Sie hatte bereits ihre Beerdigung geplant: Jetzt schlägt in der Brust der Fränkin das Herz eines Toten

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Brigitte Meister lebt seit 2012 mit spenderherz foto diana fuchs
Brigitte Meister lebt seit zehn Jahren mit einem Spenderherzen. Sie freut sich über jede geschenkte Minute, jeden Spaziergang, jede Blume.
Brigitte Meister lebt seit 2012 mit spenderherz foto diana fuchs
Foto: DIANA FUCHS
Organspende-Skandal: Neue Verdachtsfälle in Regensburg
Ein Team aus Ärzten und Pflegern während einer Organ-OP.
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Foto: dpa-Archiv/Jens Ressing
Deutsches Herzzentrum in Berlin - Organspende
In solchen Organtransportboxen werden die Lebensretter zu ihren neuen Besitzern gebracht.
Deutsches Herzzentrum in Berlin - Organspende
Foto: DPA-Archiv/ Jens Kalaene–
Spenderherz
Zentrum des Lebens: So sieht das Herz eines Menschen aus, das gerade einem Verstorbenen entnommen wurde und nun einem Herzkranken implantiert wird, auf dass es ihm neues Leben schenke.
Spenderherz
Foto: Bernd Wüstneck/dpa

In Brigitte Meisters Brust schlägt seit zehn Jahren das Herz eines Toten. "Sein Organspendeausweis hat mein Leben gerettet", sagt die 65-Jährige aus Rüdenhausen.

Sie hatte ihre Beerdigung geplant, die Lieder, die Texte. Brigitte Meister wollte zwar nicht aufgeben, sie wollte kämpfen. Aber ihr war klar, dass die Chancen täglich schlechter wurden. Sie fühlte es genau. "Ich konnte nicht mehr laufen, nicht mehr richtig atmen, zum Schluss nicht mehr sprechen." Im Frühjahr 2012 war die Beerdigung organisiert. Doch dann, urplötzlich, begann ihr zweites Leben. Das Leben mit einem neuen Herzen, dem Herzen eines Verstorbenen.

14 Jahre alt war Brigitte Fischer, wie sie damals hieß, als sie mit ihren Eltern aus Mannheim nach Marktbreit kam. Sie lernte erst Zahnarzthelferin, später Arzthelferin. Zwischendurch führte sie mit ihrem damaligen Ehemann eine Tankstelle. Anfang der 80er-Jahre bekam die zweifache Mutter eine schwere Erkältung. "Ich wollte damals nicht ausfallen, weil ich die rechte Hand der Chefin war und wirklich gebraucht wurde", erzählt die 65-Jährige heute. "Und da ich ja in einer Arztpraxis gearbeitet habe, hab' ich mich selbst mit Antibiotika behandelt." Ein Fehler, wie sie heute ahnt.

Ein "Defi" in der Brust

Um die Jahrtausendwende begannen Brigitte Meisters gesundheitliche Probleme: Wassereinlagerungen am Herzschleimbeutel und in der Lunge machten ihr zu schaffen. War die verschleppte Erkältung schuld daran? Niemand kann das mit Sicherheit sagen. "Aber wahrscheinlich ist es schon", sagt Meister. 2003 bekam sie einen Defibrillator, einen Herzschrittmacher, eingepflanzt. So ein kleines Gerät in der Brust gibt elektrische Impulse ab und sorgt dafür, dass der normale Rhythmus des Herzens erhalten bleibt. Sechs Jahre lang funktionierte Meisters "Defi" gut, dann brauchte sie einen neuen.

Auch das zweite Gerät leistete gute Dienste. Für Brigitte Meister begann eine schöne Lebensphase: Sie lernte ihren zweiten Mann kennen, Wolfgang Meister, zog zu ihm nach Rüdenhausen. Auch gesundheitlich ging es ihr gut. Doch 2011 verschlechterte sich ihr Zustand. "Ich bekam Wassereinlagerungen, brauchte Sauerstoff." Im August 2011 wurde ihr Name auf die zentrale Liste der Menschen gesetzt, die ein neues Herz brauchen.

