Smartphones am Steuer: Nur noch kurz die Mails checken

3 Min
48 Sekunden dauert es laut einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen, einen Text in einer Nachrichten-App zu verfassen. Zeit, die fehlt, den Verkehr im Blick zu behalten. Das Unfallrisiko steigt daher um ein Vielfaches. Foto: dpa/Archiv
48 Sekunden dauert es laut einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen, einen Text in einer Nachrichten-App zu verfassen. Zeit, die fehlt, den Verkehr im Blick zu behalten. Das Unfallrisiko steigt daher um ein Vielfaches. Foto: dpa/Archiv

Dank Smartphones besteht die Möglichkeit, an jedem Ort Büroarbeiten zu erledigen - auch vom Auto aus. Das führt allerdings zu einem gefährlichen Trend.

Wenn Michael Lenker aus dem Seitenfenster seines Lkw-Führerhauses blickt, bleibt ihm öfters nichts anderes übrig, als mit dem Kopf zu schütteln. Mal sichtbar, mal nur innerlich. "Manche Fahrer haben ihren Laptop auf dem Armaturenbrett stehen und nutzen ihn als Navigationsgerät, andere haben an gleicher Stelle eine Kaffeemaschine oder einen Fernseher", zählt der Geschäftsführer der Stockheimer Lenker Speditions- und Logistik GmbH auf und klingt dabei regelrecht entgeistert. "Das ist einfach katastrophal. So etwas sind Unfallursachen und gefährden ganz klar andere Verkehrsteilnehmer."

Dabei sei die Regel denkbar einfach. Denn der Deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein (Dekra), der Tüv sowie die Polizei schreiben klar vor, dass der Bereich unter der Windschutzscheibe nicht als Ablage genutzt werden darf.


Keine belastbaren Zahlen

Doch nicht immer müssen es Fernsehgeräte sein, die bei einem Unfall zu einem gefährlichen Geschoss werden können, um abgelenkt zu werden - das Smartphone reicht. Noch einmal schnell die neueste Nachricht in der WhatsApp-Gruppe lesen, kurz den Status auf Facebook aktualisieren oder die nächste Spotify-Playlist auswählen. Dafür wird doch nur eine Hand benötigt - dürften sich in Bayern im vergangenen Jahr über 57 000 Autofahrer gedacht haben. So viele wurden jedenfalls wegen der Nutzung eines Handys am Steuer angezeigt.

Verkehrspsychologen der Technischen Universität Braunschweig stellten bei Beobachtungen für eine Studie fest, dass von rund 12 000 vorbeifahrenden Autos 4,5 Prozent der Fahrer mit einem Mobiltelefon hantierten. "Den Leuten scheint nicht klar zu sein, wie gefährlich gerade das Tippen auf dem Handy ist", erklärte Mark Vollrath, der die Studie leitete, gegenüber der dpa. Allein eine Kurznachricht zu schreiben oder eine Telefonnummer einzutippen, erhöhe das Risiko, einen Unfall zu verursachen, um das Sechs- bis Zwölffache.

Belastbare Unfallzahlen lägen dem bayerischen Innenministerium dazu allerdings nicht vor, teilte dessen stellvertretender Pressesprecher Michael Siefener unserer Zeitung auf Anfrage mit. Nur wenige Bundesländer führen Statistiken über die Handynutzung am Steuer - Bayern gehört nicht dazu. Offiziell nachgewiesen wurden Mobiltelefone als Unfallursache in noch nicht einmal 0,1 Prozent der Fälle. Das Ministerium gehe jedoch ebenso wie die Wissenschaft von einem "hohen Dunkelfeld" aus, so Siefener.

Das Problem bleibt der Nachweis. "Ein Handy ist nach einem Unfall nun einmal schnell weggelegt", sagt Dominik Fehn, Pressesprecher des Polizeipräsidums Oberfranken. Daher sei es nicht möglich, dazu eine verlässliche Statistik zu erstellen.


