Kommentar zur Gleichberechtigung: Was noch folgen muss

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Die britische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts bei einer Rede für das Frauenwahlrecht einsetzt - heute vor 100 Jahren konnten Frauen in Deutschland erstmals ihr aktives und passives Wahlrecht in Anspruch nehmen. Foto: dpa
Die britische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts bei einer Rede für das Frauenwahlrecht einsetzt - heute vor 100 Jahren konnten Frauen in Deutschland erstmals ihr aktives und passives Wahlrecht in Anspruch nehmen.  Foto: dpa

Es gibt wohl keinen passenderen Abschluss für diese Themenwoche als das heutige Jubiläum: Das Land feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht, ein Meilenstein der Gleichberechtigung, dem viele folgten. Doch das Ziel ist lange nicht erreicht.

Im ganzen Land wird am heutigen Samstag der Hut gezogen: Von Frauen, vor Frauen, die in den vergangenen 100 Jahren für ihre Rechte und gegen soziale Benachteiligung auf die Straße gegangen sind. Frauenverbände rufen dazu auf, den Hut zu ziehen und damit ein Statement für die politische Kraft der Frauen zu setzen. Die Aktion soll an die Szenen von damals erinnern, als genau heute vor 100 Jahren bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919, erstmals 17 Millionen Frauen ihr aktives und passives Wahlrecht nutzten.

Der Kampf geht weiter

Ein harter Kampf, ein historischer Erfolg, ein großer Tag für die Gleichberechtigung in Deutschland - doch bei all den Superlativen darf nicht vergessen werden, dass dieser, wie auch alle folgenden Meilensteine, an dürftig asphaltierten, holprigen Wegen gesetzt wurden. Sicher gibt es jene, die meinen: Männer und Frauen sind im Jahr 2019 längst gleichberechtigt - was soll also der Terz?

Im Vergleich zu anderen Kulturen, die von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ebenso weit entfernt sind wie von demokratischen Wahlen, mag das stimmen. Deutsche Frauen und Männer könnten sich nun freudig in die Hände klatschen und weitermachen wie bisher, oder aber den Vergleich mit anderen beiseitelegen und feststellen: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Gleichstellung von Frauen ist 2019 wichtiger denn je - es hakt noch gewaltig.

Während das Frauenwahlrecht den großen "Runden" feiert, ist Deutschland, geht es um die wohl intimste und sensibelste Wahl, die eine Frau im Leben zu treffen hat, in einem vergangenen Zeitalter stehen geblieben. Noch immer reglementiert ein Gesetzestext aus den Dreißigerjahren indirekt die körperliche Selbstbestimmung der Frau: Paragraf 219a untersagt Frauenärzten, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Der Abbruch an sich ist unter bestimmten Bedingungen straffrei. Trotzdem verhindert das Strafgesetzbuch, dass Frauen, die vor dieser unglaublich schweren Entscheidung stehen, unkompliziert Zugang zu neutralen Informationen bekommen. Das ist absurd und muss geändert werden. Lasst uns heute also auch den Hut vor allen Ärzten, Politikern und Bürgern ziehen, die für eine Abschaffung dieses Paragrafen eintreten.

Im Grundgesetz gleichberechtigt

Ebenfalls um einen Paragrafen dreht sich ein weiterer Meilenstein der Gleichberechtigung: 1949 bringt Elisabeth Seibert mit ihren Mitstreiterinnen im Parlamentarischen Rat die Gleichberechtigung ins Grundgesetz. Seitdem steht der Grundsatz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" in Artikel 3, Absatz 2, unseres Grundgesetzes - 1994 wurde der Gesetzestext ergänzt: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile ein." 25 Jahre später sind wir immer noch meilenweit von Lohngerechtigkeit entfernt - Frauen bekommen seit jeher weniger Gehalt als Männer - bei gleicher Leistung. Selbst wenn man den bereinigten Wert hernimmt, der weit unter der offiziellen Lohnlücke von 21 Prozent liegt, ist der sogenannte "Gender Pay Gap" Realität. Real ist auch die Tatsache, dass Frauen EU-weit häufiger als Männer von Altersarmut betroffen sind. Wer auch weiter für die Beseitigung dieser und vieler weiterer bestehender Nachteile kämpft, vor dem ziehe man den Hut.

Auf einen langen Kampf folgte ein weiterer großer Tag der Gleichberechtigung im Jahr 1957: Der sogenannte "Gehorsamsparagraf" wurde ersatzlos aus dem Grundgesetz gestrichen. Dieser sprach bis dato dem Mann in einer Ehe das Recht zur Entscheidung aller gemeinsamen Angelegenheiten zu. "Heute kaum vorstellbar", hört man dazu gerne. Fast schon grotesk ist die Tatsache, dass erst im Jahr 1998 Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird. Der Paragraf, der vergewaltigenden Ehemännern Sonderrechte einräumte, wurde erst nach langem Protest geändert - dann aber mit überwältigender Mehrheit. Doch erneut Vorsicht vor Superlativen: 470 Befürwortern standen vor 21 Jahren immer noch 138 Nein-Stimmen gegenüber. Und diesen Errungenschaften, den Meilensteinen, stehen auch heute noch 113 965 weibliche Opfer von Partnerschaftsgewalt gegenüber, die allein im Jahr 2017 in die polizeiliche Kriminalstatistik flossen. Nach wie vor werden Frauen öfter Opfer häuslicher Gewalt als Männer - jede vierte Frau hat mindestens einmal in ihren Leben körperliche oder sexuelle Gewalt in einer Partnerschaft erfahren.

Vor all diesen Frauen muss eine Gesellschaft nicht nur den Hut ziehen. Sie muss dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht mehr alleine gelassen werden. Und einsehen, dass wir auf dem Weg zur Gleichberechtigung, der sicher von vielen euphorischen und historischen Etappensiegen begleitet wurde, noch lange nicht am Ziel sind. Es folgt noch ein steiler Anstieg.