Es folgten Klinikaufenthalte, Entwässerungen, Biopsien. Intensivstation, Normalstation, wieder Intensivstation. Hoffen, Bangen. "Meine Herzleistung sank immer weiter. Die Ärzte gaben mir nur noch wenig Zeit." Im Februar 2012 wurde das Herz der Fränkin ganz schwach, hatte nur noch zehn Prozent Leistung, die Fachleute sprachen von schwerer Herzinsuffizienz. "Mein Name kam auf die Hochdringlichkeitsliste für eine Organtransplantation." Brigitte Meister machte ihr Testament. "Ich habe schon Todesangst gehabt", erzählt sie heute von dieser schweren Zeit, in der sie nicht mehr sprechen und auch nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnte.

Im Traum Omas Stimme gehört

"Dann hatte ich diesen Traum. Ich saß in einem Kahn auf dem Wasser und fuhr darin durch ein Tor. Hinter dem Tor höre ich meine Oma, die schon vor langer Zeit gestorben ist, sagen: 'Jetzt kriegste ein Spenderherz'." Wenige Tage später, "mein Mann war gerade aus der Klinik heimgefahren", kam der behandelnde Arzt zu Brigitte Meister ins Zimmer. "Er hat gesagt: 'Wir haben ein Herz für Sie.'" Das Herz eines hirntoten Organspenders stehe zur Verfügung, er werde gleich hinfliegen, sich das Herz anschauen und es, wenn alles passt, mit nach Würzburg bringen. "Mir sind die Tränen runtergelaufen. Noch in der Nacht wurde ich operiert. Am 4. April, einem Mittwoch, das weiß ich noch haargenau."

Drei Tage lang lag Brigitte Meister im künstlichen Koma. Am 7. April – ihrem 54. Geburtstag – ließen die Ärzte sie aufwachen. "In meinem Kopf war nur ein Gedanke: Ich lebe ja noch! Ich lebe ja wirklich noch!", erzählt Brigitte Meister heute. "Die Schwester kam rein und sagte: 'Herzlichen Glückwunsch, Sie haben heute Geburtstag.' Und ich sagte: 'Ich weiß!', die Worte habe ich gleich rausgekriegt."

Noch nie habe sie eine so "tiefe innere Freude" gespürt. "Auch das Atmen ging sofort leichter. Seitdem feiere ich meinen Geburtstag doppelt: am Tag der Transplantation und drei Tage später." Immer denkt sie an den Menschen, der ihr sein Herz geschenkt hat.

"Der Pfarrer war öfter da"

Durchs lange Liegen waren Brigitte Meisters Muskeln verkümmert, sodass sie das Laufen erst wieder erlernen musste. Wochenlang trug sie einen "dicken, festen Gürtel" von der Leiste bis zur Schulter, damit die Naht, die sich vom Nabel bis zum Brustbein erstreckte, nicht aufging. Einmal machte ein Blutgerinnsel Probleme, dann ein Niereninfarkt und eine Medikamentenunverträglichkeit. "Insgesamt wurde ich nach der Transplantation noch dreimal aufgemacht", erzählt Meister und fügt trocken hinzu: "Der Pfarrer war öfter da."

Doch das Herz erwies sich als großes Geschenk. "Es war vom ersten Tag an mein Freund, genau wie früher die Defis." Und dass es einst in der Brust eines anderen Menschen schlug, macht ihr das nichts aus? "Nein", sagt Brigitte Meister und schaut einem dabei direkt in die Augen. "Der Mensch, dem es gehörte, war tot; das Herz wäre mit ihm verwest oder verbrannt worden, wenn er es nicht gespendet hätte." Sie wüsste zwar gerne, von wem sie ihr Herz hat, was der frühere Besitzer für ein Mensch war. "Aber die Angehörigen wollen nicht, dass ich Kontakt zu ihnen aufnehme – sie haben das so hinterlegt." Gegen diese Entscheidung ist Meister machtlos.

In der ersten Zeit nach der Transplantation und der Reha musste die Fränkin einen großen Bogen um alles machen, was krankmachende Bakterien mit sich bringen könnte. "Beim Essen musste man sehr auf Hygiene achten. Und in den ersten Jahren durften wir keine Tiere halten." Mittlerweile lebt aber wieder ein Hund im Hause Meister: "Quanto", ein Boxer, hält seine Herrin auf Trab. Diese muss zwar täglich ihre Medikamente nehmen – "das muss ich mein Leben lang machen" –, aber es geht ihr gut.

