Wiesenbronn
Archäologie

Synagoge war wohl einmal ein Herrenhaus

Bevor die ehemalige Synagoge in Wiesenbronn zu einem jüdischen Gebetshaus wurde, war sie wahrscheinlich ein Herrensitz. Was ein bisschen Mörtel, ein Stück Holz und ein paar Steine so alles verraten können...
Archäologe Reiner Burkard ist begeistert von den Funden im Hof der ehemaligen Synagoge in Wiesenbronn.  Ganz genau dokumentiert er die Lage einzelner Steine, die Beschaffenheit der Ausgrabungsschichten und den verwendeten Mörtel. Fotos: Karina Brock
Archäologe Reiner Burkard ist begeistert von den Funden im Hof der ehemaligen Synagoge in Wiesenbronn. Ganz genau dokumentiert er die Lage einzelner Steine, die Beschaffenheit der Ausgrabungsschichten und den verwendeten Mörtel. Fotos: Karina Brock
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Es ist nicht einmalig, aber unglaublich selten, was Reinhard Hüßner in seinem Hof entdeckt hat. Der Heimatforscher restauriert seit einigen Jahren in mühevoller Kleinstarbeit die ehemalige Synagoge in Wiesenbronn. Weil er sie zum Wohnhaus ausbauen will, muss er Versorgungsleitungen verlegen. Das hat archäologische Begleitgrabungen mit sich gebracht.

Betritt man jetzt das Grundstück der Badersgasse 4 in Wiesenbronn, tut sich mitten im geschotterten Hof ein etwa 2,50 Meter langes, zwei Meter breites und 1,80 Meter tiefes Loch auf. Darin sind Mauerreste, Sand und Erde zu sehen - ziemlich unscheinbar. "Dabei ist das alles hochinteressant", erklärt Reiner Burkard begeistert. Den Mittelalterarchäologen aus Deusdorf bei Bamberg hat Hüßner hinzugezogen, damit er mit ihm - in stetiger Absprache mit dem Denkmalpflegeamt - die altertümlichen Schätze hebt und dokumentiert. Denn was sie gefunden haben, schließt eine bis dato große Wissenslücke über das Anwesen.

"Was man sieht, ist das Fundament eines Kellers", erklärt Burkard. Bei der Untersuchung der angrenzenden Bodenschichten kamen Keramikstücke und ganze Holzschwellen zum Vorschein, durch deren Analyse der Bau des ursprünglichen Hauses ziemlich genau auf die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert werden konnte. "Der Baum für diesen Türsturz wurde 1264 gefällt - und sicher nicht lange danach verbaut." Außerdem gibt das verwendete Bindemittel - zuerst Lehm, dann feiner rotbrauner Mörtel und schließlich weißer Kalkmörtel - über drei Bauphasen Auskunft. Demnach wurde der ursprüngliche Kellereingang 50 bis 100 Jahre nach seinem Bau etwas versetzt - zur Seite und nach oben. Um 1500 scheint dann das komplette Gebäude abgerissen, der Keller aufgeschüttet und ein Neubau auf das alte Fundament gesetzt worden sein. "Der Keller wurde dann nicht mehr genutzt, was möglicherweise mit einem Hochwasserproblem zusammenhing - ebenso wie die erste Veränderung."


Verschiedene Erkenntnisse



Aus diesem Fund lassen sich laut Hüßner verschiedene neue Erkenntnisse ableiten. Wahrscheinlich war im Hochmittelalter an dieser Stelle ein Herrensitz gebaut worden. "Denn Steinhäuser hatte der Normalbürger zu dieser Zeit nicht, und auf kirchlichen oder klösterlichen Besitz deutet nichts hin." Damals bediente sich der Hochadel so genannter Dienstmannen zur Verwaltung seiner Liegenschaften. Als Zeichen ihrer herausgehobenen Stellung errichteten diese Steinhäuser oder kleine Burgen. "Aus archivalischer Überlieferung wissen wir, dass mindestens drei solcher Herrensitze im Dorf lagen, weil die Ortschaft an verschiedene Grundherren aufgeteilt war", informiert Hüßner.

