierte der Arzt eine dauerhafte Lähmung. Doch er konnte von der Willenskraft des 29-Jährigen nichts ahnen.

Karate versteht sich heute als Gesundheitssport. Am gebräuchlichsten wird im Deutschen Karateverband die Stilrichtung Shotokan ausgeübt. Die Karate-Abteilung des TSV Trebgast zählt zu den erfolgreichen ihrer Art in Oberfranken. Acht Schwarzgurtträger stehen in ihren Reihen, davon ein 4. Dan, zwei 3. Dan, ein 2. Dan, und vier 1. Dan. Großen Anteil an diesem breiten Leistungsspektrum hat Dojo-Leiter Peter Kerrmann, der die erfolgreiche Sparte vor 33 Jahren gegründet hat und seitdem ununterbrochen souverän leitet. Die Erfolge kommen nicht von ungefähr: In Trebgast wird die Nachwuchsarbeit großgeschrieben. Die Hälfte der etwas über hundert Mitglieder sind Kinder und Jugendliche.

Heiko Röder aus Hegnabrunn, der diesen Sport seit 22 Jahren ausübt, hat jetzt den 1. Dan abgelegt. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches. Aber Abteilungsleiter Peter Kerrmann bewertet den Erwerb dieses Schwarzgurts ganz anders: "Für mich ist das eine größere Leistung, als wenn jemand aus unserer Truppe in den Kader der Nationalmannschaft berufen worden wäre." Um diese Aussage zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen.

Vor fünf Jahren, im Oktober 2009, verunglückte Heiko bei einem Arbeitsunfall. Der heute 29-Jährige erlitt schwere Hirn- und Rückenverletzungen und lag bewegungslos in der Uniklinik in Jena. Zwei Schädelknochen mussten entfernt werden. Einer davon war bei dem Unfall zerbrochen, der andere wurde im Dezember, zusammen mit einer Platte aus Kunstknochen, wieder in die rechte Hirnschädeldecke implantiert. Sein Rückgrat wurde vom sechsten bis zum zehnten Wirbel mit Stäben und Schrauben versteift. Der neunte Wirbel musste mit Titan und Klammern total erneuert werden.

Es sah nicht gut aus. Ein Arzt prognostizierte damals: "Vom Hals abwärts geht nichts mehr." Gott sei Dank hatte er nicht Recht behalten. Vielleicht war es eine Mischung aus menschlicher Willenskraft und ärztlicher Kunst. Vielleicht hatte der Mediziner auch die Kämpfernatur von Heiko Röder unterschätzt. Der wollte nämlich unbedingt wieder in "seine" Sportgemeinschaft. Der Kontakt zu seinen Sportkameraden riss nie ab. Regelmäßig besuchten sie ihn.

Im Januar 2010 wurde Heiko in die Hohe Warte nach Bayreuth verlegt. Durch die lange Liegezeit hatten sich beidseitig Spitzfüße gebildet. Die Sehnen der einzelnen Zehen mussten durchtrennt werden, beide Füße waren sechs Wochen in Gips.

Erst Anfang Mai 2010 hatte Heiko wieder angefangen, einzelne Worte zu sprechen. Im Juni folgte eine weitere Operation: Der zweite Schädelknochen wurde wieder eingesetzt. Ab diesem Zeitpunkt kam auch sein Erinnerungsvermögen zurück. Bis zu dieser Zeit wurde Heiko künstlich ernährt. Nach acht Monaten konnte er am 5. Juli 2010 im Liegend-Transport nach Hause verlegt werden.

Im Rollstuhl zum Grillfest

Als er irgendwie mitbekommen hatte, dass Mitte Juli das traditionelle Grillfest der Abteilung stattfindet, stand für ihn fest: Das muss ich schaffen. Da muss ich hin. Sein Ehrgeiz war geweckt. Er war ein Kämpfer. Und er schaffte es. Im Rollstuhl war er dabei.

Es folgten die ersten Stehversuche. Im September ist er bereits einige Schritte frei gelaufen. Jetzt hielt ihn nichts mehr. Seine Kollegen staunten aber doch, als er kurze Zeit später - in Absprache mit seinen Therapeuten - plötzlich beim Training auftauchte, vorsichtshalber mit dem Rollstuhl. "Für uns war es wie ein Wunder, als er in der Halle ankam", ist Peter Kerrmann heute noch fassungslos. "Er konnte eigentlich gerade einmal die Hände etwas bewegen, sonst gar nichts. Aber die Hauptsache war, dass er wieder dabei war."

Irgendwann schob Heiko Röder beim Training einfach den Rollstuhl beiseite. Von da an stand vorsichtshalber immer jemand hinter ihm. Von Woche zu Woche wurde es besser, und eines Tages kam er ohne Rollstuhl. Die Ärzte sagten, die Bewegungsabläufe trainieren das Hirn, man muss ja dabei denken. So kann man sich Abläufe wieder merken. Auch Heiko war davon überzeugt, dass ihm dieses Training, die Anwesenheit in der Gruppe, gut tat und mithalf, den Gesundungsprozess zu beschleunigen.

Die Fremdkörper im Kopf und im Rücken, die auch drinbleiben werden, behindern ihn heute natürlich. Durch die Versteifung des Rückens neigt sich sein Kopf leicht nach vorne. Ab dem Brustwirbelbereich ist alles leicht verschoben. Im Kopf ist er extrem wetterfühlig. Aber alle Bewegungseinschränkungen konnten ihn nicht davon abhalten, wieder am Training teilzunehmen. Zwei- bis drei Mal in der Woche nutzt er es dazu, seine Muskeln wieder aufzubauen, und seine Rückenstabilität wieder herzustellen. Die ist nämlich ziemlich kaputt. Die Übungen der kompletten Bewegungsmotorik tragen dazu bei, seine Koordinationsfähigkeit laufend zu verbessern. Jeder im Verein weiß, dass er bei ihm keinen Wurf ausüben darf. Peter Kerrmann dazu: "Prinzipiell gibt es ja in unserem Sport keinen Körperkontakt. Im klassischen Karate gibt es keine Würfe, nur Stöße und Schläge, die vom Körper abgestoppt werden. Dadurch kann eigentlich nichts passieren."

Seit Februar dieses Jahres lief die Vorbereitung auf die Prüfung. Verschiedene Katas, das sind Bewegungsabläufe, mussten eingeübt und - technisch und sauber betont - absolviert werden. Daraus ergaben sich bestimmte Grundschulübungen, die gezeigt werden müssen. Diese verschiedenen Anwendungen und Stellungen erarbeitete sich Heiko in separaten Übungseinheiten mit den beiden erfahrenen Trainern im Verein, Barbara Scholz und Michael Wanderer. Zusätzlich hatte er im letzten halben Jahr regelmäßig Dan-Vorbereitungskurse in Nürnberg besucht, immer in Begleitung eines heimischen Trainers.

Im Rahmen eines ganztägigen Lehrgangs nahm jetzt Erich Bilska (5. Dan), Millenium-Trainer und Vizepräsident des Bayerischen Karatebundes, zusammen mit Reiner Thiemel (ebenfalls 5. Dan) Heiko und vier weiteren Kandidaten die Prüfung ab. Natürlich hat Heiko den 2. Dan im Blick. Aber das will er in Ruhe angehen. "Und vielleicht ergibt sich irgendwann die Gelegenheit zu einem Trainerschein", blickt der 29-Jährige zuversichtlich nach vorn.

Wie gesagt, er ist ein Kämpfer.