Kommt Zeit, kommt Kunst
Grau zeigt, wie mit einem Meißel, einem Klüpfel, einem Fäustel oder einem Zahneisen hantiert wird. Und er erklärt in aller Kürze, dass er ungern zur Flex und anderen elektrischen Werkzeugen greift. Er hört lieber das rhythmische Klopfen und Hämmern als ein nervendes Kreischen. "Bildhauerei und Psychotherapie sind ähnlich", erklärt er aus seiner beruflichen Erfahrung heraus. "Sie brauchen Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Bei der Steinbildhauerei braucht man Muse." Die liefert einem die viel langsamere Herangehensweise in Handarbeit.
Und es ist erstaunlich, wie schnell mich die Muse packt, während Grau sich immer weiter in den Hintergrund zurückzieht. Mit dem Zahneisen und dem Klüpfel trage ich feinere Schichten ab, mit dem Fäustel und dem Meißel hämmere ich auch mal dickere Brocken aus dem Sandstein. Wohlwollend nickt Grau, als ich selbst mein Vorhaben auf den Prüfstein stelle, die Sache plötzlich anders angehen will.
Das ist der Effekt, den er sich erhofft hat: offen sein, nicht an vorgefassten Entschlüssen kleben, dem Bauchgefühl folgen.
Ihm ist es wichtig, dass Menschen sich selbst erfahren und sich ein Stück ihrer Persönlichkeit in dem wiederfindet, was sie aus dem Stein hauen, was sie malen oder auch schreiben. Ein Wort, dass ihm für ein künstlerisches Werk besonders wichtig erscheint: "authentisch". So ein Stück Stein mit einer eigenen Seele im Garten stehen zu haben, ist ihm viel lieber als eine Dekoration vom Fließband.
Ohne es zu merken, hat mich Graus Virus offenbar gepackt. Hieb um Hieb tauche ich mehr in meine eigene Welt ein. Ich sehe, wo das eine Hundeohr abgeknickt sein könnte, von wo mir einmal die Augen entgegenblicken werden und wo die Ansätze der Schnurrhaare an der noch imaginären Schnauze entstehen könnten. Dabei liegt im gleichen Augenblick immer noch ein ziemlich unverändert roher Steinklotz vor mir.
Gar nicht stupide
Das fortwährende, durchaus anstrengende Hämmern fühlt sich weder nach Arbeit noch stupide an. Das Klopfen hat eher meditative Züge. Es lässt bei aller Lautstärke sogar die Sinne für die Umgebung hellhörig werden. Für den trillernden Vogel. Für den gemütlich plätschernden Bach.
Ein Blick auf die Uhr: Wie, es ist schon Mittag durch? Das Gefühl für die Zeit ging in den vergangenen drei Stunden irgendwo verloren.
Es geht weiter
Zu einem Künstler hat mich diese kurze Zeit in Grössau sicher nicht werden lassen. Schon gar nicht zu einem Steinmetz. Trotzdem hat sie mich ein klein wenig verändert. Bei allem Alltagsstress hat sie mir gezeigt, dass es viel einfacher als vermutet ist, sich wieder zu erden und aus dem Trubel auszuklinken. Das merke ich auch jetzt, Tage später, wenn ich in meinem Garten an meinem Stein klopfe. Er nimmt langsam Formen an. Hoffentlich wird er irgendwann mein Hund sein. Aber das hat Zeit!