Guerilla Knitting im Kreis Kronach: Mit der kalten Nadel gestrickt

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Mit der Ukraine fing es an: Weil Sie ein Zeichen gegen die russische Annexion der Krim setzen wollte, stülpte Heike Bär eine Mütze in den ukrainischen Farben über die Straßenphähle in der Schwedenstraße. Seitdem sind viele weitere Länder hinzugekommen. Foto: Marian Hamacher
Mit der Ukraine fing es an: Weil Sie ein Zeichen gegen die russische Annexion der Krim setzen wollte, stülpte Heike Bär eine Mütze in den ukrainischen Farben über die Straßenphähle in der Schwedenstraße. Seitdem sind viele weitere Länder hinzugekommen. Foto: Marian Hamacher
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Seit fünf Jahren zieren in Kronach bunte Wollüberzüge die Straßenpfosten von der Schwedenstraße hoch zum Bamberger Tor. Dahinter stecken der Strick-Enthusiasmus der 75-jährigen Heike Bär - und eine klare politische Haltung.

Es ist düster. Die Laternen hüllen die Straße hoch zum Bamberger Tor und den umliegenden Bereich entlang der Schwedenstraße in ein dumpfes gelbes Licht. Zu wenig, um ihr Vorhaben umzusetzen - weshalb zusätzlich die Lichtkegel einiger Taschenlampen nervös durch die Dunkelheit flackern. Nach und nach strahlen sie die Metallpfosten des Geländers an. Als wenige Stunden später die aufgehende Sonne die Arbeit der Straßenlaternen wieder übernimmt, offenbart sie das Ergebnis der nächtlichen Aktion aus dem Winter 2013. Und damit erstmals das, was schon seit fünf Jahren gefühlt zum Stadtbild gehört wie der Cranach-Drache zu Kronach: bunt umstrickte Straßenpfosten.

Mal rot-weiß gestreift, mal gelb-rot gekringelt. Jede Farbe scheint vertreten. "Das war eine echte Nacht-und-Nebel-Aktion. So richtig mit Herzklopfen", erinnert sich Heike Bär und muss schmunzeln, wenn sie die fünf Jahre zurückdenkt. "Wir hatten ja schließlich keine Erlaubnis", erinnert sich die inzwischen 75-Jährige. "Es war ja ein wildes Stricken."

Von den Reaktionen überrascht

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Für die nächtliche Strick-Aktion von Bär und ihren "Komplizinnen" der Strickgruppe vom Café "Tante Anne" gibt es gleich mehrere Bezeichnungen. Mal ist von Urban Knitting die Rede, mal von Guerilla Knitting (siehe Infokasten). Manchmal auch einfach nur von Strick Graffiti. Und doch meinen alle dasselbe: Alltagsgegenstände wie Bäume, Statuen oder Ampeln, die plötzlich eine wollene Hülle ziert.

Was die Strickgruppe um Heike Bär in Kronach an Straßenpfosten fortführte, begann 2005 in Houston (USA) mit einer Türklinke. Die Texanerin Magda Sayeg wollte an ihrem Laden etwas mehr Farbe in die ansonsten eher graue Umgebung bringen - von den Reaktionen war sie ebenso überrascht wie begeistert. Menschen seien in ihren Laden gekommen und hätten wissen wollen, von welchem Künstler die Woll-Klinke stammt. "Deshalb habe ich meine Freundin angerufen und gesagt: "Es klingt vielleicht blöd, aber mach einfach mit! Ich möchte den Pfahl des Stoppschilds am Ende der Straße umstricken", wird Sayeg in dem 2011 erschienenen Buch "Strick Graffiti" zitiert.

Eine Idee, die sich rasch um die Welt strickte. "Ich hatte das damals in Berlin gesehen und fand es einfach nur schön", erzählt Bär. Wie Sayeg acht Jahre zuvor, war auch die Kronacherin auf die Reaktionen ihrer Mitbürger gespannt, bezog am Bamberger Tor ihren Beobachtungsposten und wartete. "Es wusste ja keiner, dass ich das war", sagt sie. "Ich wollte wissen, ob da ein Aufstand kommt oder nicht. Dann kam der Bürgermeister und war begeistert."

"Schöne Farbtupfer"

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Fünf Jahre später erfreut sich Wolfgang Beiergrößlein noch immer an den Woll-Kreationen. "Das sind ein paar schöne Farbtupfer, die mittlerweile ganz gerne gesehen sind", findet das Kronacher Stadtoberhaupt. "Wir haben es dann auch offiziell geduldet und mitgetragen", erklärt er. Aus der Guerilla-Aktion ist daher längst ein zeitlich geregeltes Stadtverschönerungsprojekt geworden.

