Mauerscheißer und Meebrunzer

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Erst liegen sie in einem Kästle, dann im Magen: die Straßenwürste, die in Hof serviert werden.
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Mainbernheim mit seinem „alten Pflaster“ hat etwas Bäriges und zugleich „Stehpreußisches“ an sich.
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Die „Meebrunzer“ lassen's laufen: Allerdings auf weitaus angenehmere Art, als der Name vermuten lässt. Auf der Alten Mainbrücke genießen die Würzburger ihren Schoppen.
Foto: Denise Schiwon
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Keine Moneten ohne Manieren – dieses Credo haben die Volkacher „Damen“ früh verinnerlicht.
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Vornehm sitzt er da, der Fürst. Doch er sorgt für einen zweifelhaften Titel: Kissinger Rachozibrunzer.
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Eine Spur der „Zwiebeltreter“ im Bamberger Gärtnermuseum.
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Das „Arschgesicht“ am Forchheimer Rathauses erinnert an die Geschichte der „Mauerscheißer“.
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Waren die „Bayreuther Mohrenwäscher“ erfolgreich? Jedenfalls sorgte ihr Tun für einen schwarzen Titel.
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Keine Bratwurst bleibt übrig, wenn die „Nürnberger Kahlfresser“ einfallen.
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Jagdszenen im Dorfidyll: In Burgfarrnbach gibt es Bärentreiber.
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Eine der besten Weinlagen Frankens ist der Sommeracher Katzenkopf. Woher der Name kommt? Vielleicht von einer Ehefrau, die ihren trunksüchtigen Mann mit Hilfe einer ausgestopften Katze auf dem ...
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Die Dinkelsbühler Altstadt gehört zu den schönsten in Deutschland. Die „Blausieder“, deren Name auf ihre Art der Karpfenzubereitung zurückgeht, wissen halt, wie man gut lebt.
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Heftig-deftig geht es zu, wenn wir Franken unseren Nachbarorten neue Namen geben. Martin Droschke hat Seeräuber und Sackaufschneider besucht.

Iphöfer Kröpfer, Großlangheimer Kracken, Sommeracher Katzenköpf, Mainbernheimer Stehpreußen, Volkeracher Damen, Kleinlangheimer Sandhasen, Segnitzer Broträusch: Allein im Kreis Kitzingen gibt es einige Ortsspitznamen. Autor Martin Droschke hat sich auf die Suche nach fränkischen Orts(schimpf)namen gemacht und ist 3000 Mal fündig geworden. Über die besten 72 Bezeichnungen hat er ein Buch geschrieben. Darin geht es ziemlich deftig zu.

Maulaffen und Mauerscheißer, Katzenfresser und Eselshenker – gab?s schon Ärger, weil Franken sich verunglimpft sehen?

Martin Droschke: Ja. Aber weniger als erwartet und nicht wegen der Namen an sich. Ich hatte gedacht, dass sich vor allem Heimatforscher beschweren, weil ich in ihrem Gebiet wildere. Das ist bisher völlig ausgeblieben. Beschwerden kamen aus Hof. Eine Buchhandlung dort weigert sich, das Buch zu verkaufen.

Hof und andere Orte, Wunsiedel etwa, kommen aber auch wirklich nicht gut weg. Mussten Sie so schonungslos sein?

Ich wollte der verlogenen Hochglanz-Sprache des Tourismusmarketings einfach mal was Ehrliches entgegensetzen. In Hof war es einfach extrem grausam – abweisende Menschen, überhaupt kein Angebot für Gäste. Zwar läuft kulturell einiges, aber wer einen schönen Ausflugstag erleben will, sollte Hof weiträumig umschiffen. Und Wunsiedel noch weiträumiger.

Sie haben sich inkognito in allen Orten selbst umgeschaut – und nicht etwa im Internet recherchiert?

Genau. Ich war in allen Orten selbst und habe sie mir intensiv angeguckt. Von einigen war ich äußerst positiv überrascht: von Mainbernheim mit seinem historischen Flair beispielsweise und auch von Miltenberg, von Pappenheim ganz im Süden Frankens und von Volkach an der Mainschleife. Sehr schöne Eindrücke habe ich auch auf der Alten Mainbrücke in Würzburg gesammelt: Beim Schöppeln über dem Main mischen sich Touristen mit Einheimischen, alle trinken fröhlich und entspannt ihren Wein – eine tolle Atmosphäre.

Trotzdem: „Vorsicht, böse!“, steht auf dem Buchtitel und ist bei Ihren Beschreibungen Programm. Ist der Franke böse?

Naja, die Franken müssen sich etwas Schlagkräftiges in die Hinterhand legen. Sie reden ja nicht so gern und tragen deshalb auch ihre Konflikte nur äußerst ungern offen aus. Der Franke grumpfelt lieber unter Seinesgleichen vor sich hin, kreiert für den Nachbarort einen bösen Schimpfnamen – und den haut er ihm dann unvermittelt über den Schädel. Dann bekommt er einen Konter verpasst. Und weiß: Alles ist gut.

Und wie recherchiert man Schimpfnamen?

