Nicht willkürlich
;
Eine Gemeinschaftsaufgabe war das wilde Stricken nur im ersten Jahr. Die Kronacher Strickgruppe gibt es nicht mehr. Bär ist die letzte von einstmals fünf Teilnehmerinnen. "Die anderen haben irgendwann das Interesse verloren", erzählt sie. Zehn der 50 Wollhüllen strickten ihre damaligen Mitstreiterinnen, den Rest steuerte die 75-Jährige bei. "Da habe ich Tag und Nacht gestrickt, den ganzen Winter lang. Das war wie eine Sucht!"
Willkürlich sind die speziellen Mützen und Schals übrigens nicht angebracht. Entlang des schmalen Wegs parallel zur Schwedenstraße hat Bär zum Beispiel Flaggen nachgestrickt. "Immer von Nationen, die auch in Kronach wohnen", erklärt sie. Passend dazu lautet das Motto auch "Kronach ist bunt". Bunt zu geht es auch am Geländer am Bamberger Tor - Bärs "Männerecke". "Da stand früher mal die Bank, auf der immer Männer saßen, um dort zu vespern und zu rauchen."
Kein Wunder, dass sich dort nun die Farben gleich mehrerer Fußballvereine wiederfinden. Nürnberg, Schalke, Mönchengladbach und Dortmund sind bereits vertreten. Den Rekordmeister sucht man mittlerweile vergeblich. "Die Mütze für Bayern München habe ich letztes Jahr vernichtet", betont Bär. Damit wolle sie dagegen protestieren, dass Uli Hoeneß nach seiner Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung sofort auf den Präsidentenposten zurückkehrte.
Dafür macht der FC Bayern den Platz für neue Pfahl-Mützen frei. Weil ein Fan von Carl Zeiss Jena freundlich fragte, strickte Bär kurzerhand eine Version in den blau-gelben Farben des dreifachen DDR-Meisters. Ein rot-weißer Pfahl für Fortuna Düsseldorf soll bald folgen.
Fünf Pfosten pro Tag
;
Ehe die 50 Hüllen wieder festgestrickt und mit Kabelbindern vor Dieben gesichert sind, dauert es allerdings einige Tage. Mit der heißen Nadel muss Bär daher nicht stricken - eher mit einer ziemlich kalten. "Mehr als fünf Pfosten schaffe ich pro Tag nicht, weil es dann doch ziemlich kalt ist und mir dann die Finger steif werden", sagt die Rentnerin. Was sie jedes Jahr aufs Neue antreibt, hat Guerilla-Knitting-Gründerin Sayeg schon 2011 formuliert: "Wer von uns umwickelte Gegenstände anschaut, wird weder ärgerlich noch wütend. Er wird glücklich!"
Warum Guerilla Knitting nicht illegal ist
Begriff: Guerilla Knitting setzt sich zusammen aus dem spanischen "guerilla" (kleiner Krieg) und dem englischen "knitting" (Stricken). "Urban" bedeutet, dass es in einem städtischen Umfeld auftaucht. Rechtslage: Anders als traditionelle Graffitis, sind die gestrickten nicht illegal - weil sie keine Sachbeschädigung darstellen. Denn mehr als eine Schere ist nicht nötig, um sie wieder zu entfernen.
Trend: Das Guerilla Knitting sorgte mit dafür, dass das Stricken einen Aufschwung erlebte - auch im Kreis Kronach. "Gerade vor drei, vier Jahren hat man das deutlich gemerkt", erzählt Anna Hümmer, die in Gehülz seit bald 16 Jahren ihr "Strick- und Nähstübchen" betreibt. 2016 sei die ungewöhnlich hohe Nachfrage aber wieder gesunken.
Gefragt sei das Material zum Stricken oder Häkeln noch immer. "Das hängt allerdings stark vom Wetter ab", weiß die 67-Jährige. "Wenn es warm ist, stricken die jüngeren Frauen nicht so gerne, da kaufen dann vor allem Ältere ein." Die Wärme sei auch der Grund dafür, dass sie ihre Nähkurse an der Kronacher VHS nicht im Sommersemester anbot. "Da würden dann einfach nicht genug Anmeldungen zusammenkommen", erklärt Anna Hümmer. Im kommenden Wintersemester werde es aber wieder zwei neue Strickkurse geben.