Mit den neuen Funden ist die Nutzung des Anwesens nun lückenlos nachvollziehbar: Das Gebäude von 1265 war das erste Steinhaus an dieser Stelle. Hüßner legte aber auch Hinweise auf Holz- und Lehmbauten frei, die entweder eine Einfriedung oder Nebengebäude des Herrensitzes waren oder schlicht umliegende Häuser. Bis ins 16. Jahrhundert blieb das Anwesen wahrscheinlich ein Herrensitz. "Vieles deutet darauf hin, dass anschließend ein metallverarbeitendes Handwerk - zum Beispiel ein Schmied - seine Werk- und Wohnstatt hier hatte", erläutert Burkard. Irgendwann diente das Haus dann nur noch zum Wohnen und ging in jüdischen Besitz über. "1718 kam dann der Anbau dazu, durch den das Haus erstmals als Synagoge genutzt wurde."


"Ein Glücksfall"



Laut Burkard gibt es in ganz Unterfranken nur eine Hand voll Gebäude, die so genau datiert und bezeichnet werden können - im ländlichen Bereich seien solche Funde gar "ein Glücksfall". "Durch die eindeutigen Bauphasen sind sogar die Vorgänge rund um das Anwesen rekonstruierbar."

Mit diesem Wissen müssen die früheren Funde um die ehemalige Synagoge nun neu betrachtet werden. Daraus und aus weiteren Grabungen - Hüßner will noch eine Zisterne für sein Haus - erhoffen sich die beiden weitere Erkenntnisse über die Größe und den Grundriss des ursprünglichen Anwesens sowie darüber, wie das Haus in Bezug zu seinem Umfeld stand. "War es ein Giebelhaus oder eher ein Wohnturm? Hatte es einen Graben, eine Pallisade, Nebengebäude?", all diese Fragen will der Archäologe gerne klären. Denn das dunkle Mittelalter heiße nicht umsonst so. "Aus dieser Zeit wissen wir sehr viel weniger, als allgemein angenommen wird."


Drei Fördergeber



Damit die Forschung weitergehen kann, wartet Hüßner nun auf den nächsten, hoffentlich positiven Förderbescheid. Finanziell unterstützt wird die hochspezialisierte und damit teure Arbeit vom Bezirk Unterfranken, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und vom Landkreis Kitzingen. Alleine die Ausgrabung und Dokumentation kostete bisher fast 40.000 Euro - ohne die Fundstücke richtig auszuwerten und in Beziehung zu einander zu stellen. Ganz zu schweigen von den Summen, die die Sanierung der Synagoge und ihr Ausbau zum Wohnhaus verschlingen. "Wer nicht so viel Idealismus, Interesse und den Willen zur körperlichen Anstrengung mitbringt, wie Reinhard Hüßner, braucht mit so etwas gar nicht anzufangen", sagt Reiner Burkard.

Belohnt wird der Heimatforscher mit seinen Erfolgserlebnissen: "Es ist unglaublich spannend, hier zu graben und damit etwas über unsere Vergangenheit zu erfahren." Außerdem geht die Renovierung nun doch langsam aber sicher ihrem Ende entgegen. Derzeit wird die Mikwe ausgegraben. "Ich habe es aber nicht eilig." Hüßner hofft jetzt, dass die Ausgrabungen im Hof bald weitergehen können, denn die Dokumentation der Funde sei das Wichtigste - sie ersetze schließlich das Bodendenkmal, wenn der Hof wieder zugeschüttet wird. "Auswerten kann man später immer noch." Bis dahin wird sich aber noch so manches Loch auf dem Grundstück der Badersgasse 4 auftun, wo ein verschwitzter, aber glücklicher Reinhard Hüßner in Wiesenbronns Vergangenheit wühlt.