Nach dem Totensonntag darf Bär anfangen, die Pfosten in ihre Mützen und "Schals" einzumummeln. "Kurz vor Ostern muss ich sie dann wieder abnehmen, weil sie laut der Stadt nicht so gut zu den stillen Tagen passen", erklärt die Rentnerin.

Nicht willkürlich

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Eine Gemeinschaftsaufgabe war das wilde Stricken nur im ersten Jahr. Die Kronacher Strickgruppe gibt es nicht mehr. Bär ist die letzte von einstmals fünf Teilnehmerinnen. "Die anderen haben irgendwann das Interesse verloren", erzählt sie. Zehn der 50 Wollhüllen strickten ihre damaligen Mitstreiterinnen, den Rest steuerte die 75-Jährige bei. "Da habe ich Tag und Nacht gestrickt, den ganzen Winter lang. Das war wie eine Sucht!"

Willkürlich sind die speziellen Mützen und Schals übrigens nicht angebracht. Entlang des schmalen Wegs parallel zur Schwedenstraße hat Bär zum Beispiel Flaggen nachgestrickt. "Immer von Nationen, die auch in Kronach wohnen", erklärt sie. Passend dazu lautet das Motto auch "Kronach ist bunt". Bunt zu geht es auch am Geländer am Bamberger Tor - Bärs "Männerecke". "Da stand früher mal die Bank, auf der immer Männer saßen, um dort zu vespern und zu rauchen."

Kein Wunder, dass sich dort nun die Farben gleich mehrerer Fußballvereine wiederfinden. Nürnberg, Schalke, Mönchengladbach und Dortmund sind bereits vertreten. Den Rekordmeister sucht man mittlerweile vergeblich. "Die Mütze für Bayern München habe ich letztes Jahr vernichtet", betont Bär. Damit wolle sie dagegen protestieren, dass Uli Hoeneß nach seiner Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung sofort auf den Präsidentenposten zurückkehrte.

Dafür macht der FC Bayern den Platz für neue Pfahl-Mützen frei. Weil ein Fan von Carl Zeiss Jena freundlich fragte, strickte Bär kurzerhand eine Version in den blau-gelben Farben des dreifachen DDR-Meisters. Ein rot-weißer Pfahl für Fortuna Düsseldorf soll bald folgen.

Fünf Pfosten pro Tag

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Ehe die 50 Hüllen wieder festgestrickt und mit Kabelbindern vor Dieben gesichert sind, dauert es allerdings einige Tage. Mit der heißen Nadel muss Bär daher nicht stricken - eher mit einer ziemlich kalten. "Mehr als fünf Pfosten schaffe ich pro Tag nicht, weil es dann doch ziemlich kalt ist und mir dann die Finger steif werden", sagt die Rentnerin. Was sie jedes Jahr aufs Neue antreibt, hat Guerilla-Knitting-Gründerin Sayeg schon 2011 formuliert: "Wer von uns umwickelte Gegenstände anschaut, wird weder ärgerlich noch wütend. Er wird glücklich!"

Warum Guerilla Knitting nicht illegal ist

Begriff: Guerilla Knitting setzt sich zusammen aus dem spanischen "guerilla" (kleiner Krieg) und dem englischen "knitting" (Stricken). "Urban" bedeutet, dass es in einem städtischen Umfeld auftaucht. Rechtslage: Anders als traditionelle Graffitis, sind die gestrickten nicht illegal - weil sie keine Sachbeschädigung darstellen. Denn mehr als eine Schere ist nicht nötig, um sie wieder zu entfernen.

Trend: Das Guerilla Knitting sorgte mit dafür, dass das Stricken einen Aufschwung erlebte - auch im Kreis Kronach. "Gerade vor drei, vier Jahren hat man das deutlich gemerkt", erzählt Anna Hümmer, die in Gehülz seit bald 16 Jahren ihr "Strick- und Nähstübchen" betreibt. 2016 sei die ungewöhnlich hohe Nachfrage aber wieder gesunken.

Gefragt sei das Material zum Stricken oder Häkeln noch immer. "Das hängt allerdings stark vom Wetter ab", weiß die 67-Jährige. "Wenn es warm ist, stricken die jüngeren Frauen nicht so gerne, da kaufen dann vor allem Ältere ein." Die Wärme sei auch der Grund dafür, dass sie ihre Nähkurse an der Kronacher VHS nicht im Sommersemester anbot. "Da würden dann einfach nicht genug Anmeldungen zusammenkommen", erklärt Anna Hümmer. Im kommenden Wintersemester werde es aber wieder zwei neue Strickkurse geben.