In der Grund- und Mittelschule endet die Kreidezeit

3 Min
Kombiklassen, also gemischte Jahrgänge, die gemeinsam unterrichtet werden: ein Modell, das sich bewährt hat - und Schulstandorte rettet, sagt Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn. Foto: BR-Archiv/Katharina Müller-Sanke
Kombiklassen, also gemischte Jahrgänge, die gemeinsam unterrichtet werden: ein Modell, das sich bewährt hat - und Schulstandorte rettet, sagt Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn. Foto: BR-Archiv/Katharina Müller-Sanke
Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn
Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn
 
Die Zahlen des Schulamts Kulmbach für die Grund- und Mittelschulen. Grafik.Michael Beetz
Die Zahlen des Schulamts Kulmbach für die Grund- und Mittelschulen. Grafik.Michael Beetz
 

Die BR nimmt sich in den kommenden Monaten verstärkt des Themas Schule in der Stadt Kulmbach an. Zum Auftakt blicken wir gemeinsam mit Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn auf die aktuelle Situation an den Grund- und Mittelschulen an, die auf Herausforderungen wie Inklusion und Integration reagieren muss.

Schule ist immer ein Konglomerat an Herausforderungen, ein Gewirr aus politischen Vorgaben, aus Kompromissen, aber auch menschlichen Eigenheiten und Schwächen, die es zu berücksichtigen gilt. Es geht prinzipiell ums Lernen, also die Bildung von Kindern; aber nicht weniger um deren gedeihliches Miteinander, um ein miteinander Auskommen von Schülern und Lehrern - und das alles in einer möglichst für alle Beteiligten angenehmen und für den Lernzweck bestens ausgestatteten Umgebung.

Als ob dies nicht allein schon der Quadratur des Kreises gleich kommt, fügt Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn zwei weitere Bausteine hinzu: Zum einen ist da die Inklusion; wörtlich übersetzt bedeutet das "Zugehörigkeit" - meint also das Gegenteil von Ausgrenzung. Für Schule bedeutet das: wenn jeder Schüler - mit oder ohne Behinderung - bei allen Aktivitäten dabei sein kann. Zum anderen stellt in Zeiten wachsender Flüchtlingsströme die Integration eine besondere Anforderung an alle Mitspieler im System Schule.

"Die Schulwelt ist schnelllebiger, die Eingriffe in Lebensbereiche von Menschen gehen tiefer", umreißt Vonbrunn die Lage an der Tafel. Ihm als Organisator des Schulwesens an den Grund- und Mittelschulen bereitet die Kalkulation eines Schuljahres bisweilen Kopfzerbrechen. Fast schon den Glaskugel-Blick verlangt die Vorhersage, wie viele der Schüler nach der Grundschule den Übertritt an Gymnasium oder Realschule wählen. "Sind es 50 Prozent oder 60? Das kann immer nur geschätzt werden", sagt Vonbrunn und hängt das nächste Fragezeichen an: Welche M-Schüler melden sich mit ihrem Zeugnis noch kurzfristig an?"

Kollegium wird immer älter

Zahlen, die sich nicht zuletzt auswirken auf die Lehrerzuteilung. "Wir haben die Lehrkräfte, die wir unbedingt brauchen. Mehr wären immer wünschenswert." Vonbrunn macht aber ein anderes Dilemma aus: "Unsere Kollegien an den Schulen werden immer älter, weil die jungen Lehrer vor allem Richtung Oberbayern verteilt werden. Die älteren Kollegen sind gewillt, guten Unterricht zu machen, gar keine Frage. Aber für den Schulalltag und für die Kinder täte mehr junges Blut gut." Das Kultusministerium in München freilich entscheidet nach Einwohnerzahlen - und da ist Südbayern die Boom-Region, während der Osten und Norden des Freistaats sukzessive Bürger verliert. Allerdings ist es aktuell in Kulmbach nicht einmal so sehr der in Debatten teils bis zum Erbrechen strapazierte "demografische Wandel": Ja, die Schülerzahlen sinken nach wie vor; es sei jedoch kein Sturzflug mehr, so Vonbrunn, sondern eher ein Seitwärtsgleiten.

