Gedenksteine zum Leben erweckt

3 Min
Am Marktplatz 16 in Stadtsteinach bat der Erbauer dieses Gebäudes den Betrachter, wie er sich zu verhalten habe, wenn er vor diesem Haus steht. Fotos: Siegfried Sesselmann
Am Marktplatz 16 in Stadtsteinach bat der Erbauer dieses Gebäudes den Betrachter, wie er sich zu verhalten habe, wenn er vor diesem Haus steht. Fotos: Siegfried Sesselmann
Der Gedenkstein über den nördlichen Eingang der Pfarrkirche enthält ein Bittgebet an den Schutzpatron St. Michael und ein verstecktes Chronogramm, das zu entschlüsseln war.
Der Gedenkstein über den nördlichen Eingang der Pfarrkirche enthält ein Bittgebet an den Schutzpatron St. Michael und ein verstecktes Chronogramm, das zu entschlüsseln war.
 

Die Türsteine an historischen Bauten in Stadtsteinach geben so manch interessantes Zahlenrätsel auf.

Im vergangenen Jahr wurden alle Türsteine in Stadtsteinach fotografiert und deren Bedeutung herausgefunden. Außerdem wurden auch Sandsteintafeln an Häusern erfasst, die Texte für den Betrachter und Leser darbieten. Doch zwei Tafeln schufen Kopfzerbrechen, bis die Inschriften letztendlich geklärt wurden. Eine dieser Inschriften befindet sich über dem Eingang der ehemaligen Post in Stadtsteinach, die andere über dem Nordeingang der Kirche, gegenüber des Benefiziatenhauses.
Über dem nördlichen Eingang der Kirche ist im Mauerwerk ein Gedenkstein in der Form einer Muschel mit Ornamenten eingearbeitet, und in der Mitte steht in neun Zeilen ein Text in lateinischer Sprache. Er ist nicht symmetrisch und weist somit auf eine Zeit zwischen 1720 und 1770, also aus der Zeit des Rokoko, bzw. Spätbarock. Der Wortlaut erhält sinngemäß eine Fürbitte an den Heiligen Michael, den Schutzpatron unserer Kirche:

Oh heiliger Erzengel Michael
Oh Beschützer unseres heimischen Gotteshauses
Oh Sieger über den unterirdischen Feind
Stehe uns bei in unseren Kämpfen
Kämpfe und bete für uns
So bittet andächtig
Das Volk von Stadtsteinach
Amen (Es geschehe)

