Im Hämmern die Ruhe finden

3 Min
Mit dem Zahneisen bringt Marco Meißner erste Konturen in den Stein. Fotos: Matthias Hoch (3)/Marco Meißner
Mit dem Zahneisen bringt Marco Meißner erste Konturen in den Stein. Fotos: Matthias Hoch (3)/Marco Meißner
Der Stein wird immer wieder gewendet, das Motiv neu durchdacht.
Der Stein wird immer wieder gewendet, das Motiv neu durchdacht.
 
Gottfried Grau gestaltete "Jona".
Gottfried Grau gestaltete "Jona".
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nach inzwischen mehreren Stunden "Heimarbeit" zeichnen sich langsam die Konturen eines Hundekopfes ab.
Nach inzwischen mehreren Stunden "Heimarbeit" zeichnen sich langsam die Konturen eines Hundekopfes ab.
 

Wie schwer ist es, völlig unbedarft die ersten Schritte hin zu einer künstlerischen Arbeit zu gehen. In einem Selbstversuch beim Hobbybildhauer gibt es ein überraschendes Ergebnis.

Es ist ein ziemlich grober Klotz, der da vor mir liegt. Ein schwerer Sandsteinquader. Mittendrin ein Knick. Und ein Ende, das an eine Schweinenase erinnert. Künstlerischer Wert: Fehlanzeige! Ob sich das ändern wird, wenn ich mit meinen beiden linken Händen daran zu Werke gehe? Ich kann's mir kaum vorstellen.

Nicht weniger skeptisch reagierte Gottfried Grau einige Tage vor meiner "unheimlichen Begegnung" mit dem Stein. Auf die Frage, ob er mir für einen Selbstversuch als Lehrmeister zur Verfügung stehen würde, war das Stirnrunzeln des Grössauer Hobbybildhauers selbst durch die Telefonleitung unübersehbar.

"Eigentlich ist das nicht der richtige Weg", erwiderte er auf meinen Plan, einen Vormittag lang die allerersten Schritte eines künstlerisch wie handwerklich semitalentierten, um nicht zu sagen limitierten Reporters in der Bildhauerei zu begleiten. "Zum Einstieg bräuchte es eigentlich einen richtigen Kurs", meinte Grau. Denn viel Ersichtliches werde unter dem Strich nach zwei, drei Stunden Arbeit nicht da sein.

Nun stehe ich trotzdem hier, mitten in Graus Garten, quasi seiner Bildhauerwerkstatt. Herzlich und weltoffen wie der 75-Jährige ist, lässt er sich doch auf das Experiment ein.

Dann geht es los. Nicht mit Erklärungen der Werkzeuge. Auch nicht mit künstlerischen Anweisungen. Stattdessen laufen wir vorbei an Graus Steinvorrat. Ein Sandsteinbrocken liegt neben dem anderen. Ich soll mich hineindenken. "Schauen Sie, ob Sie in irgendeinem der Steine etwas sehen, ob einer Sie anspricht", meint der Hobbykünstler.

Dreidimensional denken

Dass dieser Prozess für einen Kunst-Novizen gar nicht so einfach ist, merke ich schnell. Das Gefühl für ein zweidimensionales Fotomotiv bringt der Beruf mit sich. Aber hier ist mehr gefragt. Die Dreidimensionalität im Denken. "Mit der Zeit entstehen eigene Bilder", erklärt Grau. Und während des Arbeitsprozesses am Stein würden sich diese gedanklichen Momentaufnahmen auch immer wieder verändern.

Plötzlich macht es tatsächlich Klick. Ich stehe vor besagtem Quader. Qualitativ kein sonderlich guter Stein, wie Grau feststellt. Aber er hat mich gepackt. Der Zacken ein Ohr, das runde Ende eine Schnauze - das könnte glatt mein Hund werden. Grau nickt. Der Stein wird auf einem Baumstumpf platziert, ausgerichtet und verkeilt. Jetzt wird's ernst.

Kommt Zeit, kommt Kunst

Grau zeigt, wie mit einem Meißel, einem Klüpfel, einem Fäustel oder einem Zahneisen hantiert wird. Und er erklärt in aller Kürze, dass er ungern zur Flex und anderen elektrischen Werkzeugen greift. Er hört lieber das rhythmische Klopfen und Hämmern als ein nervendes Kreischen. "Bildhauerei und Psychotherapie sind ähnlich", erklärt er aus seiner beruflichen Erfahrung heraus. "Sie brauchen Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Bei der Steinbildhauerei braucht man Muse." Die liefert einem die viel langsamere Herangehensweise in Handarbeit.

Und es ist erstaunlich, wie schnell mich die Muse packt, während Grau sich immer weiter in den Hintergrund zurückzieht. Mit dem Zahneisen und dem Klüpfel trage ich feinere Schichten ab, mit dem Fäustel und dem Meißel hämmere ich auch mal dickere Brocken aus dem Sandstein. Wohlwollend nickt Grau, als ich selbst mein Vorhaben auf den Prüfstein stelle, die Sache plötzlich anders angehen will.

Das ist der Effekt, den er sich erhofft hat: offen sein, nicht an vorgefassten Entschlüssen kleben, dem Bauchgefühl folgen.

Ihm ist es wichtig, dass Menschen sich selbst erfahren und sich ein Stück ihrer Persönlichkeit in dem wiederfindet, was sie aus dem Stein hauen, was sie malen oder auch schreiben. Ein Wort, dass ihm für ein künstlerisches Werk besonders wichtig erscheint: "authentisch". So ein Stück Stein mit einer eigenen Seele im Garten stehen zu haben, ist ihm viel lieber als eine Dekoration vom Fließband.

Ohne es zu merken, hat mich Graus Virus offenbar gepackt. Hieb um Hieb tauche ich mehr in meine eigene Welt ein. Ich sehe, wo das eine Hundeohr abgeknickt sein könnte, von wo mir einmal die Augen entgegenblicken werden und wo die Ansätze der Schnurrhaare an der noch imaginären Schnauze entstehen könnten. Dabei liegt im gleichen Augenblick immer noch ein ziemlich unverändert roher Steinklotz vor mir.

Gar nicht stupide

Das fortwährende, durchaus anstrengende Hämmern fühlt sich weder nach Arbeit noch stupide an. Das Klopfen hat eher meditative Züge. Es lässt bei aller Lautstärke sogar die Sinne für die Umgebung hellhörig werden. Für den trillernden Vogel. Für den gemütlich plätschernden Bach.

Ein Blick auf die Uhr: Wie, es ist schon Mittag durch? Das Gefühl für die Zeit ging in den vergangenen drei Stunden irgendwo verloren.

Es geht weiter

Zu einem Künstler hat mich diese kurze Zeit in Grössau sicher nicht werden lassen. Schon gar nicht zu einem Steinmetz. Trotzdem hat sie mich ein klein wenig verändert. Bei allem Alltagsstress hat sie mir gezeigt, dass es viel einfacher als vermutet ist, sich wieder zu erden und aus dem Trubel auszuklinken. Das merke ich auch jetzt, Tage später, wenn ich in meinem Garten an meinem Stein klopfe. Er nimmt langsam Formen an. Hoffentlich wird er irgendwann mein Hund sein. Aber das hat Zeit!