"Ich erlebe meine Zeit hier auf der Erde jetzt ganz anders"

Allerdings muss sie nun den frühen Tod ihres zweiten Mannes verkraften. Und seit einem Herzstillstand im Oktober 2018 trägt sie an ihrem neuen Herzen einen Schrittmacher. Mehrmals im Jahr wird dessen Funktionstüchtigkeit in der Klinik ausgelesen und dabei wird auch überprüft, ob der Schrittmacher aktiv werden musste. "Bis jetzt hat mein Herz ihn nicht gebraucht", freut sich Brigitte Meister.

Vor ein paar Tagen hat die Rüdenhäuserin ihren Geburtstag gefeiert – ihren zehnten mit dem Spenderherzen und ihren 65. insgesamt. Sie sagt: "Ich erlebe meine Zeit hier auf der Erde jetzt ganz anders, viel intensiver. Ich sehe die Natur mit anderen Augen, ich freue mich mehr. Und ich bin dankbarer auch für Kleinigkeiten."

Es tut ihr sehr weh, wenn wieder ein Name von der Transplantationsliste gelöscht wird, ohne dass der Patient eine Chance auf ein zweites Leben hatte – weil weltweit viel zu wenige Spenderorgane zur Verfügung stehen. "Tag für Tag sterben Menschen, denen geholfen werden könnte – wenn sich ihre Mitmenschen zu Lebzeiten dafür entschieden hätten, einen Organspendeausweis auszufüllen." Manchmal fragt sich die 65-Jährige, ob es nicht sogar herzlos ist, seine Organe lieber mit ins Grab oder Feuer zu nehmen, statt damit Schwerkranken das Leben zu retten.

Meister engagiert sich für Organspenden

Natürlich versteht die Rüdenhäuserin, dass manche Menschen Angst haben. Die Organskandale vor gut zehn Jahren, bei denen Mediziner die Namen ihrer Patienten gegen alle Regel ganz vorne auf die Transplantationslisten bugsierten, haben schwerkranken Patienten einen Bärendienst erwiesen. Auch die Frage, ob Ärzte Organspender vielleicht leichtfertig sterben lassen, nur um Herz, Nieren oder anderes verpflanzen zu können, werde immer wieder gestellt.

Brigitte Meister nimmt diese Sorgen ernst, doch sie sagt auch klipp und klar: "Der Hirntod wird durch verschiedene Ärzte festgestellt, die keine Verbindung zum Organspender oder -empfänger haben dürfen. Da kann kein Schmu gemacht werden!"

Meister engagiert sich seit ihrer Herztransplantation beim Bundesverband der Organtransplantierten (BDO) e.V., der sich als Ansprechpartner für Patienten vor und nach Herz-, Leber-, Lungen-, Nieren-, Bauspeicheldrüsen- und Darm-Transplantationen versteht. "Ich freue mich, wenn ich Menschen beraten und ihnen helfen kann", sagt Brigitte Meister. "Ich habe jetzt schon zehn Jahre Leben geschenkt gekriegt und will die Zeit, die ich noch habe, gut nutzen – für Herzensangelegenheiten."

Organe spenden – wie geht das?

Organspende: Voraussetzung für eine Organspende ist die eindeutige Feststellung des Hirntodes. Der Hirntod des Organspenders muss gemäß Transplantationsgesetz von zwei dafür qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Sie dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein, noch der Weisung eines beteiligten Arztes unterstehen. Unter bestimmten Bedingungen ist auch eine Lebendspende (z.B. Niere) möglich.

Wartelisten: Viele Patienten auf Herz-, Leber- und Lungenwartelisten sterben, weil nicht rechtzeitig ein Organ zu Verfügung steht. Im Jahr 2021 haben 933 Organspender in Deutschland postmortal Leben gerettet. 776 Menschen haben vergeblich auf ein Organ gewartet haben und starben (Quelle: Eurotransplant).

Infos: Alle Infos zur Organspende sowie Spenderausweise zum Herunterladen gibt es hier: www.organspende-info.de. Am Samstag, 14. Mai, stellt sich die Regionalgruppe Würzburg des Bundes der Organtransplantierten e.V. von 10 bis 16 Uhr auf dem Würzburger Marktplatz an einem Infostand vor. Auch Brigitte Meister wird dort sein. Info: bdo-ev.de