Fahren "im Blindflug"

Anders sieht dies bei den Auswirkungen der Handynutzung auf den Straßenverkehr aus. Eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen ergab unter anderem, dass es durchschnittlich 48 Sekunden dauert, einen Text in einer Nachrichten-App zu verfassen. Eine Kurznachricht zu schreiben kostet mit 36 Sekunden nur unwesentlich weniger Zeit. "Während bei einem Telefongespräch wenigstens noch das Sehen auf den Straßenverkehr ausgerichtet bleibt, fordert eine Textnachricht gerade auch diesen Sinn", sagt Siefener. "Wird das Sehen also durch eine Textnachricht unter Beschlag genommen, fährt das Fahrzeug sprichwörtlich im Blindflug." Wer etwa bei Tempo 50 den Blick nur für zwei Sekunden nicht auf die Straße richtet, legt knapp 30 Meter zurück, ohne die Straße oder andere Autos zu sehen.

Für die 20 Lastwagen, die Lenkers Firma besitzt, scheiden Smartphones als Unfallursache seit eineinhalb Jahren auch theoretisch aus. "Die sind in einer Halterung fest verbaut und können über das Lenkrad gesteuert werden", erklärt Michael Lenker. Aus der Halterung genommen werden könne das Mobilfunkgerät zudem nur, wenn der Motor ausgestellt ist.

Abgelenkt werden freilich nicht nur Auto- oder Lkw-Fahrer. Auch Radfahrer und Fußgänger zählen zu den besonderen Risikogruppen. "Insgesamt sehen wir deshalb die sich mit der Nutzung von Handys und Smartphones ergebenen Risiken im Straßenverkehr als sehr erheblich an", sagt der Sprecher des Innenministeriums.
Allerdings sei die Zahl der Verstöße seit dem Jahr 2011 rückläufig. "Wir gehen davon aus, dass der Rückgang in den letzten beiden Jahren auch auf die Erhöhung des Bußgeldes zurückzuführen ist", so Siefener. Zum 1. Mai 2014 wurde die Strafe für eine "unzulässige Handynutzung" von 40 Euro auf 60 Euro aufgehoben. Zusätzlich gibt es seitdem einen Punkt in der Verkehrssünderdatei.

Dennoch hält es das Ministerium für möglich, den Bußgeldsatz noch einmal zu erhöhen. Das "könnte auch eine höhere präventive Wirkung auf einen Teil der bisher telefonierenden Verkehrsteilnehmer entfalten", erklärt Siefener. Entscheidend sei vor allem, dass sich die Handynutzer angesichts des immens erhöhten Unfallrisikos einsichtig zeigen. Siefener: "Für die Unbelehrbaren sind daher auch konsequente Verkehrskontrollen notwendig."

Zukünftig werde die Polizei während ihrer Streifenfahrten ein besonderes Augenmerk darauf legen, ob ein Fahrer größeres Interesse am Straßenverkehr oder an seinem Smartphone hat.

Kommentar: Gesetz muss an die Gegenwart angepasst werden

Wagen wir doch einen kleinen Ausflug in Marty McFlys berühmten DeLorean aus der Filmreihe"Zurück in die Zukunft".

Ziel der Zeitreise: Das Jahr 1998. Helmut Kohl befindet sich im letzten seiner 16 Jahre als Bundeskanzler, US-Präsident Bill Clinton verliert im Zuge der "Lewinsky-Affäre" beinahe sein Amt - und im Bundestag wird erstmals ein Gesetz über die Nutzung von Mobiltelefonen im Straßenverkehr verabschiedet. Dass das Telefonieren mit diesen ein Jahrzehnt später nur noch einer von zahlreichen Aspekten ist, dürfte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Apple-Visionär Steve Jobs geahnt haben.

Düsen wir zurück in die Gegenwart: Helmut Kohl und Bill Clinton befinden sich längst in der politischen Rente. Das Gesetz zur Handynutzung existiert zu großen Teilen noch heute. Lediglich der Bußgeldkatalog wurde zwischenzeitlich angepasst. Doch nicht nur Mobiltelefone haben sich weiterentwickelt - auch Autos. Ist der Motor aus, sind dem Smartphone-Vergnügen keine Grenze gesetzt. Problematisch in einer Zeit der kraftstoffsparenden Stopp-Start-Systeme. Es ist nur eine von mehreren Gesetzeslücken, die geschlossen werden müssen. Das Gesetz muss der Gegenwart angepasst werden. Es darf keine Variante geben, ein Smartphone während der Fahrt legal zu nutzen.

Übrigens: Schon jetzt wird der Versicherungsschutz riskiert, falls ein Handy als Unfallursache festgestellt wird. Das sollte jedem klar sein.