450 Zuhörer honorierten im DDM in Neuenmarkt die exzellente Darbietung von Old Beertown Jazzband und Semper House Band bei der 10. "Moonlight Serenade".
Zum Einzug ein Ein-Zug: Standesgemäß rollten die Musiker von Old Beertown Jazzband und Semper House Band auf einem Stahlross in den Lokschuppen des Neuenmarkter Dampflokmuseums. "Guten Abend in der Kohlenhof-Sauna", hieß Bandleader und Bassist Conny Fischer Andreassohn die 450 Besucher im so proppenvollen wie überheizten Areal willkommen. In den folgenden vier Stunden sollte den Zuhörern noch wärmer werden angesichts der heißen Rhythmik, gepaart mit einer Melange aus Spielfreude und Lust an der Improvisation. Wo wird schon einem Klassiker wie Wilhelm Tell der Jazz-Mantel umgehängt?
Bei den Gastgebern freilich schwang bei aller Vorfreude ein großes Stück Wehmut mit, schließlich mussten die Beertowner ihren langjährigen Posaunisten Udo Koch im Februar zu Grabe tragen. Trotzdem scheint die Sonne irgendwie weiter. "On the sunny side of the street" war dabei nur ein Song, der in memoriam dem Verstorbenen gewidmet wurde, gesungen von Philipp Simon Goletz. Und spätestens bei "Black and blue", eine Art verjazzter Trauermarsch aus der Feder von Fats Waller, verdrückte mancher auf der Bühne und im Saal Tränen.
Umbesetzung ist geglückt
Die notwendige Umbesetzung in der Combo hatte Conny Fischer manches Kopfzerbrechen bereitet, wie er zugab. Schließlich wechselte Jürgen Punzet von seiner angestammten Gitarre an die Posaune. Er erfüllte am Freitag nicht nur seinen Bläserpart mit Bravour, sondern wusste auch gesanglich zu überzeugen.
Den Saitenwechsel an der Klampfe vollzog Wolfgang Diehm, den man laut Conny Fischer "aus dem Bürgerhospital" akquiriert hatte. Der Vollblutmusiker ist eine sichere Bank, ebenso wie Silke Krause am Klavier. Mit der Ankündigung, sie habe die wohl flinksten Finger von Dresden, hatte Conny Fischer den Besuchern wahrlich nicht zu viel versprochen. Ihre technischen Raffinessen blitzten immer wieder auf.
Als nach der Pause "plötzlich" Schlagzeuger Peter "Pit" Brendel scheinbar abgängig war, durfte sich ein weiterer Überraschungsgast auf der Bühne verausgaben: Roland "Johnny" Jonak nahm hinter Toms und Becken Platz. Ihm war die Freude anzusehen; grinsend und wie ein Derwisch ließ er die Hände über die Snare fliegen bei der "Bourbon Street Parade". Kurz die kleineren gegen die größeren Stöcke getauscht, begleitete Jonak das folgende "I've found a new baby" am Vibraphon.
90 Jahre auf der Rille
Dann waren die Dresdner an der Reihe. Zum Auftakt ein Klassiker: Der "Muskrat Ramble", geschrieben von Kid Ory und bekannt dank "Satchmo" Louis Armstrong, hat 90 Jahre auf der Rille, schien aber dank der Interpretation der Profis wie dem musikalischen Entmüdungsbecken entstiegen. Kenner der "Moonlight Serenade" erwarteten die Ansagen von Posaunist Micha Winkler mindestens ebenso flitzebogengespannt wie die klanglichen und gesanglichen Kostproben.
Und der Jüngste im Ensemble, der aufgrund seiner Optik bei einem Phil-Collins-Ähnlichkeitswettbewerb selbst das Original auf den zweiten Platz verweisen würde, hatte einmal mehr einige Bonmots im Wortköcher. Beim Anblick der Dampfrösser traf er die köstliche Feststellung: "Erst mal finde ich es gut, dass man - was sehr selten ist - direkt neben der Bühne parken kann. Aber ich muss sagen: Unsere öffentlichen Verkehrsmittel im Osten sehen mittlerweile etwas anders, ich würde sagen: moderner aus."
Später philosophierte er lakonisch über den nachmittäglichen Besuch mit Eintrag ins Goldene Buch des Landkreises im "Palais Söllner" und der optischen Anmutung des Landratsamts im Vergleich zum Dresdner Pendant: Die Gebäudeverkleidung mit dem typisch fränkischen Sandstein habe aber durchaus auch etwas Charmantes. Und als es darum ging, welches Geschenk man den Gastgebern zur Jubiläums-Serenade und angesichts der 30-jährigen Bandfreundschaft zwischen Ost und West gerne gemacht hätte, scherzte Winkler. "Wir wollten Christstollen mitbringen, aber die sind jetzt schwer zu kriegen."
Wie übrigens auch Gunther Emmerlich, auf den die Fangemeinde vergeblich wartete. Der Entertainer steht zurzeit mit Regisseur Dieter Wedel beim Festival in Bad Hersfeld bei Proben für "My Fair Lady" auf der Bühne. "Er wurde wohl mit viel Geld gezwungen, heute Abend nicht hier zu sein", orakelte Micha Winkler. Emmerlich sei aber "in Gedanken" in Franken. "Na wenn er mit seinen Sinnen nicht bei sich ist, dann möchte ich nicht wissen, was das dann für Proben sind..." Laute Lacher im Lokschuppen.
Das schönste Geschenk
Und so machten die Dresdner den Kulmbachern das schönste Geschenk überhaupt: eine selbst komponierte Ode an Oberfranken, von Micha Winkler spitzbübisch als gesungene "Bluesbrüderschaft" angepriesen. Dazu im Präsentkorb: Dixieland vom Feinsten. Die hohe Schule der Könner, die meisten ehemalige Profis der Sächsischen Staatskapelle, gründet in der weiten Welt der Klassik. Aber die Semper House Band hat das Korsett abgestreift und dank ausgefeilter Arrangements daraus verswingte Versionen gemacht, die Klassikern wie Brahms "Ungarischem Tanz Nr. 5" oder Rossinis besagter Tell-Ouvertüre eine neue Leichtigkeit abgewinnen.
Bei Micha Winkler kommt zum Wort- der Spielwitz hinzu. Köstlich, wie er sich vom Grand Seigneur an der Piccolo-Trompete, Kurt Sandau, die Posaune festhalten ließ und nur durch Bewegungen des Oberkörpers sein Soli spielte. Die weiteren Bläserkollegen an der Bühnenfront - Klarinettist Friedemann Seidlitz und der mit seinen fast 85 Jahren beneidenswert agile Wilfried Gärtner an Sax und Flöte - ließen sich gottlob anstecken, sicher geleitet von Eberhard Lösch an der Gitarre, Roger Goldberg am Bass, Peter Thieme an den Tasten und Wolfgang Klier, der die Grundfurche am Schlagzeug zog. Zur Schlussoffensive vereinten sich alle Protagonisten des tollen Abends zur "Ice Cream" und dem un verwüstlichen "When the Saints".
Wann - und ob überhaupt - die sächsischen Säulenheiligen des Dixie und Jazz nochmals zur gemeinsamen Sause anreisen? Das ließ Conny Fischer offen. "Was 2018 wird, wissen wir selber noch nicht", ließ er verlauten. Die stehend vorgetragenen Ovationen des Publikums dürften Beweis genug sein, dass über eine Zugabe zumindest nachgedacht werden sollte.