179 Einwohner aus dem Kreis Kronach erhielten im vergangenen Jahr die so genannte Grundsicherung für Senioren. Doch nicht immer werden Hilfen beantragt.
Anja Schmidt lehnt sich in ihrem Schreibtischstuhl weit zurück und schaut an die Decke ihres Arbeitszimmers. "Puh, da muss ich kurz nachdenken", sagt die Kreisgeschäftsführerin des Sozialverbands VdK. Sonderlich lange braucht die 43-Jährige tatsächlich nicht. Schon wenige Sekunden später ist die gedankliche Reise in die Vergangenheit beendet - und ihr bislang einschneidenstes Erlebnis mit Armut im Alter aus der Erinnerung hervorgekramt. "Zu mir kam eine ältere Frau, der pro Monat nur 300 Euro zur Verfügung standen", erzählt Schmidt. Weil davon auch die Miete für eine Einzimmerwohnung samt Nebenkosten bezahlt werden musste, blieb für Lebensmittel kaum etwas übrig.
Besonders gefährdet
980 Euro kassierte ein alleinstehender Rentner im Jahr 2013 durchschnittlich pro Monat. 18 Euro weniger als nötig wären, um in Bayern nicht unter die Armutsgefährdungsschwelle zu rutschen. Auf welcher Höhe die Messlatte liegt, entscheidet jedes Bundesland separat.
Im größeren Rahmen wird hingegen versucht, die relative Einkommensarmut zu messen. Dafür ermitteln die statistischen Ämter des Bundes und der Länder eine so genannte Armutsgefährdungsquote (AGQ). Definiert wird diese nach einem EU-Standard als Anteil der Personen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der Bevölkerung beträgt. In Oberfranken stieg die Gefahr, in die Armut abzurutschen um ganze drei Prozent. Besonders gefährdet ist vor allem eine Gruppe: Rentner. Bei 22,1 Prozent lag die AGQ 2014 in der Gruppe der über 65-Jährigen. Bei Frauen mit 24,6 Prozent sogar etwas höher. Also jede Vierte ist betroffen.
Seit 2007 unterstützt Schmidt für den VdK in Kronach Menschen in sozialrechtlichen Fragen. Unter anderem, wenn die Rente zum Leben einfach nicht ausreicht. Die größte Hürde: der Stolz. "Ich sage dann immer, dass das Geld genau dafür da ist, es ihnen zusteht", erzählt Schmidt. "Aber bei manchen kommt man da einfach nicht durch."
Ein Wort, das abschreckt
Auch bei der Rentnerin, deren Fall Schmidt auch Jahre später noch präsent ist. "Sozialleistungen wollte sie trotzdem nicht beantragen. Dafür war sie zu stolz", erinnert sich Schmidt. Mitverantwortlich dafür war wohl vor allem ein Wort. Sozialhilfe. Für viele dieser Generation schlicht nicht vorstellbar. Erst zum 1. Januar 2005 wurde in das Arbeitslosengeld II und die Grundsicherung für Rentner sowie Erwerbsminderungsrentner unterteilt. "Seitdem ist die Bereitschaft, Hilfe zu beantragen, etwas besser geworden", sagt Schmidt.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Cornelia Thron gemacht. "Viele sprechen tatsächlich noch von der ,Stütze‘, die sie auf keinen Fall in Anspruch nehmen wollen", sagt die Geschäftsführerin des Kronacher Caritasverbands. Kürzlich sei jedoch eine Rentnerin vorbeigekommen, die mit den Worten "jetzt ist die Zeit des Schämens vorbei" eine Berechtigungskarte für den Sozialladen der Caritas beantragte. Offenbar keine Ausnahme. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Caritas-Klienten, die eine Rente oder Erwerbsminderungsrente beziehen, spürbar gestiegen. "Viele, die bisher versucht haben, alleine klarzukommen, merken, dass sie es nicht mehr schaffen", sagt Thron. Gerade im ländlichen Bereich seien Rentner häufig durch die Familie aufgefangen worden, doch solche Strukturen würden immer weniger.
Während die Lebenshaltungs- und Energiekosten steigen, halten die Renten ebenso wenig Schritt wie die Grundsicherung. Daran ändert auch nichts, dass der Bundestag erst kürzlich eine Rentenerhöhung verabschiedete und die Grundsicherung mit dem Beginn des neuen Jahres von 399 auf 404 Euro stieg. Das sei zwar erfreulich, findet Anja Schmidt, doch bei Alleinstehenden müssten mindestens 500 Euro angerechnet werden: "Und das ist sogar noch zu niedrig angesetzt. Aber das lässt sich natürlich nicht realisieren. Das weiß ich auch. Ich bewundere jeden, der mit diesem niedrigen Regelsatz zurechtkommt. Er hat meinen größten Respekt."
Nahrungsmittel, Kleidung und Strom sollen unter anderem durch den Regelsatz bezahlt werden können. "Es bleibt aber zu wenig übrig", ist Christa Körner überzeugt. Ein Café-Besuch pro Monat sei gerade so noch möglich, erklärt die Sozialpädagogin, die für die soziale Beratung der Caritas arbeitet. "Aber man soll ja auch noch Gelder für Ersatzbeschaffungen zurücklegen, das ist kaum möglich", sagt Körner. Sollte beispielsweise einmal die Waschmaschine den Geist aufgeben, stünden die Betroffenen vor einem Problem.
Mit seinen 980 Euro liegt der durchschnittliche Rentner zwar knapp unter der Armutsgefährdungsschwelle, hat jedoch deutlich mehr zur Verfügung als sich mancher Altersgenosse wünschen würde. Denn nur wer monatlich weniger als 760 Euro auf seinem Kontoauszug abliest, hat laut der Caritas Chancen, die Grundsicherung zu erhalten. "Auf jeden Fall sollte man einen Antrag stellen", sagt Körner. "Mehr als abgelehnt werden kann er nicht."
"Ein ungefährer Richtwert"
Bei 124 Anträgen half der Sozialverband VdK im vergangenen Jahr. "Meistens wird er auch bewilligt", berichtet Anja Schmidt. "Nur vielleicht nicht in der Höhe wie es sich der Antragsteller vorgestellt hat." Mit maximal 286 Euro wird im Kreis Kronach die Kaltmiete bezuschusst. Wie viel der 404 Euro Grundsicherung ein Rentner erhält, hängt auch davon ab, wieweit er an der Schwelle der 760 Euro kratzt. "Das ist natürlich sehr pauschal gerechnet, aber ein ungefährer Richtwert. Es kommt letztlich immer auf den Einzelfall an", sagt Körner.
Insgesamt 541 978 Euro gab das Landratsamt Kronach im vergangenen Jahr für die Grundsicherung von exakt 179 Senioren aus. Im Schnitt also 252 Euro. "2014 wurde ähnlich viel ausgezahlt", sagt Kreiskämmerer Günter Daum. "Das Geld kriegen wir aber voll vom Bund erstattet".
In den vergangenen Jahren sei der durch den Bund übernommene Anteil stetig gestiegen, ehe seit 2014 auf den Landkreis für diesen Posten keine Kosten mehr zukommen.