Die Uni Würzburg hat für Unterfranken Ortsschimpfnamen gesammelt, allerdings meist ohne Erklärungen. An der Uni Erlangen gab es bereits in den 60er Jahren ein Forschungsprojekt für ganz Franken, das aber nie abgeschlossen wurde. Diese Sammlung war mein Hafen; von dem aus habe ich vor allem in Stadt- und Gemeindearchiven angefragt; das waren tolle Quellen!

Hatte der Verlag keine Angst, dass Sie – um es auf gut Fränkisch zu sagen – die Schnauze zu weit aufreißen?

Nein, es ist eher umgekehrt: Die Menschen haben die Schnauze voll von Credos wie „Wir sind immer alle nett zueinander“. Der Verlag hat mir den Rücken gestärkt. Wer die Selbstironie nicht aufbringt und sich beleidigt fühlt, ist halt beleidigt. Sich gegenseitig anzufrotzeln ist doch was Wunderbares. Allemal besser, als wenn sich Wut aufstaut und irgendwann Bahn bricht – etwa in Hass-Kampagnen auf Facebook.

Welche Ortsschimpf-Geschichte hat Sie am meisten Nerven gekostet?

Die Recherche war generell ein Riesenaufwand. Nach dem Wühlen in den Archiven wurde klar: „Brockenfresser“ zum Beispiel gibt es vielerorts. Der Schimpfname taucht immer dann auf, wenn evangelische und katholische Gegenden aufeinandertreffen. Er wurde stets von den Katholiken geprägt, die sich nicht vorstellen konnten, wie das Brotbrechen beim Abendmahl der Evangelischen funktioniert.

So einfach ist die Erklärung?

Ja, so einfach ist sie oft. Es gibt Schimpfnamen, die immer wieder vorkommen, beispielsweise Wörter mit den Endungen -henker, -fresser und -scheißer. Manche sind auf abgekupferte Schildbürgerstreiche zurückzuführen, andere auf tatsächlich Geschehenes. Viele Ortsschimpfnamen basieren auf lokalen Sagen: Die Stadt oder das Dorf wird von Schweden belagert, die Bevölkerung ausgehungert, da fällt jemandem eine List ein, so dass die Schweden denken, die Bewohner hätten noch jede Menge zum Essen – und deshalb die Belagerung aufgeben. Es gibt solche Geschichte fast überall, wo der Dreißigjährige Krieg herrschte.

Wie alt sind die Ortsschimpfnamen?

Die ältesten Geschichten stammen aus der Lutherzeit. Aber erst im 19. Jahrhundert nahm die Schimpfnamengebung so richtig Fahrt auf. Zum Großteil kamen die Bezeichnungen gar nicht aus dem Volk heraus, sondern sind gelangweilten Dorfgelehrten – Pfarrern und Lehrern – zu verdanken. Sie eiferten Märchensammlern wie Grimm nach und hielten sich bei ihrer Suche nach den tollsten Sagen gern auch im Wirtshaus auf. Für ein Freibier hat wohl so mancher eine Sage von Dorf X auf Dorf Y übertragen – oder der Schreiber hat selbst Fantasie walten lassen.

… und Geschichten einfach erfunden?

Ja, das gab es auch. Man weiß zum Beispiel, dass sich ein Pfarrer die Kreuzköpf-Geschichte von Bürgstadt bei Miltenberg ausgedacht hat. Er schreibt, die Katholiken aus Bürgstadt hätten einen Besuch Luthers vehement zu verhindern gewusst und ihn mit Friedhofskreuzen zurück nach Miltenberg getrieben. Wir wissen aber, dass Luther nie dort war.

Sie sind ein gebürtiger Schwabe. Interessant, dass ausgerechnet so ein Spätzle-fresser die Franken beurteilt!

Ich bin seit 25 Jahren in Franken und nur noch Rest-Schwabe. Vielleicht kann ich Franken deswegen aus einem etwas distanzierteren Blick sehen. Euch Franken fällt ja gar nicht auf, dass ihr die Ortsschimpfnamen-Kultur so rege aufrecht erhaltet!

Sind wir da der einzige Volksstamm?

Ortsschimpfnamen gab es früher in ganz Deutschland. Inzwischen ist der Brauch meist ausgestorben. Nur in Franken ist die Kultur noch richtig lebendig. Da ist Franken einfach mal wieder dankbar rückständig und opfert nicht alles den neuesten Moden.

Wer kennt Ortsspitz- und -schimpfnamen aus der Region und weiß sogar, woher sie kommen? Wir freuen uns über Infos: d.fuchs@infranken.de.

Autor und Buch

Martin Droschke: Geboren 1972 in Augsburg, lebt Droschke mittlerweile seit fast 20 Jahren in Coburg. Als freier Journalist und Literaturkritiker fungiert er ebenso wie als Autor.

Buch: „Von Hundefressern und Zwiebeltretern – Wie die Franken ihre Nachbarn nennen und warum“, Emons-Verlag 2019, 224 Seiten, ISBN 978-3-7408-0564-3, zirka 15 Euro.