Dem genauen Betrachter fällt auf, dass einige Buchstaben größer in den Sandstein gemeißelt wurden als andere. Dies ist bei älteren Inschriften oft zu beobachten. Es handelt sich um ein sogenanntes Chronogramm. In Wikipedia wird dies so beschrieben: "Ein Chronogramm ist ein Satzteil, ein Satz, ein Sinnspruch oder eine Inschrift, meist ein Vers in lateinischer Sprache, bei der die Summe aller darin vorkommenden Buchstaben, die zugleich römische Zahlensymbole sind (I, V, X, L, C, D, M), die Jahreszahl des Ereignisses ergeben, auf das sich der Text bezieht."
Also ging es los, die Jahreszahl zu identifizieren. Als auf den ersten Blick sowohl im Wort "Michael" das M (=1000), als auch im letzten Wort "Amen" ebenfalls das M vergrößert dargestellt war, schien ein Problem zu entstehen. Wenn jetzt schon die Summe 2000 dargestellt ist, wie groß wird dann wohl die Summe aller römischen Ziffern sein, die im Stein dargestellt sind? Wenn nun noch ein D (=500) und sieben C (= 100) dazukommen, so wächst die Summe jetzt schon über 3000. Tatsächlich ist die korrekte Summe der römischen Zahlensymbole 3546. Doch was nun?
Seit 1007 gehört Stadtsteinach zum Bistum Bamberg, im 12. Jahrhundert stand an gleicher Stelle bereits eine gotische Kirche. Nach zwei Zerstörungen durch Albrecht Achilles 1464 und Albrecht Alcibiades 1567 und mit Brandschäden aus dem Jahr 1660 entschloss man sich, von 1772 bis 1774 eine Saalkirche neu zu errichten, unter Verwendung der spätgotischen Mauern. Am 26. Februar 1903 brannte die schmucke Rokoko-Kirche völlig nieder.
Wenn man nun die Summe der römischen Zahlensymbole 3546 durch zwei teilt, ist das Ergebnis 1773. Somit stammt dieser Gedenkstein aus der abgebrannten Kirche und man arbeitete ihn wieder in die neu erbaute Kirche nach 1903 ein. Warum das Jahr der Einweihung zweimal verschlüsselt dargestellt wurde, wird wohl ein Rätsel bleiben.
Doch noch in einem weiteren Gedenkstein scheinen Rätsel zu stecken. Er befindet sich über dem Eingang des ehemaligen Postgebäudes und stammt aus dem Jahre 1737. Doch der Text scheint wie aus einer anderen Zeit zu sein. Er unterscheidet nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung und ist auch nicht mit der Rechtschreibung konform. Interessant ist jedoch eine Häufung von b und d statt p und t - also schon eine fränkische Sprache von fast 300 Jahren.
Auch dieser Gedenkstein hat die Form einer Muschel und an den beiden Seiten sind zwei Engelsköpfe. Bei Renovierungsarbeiten wurden die Buchstaben mit schwarzer Farbe hervorgehoben, soweit man sie noch entziffern konnte.

Wann du Vielleicht
willst hier still stehen
und diesen bauh besehen
so lasse du das fadsen seyn
das sage ich jetz under dir allein
Diesses Haus hat bauen lasen
beder fruderig
1737

Das Haus Marktplatz 16 hat eine lange Geschichte. Von 1600 bis 1735 wohnte dort eine Familie Lanntzendörfer, und 1737 erbaute der Schwiegersohn Peter Friedrich dieses Haus neu. Als Metzger und Wirt führte er hier die Gaststätte "Zum Schwarzen Roß". Im Jahre 1904 kaufte die Sandlerbräu Kulmbach dieses stattliche Gebäude. Erst im Jahre 1921 wurde die Post eröffnet, die bis 1991 dort zu finden war.
Doch nun zurück zu dem Gedenkstein über dem Eingang der ehemaligen Post. Viele Wörter sind heute noch eindeutig zu erkennen, manche geben Rätsel auf. Das schwierigste Wort dürfte "fadsen" sein. Was wollte "beder fruderig" (= Peter Friedrich) dem Betrachter mitteilen? "Wann du vielleicht willst hier stehen und diesen Bau besehen, so lasse du das ,Fadsen' sein, das sage ich jetzt unter dir (uns) allein."
Dieses Wort "fatzen" hat vielerlei Bedeutungen. In manchen Gegenden in Süddeutschland steht es für "ungestüm essen", in anderen Regionen verwendet man dieses Wort für "spotten, närrisch sein", der Ausdruck "Fatzke" steht im Zusammenhang mit diesem Verb. Im Sprachgebrauch früher war dieses "fatzen" auch ein Synonym für furzen.
Nun kann sich der Betrachter heraussuchen, was er zu unterlassen hat, wenn er dieses Haus betrachtet. Wenn er das Spotten sein lassen soll, hat dies so seinen Sinn - das macht man nicht. Wenn er jedoch meinte, man sollte das "Närrischsein" unterlassen, so konnte der Erbauer nicht ahnen, dass 280 Jahre später dieses Gebäude von der Faschingsgesellschaft genutzt wird, die ja das Närrischsein ganz hoch als Brauchtum pflegt. Falls er jedoch das Furzen meinte, was zu unterlassen sei, so liegt der Erbauer voll im Trend des Barock, in dem die Völlerei, das ausschweifende Leben normal und die Tischsitten ganz andere waren als heute.