Er hat im größten europäischen Archiv geforscht, neue Fakten ans Tageslicht gebracht und fast 20 Jahre am historischen Atlas über Kulmbach gearbeitet: Rüdiger Barth aus Arzberg. Der 58-jährige Historiker erzählt von seiner Arbeit an dem 934 Seiten umfassenden Doppelband über die Region.
Wie sind Sie darauf gekommen, den historischen Atlas über Kulmbach zu schreiben?Rüdiger Barth: Zum Ende meines Studiums 1995 ist das von meinem Doktor-Vater Alois Schmid an mich herangetragen worden. Eigentlich wollte ich, weil ich in Wunsiedel geboren bin, auch über Wunsiedel schreiben, aber dieses Gebiet war thematisch schon besetzt. Das nächstliegende war Kulmbach. Da habe ich zugesagt und die ersten Vorarbeiten schon für die Magisterprüfung 1997 gemacht.
War abzusehen, dass sich das Projekt fast über 20 Jahre zieht?Nein, das war auch nicht so beabsichtigt. Dass ein Historischer Atlas länger dauert als eine normale Promotion, war klar. Dann wurde es von der Thematik immer mehr. Es waren zudem komplexe Themen, in die man sich einarbeiten musste. Ferner war die Finanzierung ein Problem, ich musste anderweitig arbeiten.
Dank der Unterstützung der Freunde der Plassenburg konnte das Projekt letztlich realisiert werden. Hinzu kam, dass es von der Fertigstellung bis zur Präsentation rund ein Jahr gedauert hat, um für alle Zuständigen einen gemeinsamen Termin zu finden. Den Atlas gibt es seit Ostern 2013 zu kaufen. 200 Exemplare sind bereits weg - bei einer Auflage von 400 Exemplaren.
Was ist das Besondere am Historischen Atlas?Die Kulmbacher Geschichte wird nicht neu geschrieben, aber die Grundlagenforschung um viele Facetten erweitert. Neues ist natürlich auch dabei. Interessant ist beispielsweise die Gemeindebildung im 19. Jahrhundert. Das war ein Hauen und Stechen, das kann man sich gar nicht vorstellen.
Oder die Geschichte des Stiftskirchenamts Himmelkron, dessen Rechte so verschwommen waren, dass nicht einmal die Amtsvorstände ihr eigenes Amt beschreiben konnten.
War es sehr schwer, die Informationen zusammenzutragen?Ja. Ich habe viel im Staatsarchiv Bamberg recherchiert, aber auch in Wien, Würzburg, München und natürlich in Kulmbach und Bayreuth. In Wien ist das größte europäische Archiv. Dort bekommt man fünf Archivalien am Tag. Wenn man die durchschaut und nach einer halben Stunde merkt, dass nichts dabei ist, dann erhält man keine neuen Unterlagen mehr und muss bis zum nächsten Tag warten. Selbstverständlich braucht man auch viele Bücher, die mal mehr oder weniger schwer zu bekommen waren. Ich war bestrebt, nichts zu vergessen und umfassend zu arbeiten.
Mein Ziel war , dass alles zu 100 Prozent passt.
Ist das Buch nur für Heimatforscher oder Wissenschaftler gedacht oder auch für normale Leser?Ich war bestrebt, das Buch so zu schreiben, dass es für Otto-Normalverbraucher zu lesen ist. Es ist nicht so, dass man als Leser davor sitzt und sich fragt: Was wollen die?
Vorgestellt wurde das Werk auf der Plassenburg. Zuerst kamen dabei die Politiker zu Wort: Den Auftakt machte Landrat Klaus Peter Söllner. "Heimatforscher, Wissenschaftler und geschichtlich Interessierte können auf über 900 Seiten die Geschichte der Region nachvollziehen", sagte er und verwies darauf, dass dem ehemaligen Landkreis Stadtsteinach bereits vor längerer Zeit ein historischer Atlas gewidmet wurde. Söllner sprach von einem unentbehrlichen Nachschlagewerk und erhielt uneingeschränkte Zustimmung von Oberbürgermeister Henry Schramm.
"In den beiden Bänden erfahren wir, wo die Wurzeln unserer Heimat liegen, wie sich die Orte Stück für Stück entwickelt haben", so Schramm.
Der Vorsitzende des Vereins Freunde der Plassenburg, Jörg Kunstmann, betonte, dass durch das Buch "Wesentliches über unsere Heimat ans Licht gebracht wurde."
Dann schritten die Wissenschaftler zum Rednerpult. Der Vorsitzende der Kommission für bayerische Landesgeschichte, Ferdinand Kramer, machte auf die Bedeutung des Nachschlagewerks für die Durchführung von Ortsjubiläen aufmerksam. "Kaum ein Ort feiert mehr ohne vorherigen Griff zum historischen Atlas." Zugleich äußerte er Sorge über den Wegzug junger Menschen vom Land in die Stadt. "Erziehen wir nur noch Globalisierungs-Nomaden?", fragte er. Für ihn ist klar: "Mehr denn je braucht Heimat Wissen.
Denn aus Wissen entwächst Identität." Barths Doktorvater Alois Schmid erklärte, dass der erste Atlas-Band 1950 erschien. Noch etwa 15 Jahre werde es dauern, bis alle Regionen abgebildet sind.
Fakten zum Buch Der Atlas Der Historische Atlas von Bayern ist eine historisch-topographische Landesbeschreibung Bayerns, welche die Besitz-, Herrschafts- und Verwaltungsstruktur des gesamten Landes dokumentiert. Die einzelnen Bände sind Standardwerke für die Geschichte der jeweiligen Region.
Herausgeber Herausgeber ist die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Inhalt Der Band Kulmbach behandelt die Herrschafts- und Verwaltungsgeschichte der
gleichnamigen kreisfreien Stadt und des Landkreises, wie sie bis zur Gebietsreform
/>im Jahr 1972 bestanden. Der Autor spannt den Bogen von den ersten Spuren
menschlicher Besiedlung bis zur Verwaltungsgliederung der Gegenwart.
Karten Der Band enthält Statistiken sämtlicher Ortschaften sowie zwei großformatige Kartenbeilagen.
Zielgruppe Historikern, Heimatforschern und allen geschichtlich Interessierten steht ein auf reicher Quellenbasis erarbeitetes Überblicks- und Nachschlagewerk zur Verfügung, das auf der Mikroebene bisher unbekannte Zusammenhänge sichtbar werden lässt.
Atlas-Daten Rüdiger Barth, Kulmbach. Stadt- und Altlandkreis (Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken I/38) 2012, 2 Teilbände, 934 S., 67 Euro, ISBN 978 3 7696 6554 3.