Die Recherche als Puzzle
Recherche sei vergleichbar mit einem Puzzle: Man bekommt einen Hinweis, fängt an. „Und wie beim Puzzle versucht man, erst den Rahmen zu setzen und sich dann nach innen vorzuarbeiten“. Ein Schüler fragt sich, warum jemand Informationen an die Presse gibt, beispielsweise über schwarze Kassen. „Da ist die Bandbreite groß: Es kann aus Ärger über die Firma sein, Stress oder vielleicht sogar eine Kündigung. Oder schlechtes Gewissen: Gelegentlich rutschen Mitarbeiter irgendwo hinein, bis sie irgendwann feststellen: Hoppla, das geht es ja um ein schweres Kapitalverbrechen“.
Dieser Informant könnte später vor Gericht ein wichtiger Zeuge werden.
Das Grundprinzip sei erst Information, dann Meinungsäußerung
Ott wird gefragt, ob er, ob die SZ immer objektiv berichtet „Ich habe ein Problem mit dem Wort. Überlegt euch mal, wenn ihr jetzt sieben Teams mit zehn Mann bilden würdet, und jedes entscheiden müsste, was die drei wichtigsten Nachrichten des gestrigen Tages waren: Da kämen ganz verschiedene Ergebnisse heraus.“
Was die SZ für die wichtigsten Nachrichten hält, könne man tagsüber entweder online sehen – und täglich in der Zeitung auf Seite eins. „So ist unser Aufbau: Auf der Zwei folgt unser Thema des Tages, auf der Drei Reportagen aus allen Lebensbereichen, und erst auf Seite vier sind Kommentare“. Das Grundprinzip sei: Erst Information, dann Meinungsäußerung. „Mit Kommentaren wollen wir einen Anreiz zur Debatte schaffen: Die Leser sollen sich an uns reiben, sich ihre eigene Meinung bilden.“
Als es ums Thema Smartphone und soziale Netzwerke geht, wird Ott plötzlich von einem lauten Gongschlag und einer Lautsprecherdurchsage unterbrochen: „Morgen ist Adventsandacht, Beginn 7.40 Uhr. Alle sind eingeladen.“ Dann erklärt Ott, man könne das Smartphone sehr sinnvoll nutzen, aber auch für völligen Unsinn. „Es gibt keinerlei Beschränkungen, die Datenflut ist dramatisch“. Als er zwölf Jahre war, habe er Main-Post, Spiegel und SZ gelesen, Fernsehen bestand nur aus ARD, ZDF und drittem Programm. „Und im Haus hatte nicht jeder sein Smartphone, sondern wir teilten uns ein Wandtelefon mit Wählscheibe“.
Gefahr von „fake news“
Die Gefahr, cleveren Verführern oder falschen Informationen aufzusitzen, sei heute enorm groß. „Deshalb lautet nicht nur meine Forderung: Es muss das Schulfach Medienkunde eingeführt werden, zwei bis drei Jahre in den mittleren Altersstufen.“ Junge Menschen müssten geschult darin werden, nicht auf jede Schlagzeile oder jeden Post hereinzufallen.
Aber Klaus Ott stellt nicht nur Forderungen, er trägt aktiv zur Medienkompetenz bei: Dies ist bereits sein zweiter Auftritt in seiner früheren Schule. Er gibt Recherchekurse bei künftigen Redakteuren der Süddeutschen Zeitung und an der Journalistenschule. Sein wichtigster Tipp: „Dem Gesprächspartner genau zuhören. Oft werden die spannenden Dinge irgendwo ganz am Rande erwähnt. Und dann heißt es, mit Recherche loszulegen.“
Vorschaubild: © Norbert Hohler