In Ziffern ausgedrückt: Wurden 2014 in Kulmbach noch 198 Mädchen und Jungen eingeschult, so verringerte sich die Zahl geringfügig auf exakt 192 zu Beginn des laufenden Schuljahres. Zum Vergleich: 2009, im zweiten Amtsjahr Vonbrunns als Schulamtsdirektor, zählten die Statistiker für die Stadt noch 249 ABC-Schützen.
Und von homogenen Klassen könne keine Rede sein. Dazu trage unter anderem bei, dass die Zahl der Kinder, die "sozial-emotional auffällig sind", stetig steigt. "Das erhöht die pädagogischen Anforderungen enorm." Hinzu kommen die bereits erwähnten Kinder mit Migrationshintergrund; 75 aus Flüchtlings- und Asylantenfamilien sind es derzeit. "Die Gruppe ist vielschichtig, allein schon was Sprachkenntnisse angeht. Es gibt syrische Kinder, die können kein Wort Deutsch, sprechen aber ganz gut Englisch und sind bildungshungrig. Ihr Vorteil: Sie haben in ihrem Leben zumindest reguläre Schulabläufe erlebt." Es gibt aber auch Mädchen und Jungen, die kennen aus ihrer Heimat die Institution Schule nur von außen.

Zusätzliche Betreuung

Für die Betreuung der Asyl-Gruppe ist für den Mittelschulbereich neben einer Vollzeitkraft, ausgebildet mit Deutsch als Zweitsprache, eine Gymnasiallehrkraft abgestellt. "Die junge Dame spricht zusätzlich Spanisch und Französisch. Wir hoffen, so Verständigungsbarrieren überwinden zu können." In den Klassen 1 bis 4 steht an der Pestalozzischule eine ebenso ausgebildete Grundschulehrkraft bereit für die Zusatzbetreuung.

Zusätzlichen Bedarf an den Grundschulen erfordern die erwähnten Inklusionkinder: Schüler, die mit körperlichen, geistigen und/oder sozial-emotionalen Einschränkungen leben und den Schulalltag meistern müssen; aktuell sind es 65 Kinder.

Vor zwei Jahren wurden für diese Schülergruppe Partnerklassen eingerichtet: "Wir erachten das als eine gute, für uns besser passende Antwort auf die Herausforderung Inklusion", sagt Vonbrunn und sieht zwei Vorteile: "Erstens verfügen wir in den jeweiligen Klassen über stärkere personelle Ressourcen. Und zweitens können wir - wenn es sein muss täglich - unser Angebot flexibel am tatsächlichen Bedarf ausrichten."



Kombiklasse: Ein Lernmodell, das Standorte rettet

Die Zahl der Grund- und Mittelschüler sinkt, wenn auch nicht mehr so stark. Dass es angesichts dieser Entwicklung noch immer alle Schulstandorte existieren, darunter sieben Grund-/Mittelschulstandorte in der Stadt, rechnet Schulamts direktor Jürgen Vonbrunn den Jahrgangs-gemischten Klassen zu - den Kombiklassen, die es an vielen Grundschulen gibt. Sein Fazit: "Die Kinder werden nicht schlauer, aber auch nicht dümmer. Aber: Sie lernen, sich selber zu organisieren, neue Formen des Lernens auszuprobieren. Für mich ein Zukunftsmodell."
Dann kommt er wieder auf Zahlenarithmetik - in seinem Metier täglicher Begleiter. "Im Durchschnitt kommen wir auf knapp über 20 Schüler, damit liegen wir leicht im Plus. Wir rechnen 20 Schüler pro Klasse, um die Pflichtstunden zu gewährleisten." Er zitiert den "Grundschul-Teiler" für die pflichtgemäße Bildung von Jahrgangs-kominierten Klassen, eine Vorgabe des Kultusministeriums. "Die Schülerzahl der ersten und zweiten Klasse werden zusammengezählt und durch 28 geteilt, weil es nicht mehr als 28 Schüler pro Klasse sein dürfen."

Andererseits, betont er, haben die Kombi klassen der einen oder anderen Schule schlicht die Existenz gerettet. "Wegen der Zahl der Kinder muss keine Schule im Stadtgebiet schließen. Es besteht rein demografisch jedenfalls keine Not dazu." Vonbrunn drückt sich hier diplomatisch aus, denn er weiß auch: Viele Schulen kosten (mehr) Geld. "Je mehr Standorte, desto stärker zergliedern sich die Klassen. Sprich: Die Klassenstärke sinkt. Natürlich ist es für Schüler und Eltern vorteilhaft. Und wenn sich eine Kommune wie Kulmbach diesen Luxus leisten will, geht das in Ordnung. Ich sage das völlig wertungsfrei." jn