Den Titel des Hymnenweltmeisters gibt es bei der Fußball-WM in Brasilien nicht. Wenn ihn einer aber verdient hätte, dann wäre es das Team des WM-Gastgebers. So wie die Seleção schmettert keiner den Nationalgesang.
Um es mit Shakespeare zu sagen: Singen oder nicht singen, das ist hier die Frage. Ein Problem, das die Spanier nicht kennen. Deren Fußballer können, selbst wenn sie wollten, bei der WM nicht mitsingen: Ihre Hymne, der Königliche Marsch, hat keinen Text.
Das ist in Deutschland ganz anders. Hier wird schon mal diskutiert, ob es eine Hymnenpflicht geben sollte, ob Jogis "Löwen" beim Deutschland-Lied mitsingen müssen. Der Bundestrainer hält davon gar nichts: Es sei schließlich nicht bewiesen, so Jogi Löw, dass ein guter Sänger auch ein besserer Spieler ist. Wo er recht hat ...
Wenn so ein WM-Spiel beginnt, fällt die hymnische Begeisterung bei den deutschen Elite-Kickern unterschiedlich aus. Die Bandbreite bei Lahm, Özil und Co.
reicht von murmelnder Begeisterung, einer Art Sprechgesang, bis zum Tunnelblick, also der schweigenden Konzentration auf das kommende Match.
Schöner ist es da schon, wenn man die Südeuropäer sieht oder die Lateinamerikaner, wie sie aus voller Brust ihren Nationalgesang schmettern. Hymnenweltmeister sind die Brasilianer - die Fußballer und die Fans. Die singen sogar weiter, wenn keine Musik mehr spielt. Und es schadet auch nicht, wie der 4:1-Sieg der Seleção gegen Kamerun beweist. Doch am Schluss ist es gar nichts wert, wenn man die Nummer eins nach Noten ist, aber eine andere Mannschaft Weltmeister wird.
Auch der Umkehrschluß gilt uneingeschränkt. Längst nicht jeder Spielergesang dürfte Begeisterungsstürme nach sich ziehen.
Überdies: Wem ist gedient, wenn ein Spieler zum Mitsingen gezwungen wird? Der Hymne nicht, Deutschland nicht, der Mannschaft nicht, dem DFB nicht, der FIFA nicht. Und der Spieler denkt sich insgeheim: "Die können mich ... ."
D'rum singe, wem Gesang gegeben.
Schlußbemerkung:
"Einigkeit und Recht und Freiheit ..." sänge ich um ein Vielfaches lieber als so manchen blutrünstigen Text, der andernorts als Nationalhymne verwendet wird. Aus der Geschichte der betreffenden Länder mag die Wahl verständlich und höchst ehrenvoll sein. Deshalb möchte ich keine Hymne abwerten. Aber daß ich froh über unseren Text bin, verdenke mir bitte niemand.