Ein Dorf steht zusammen

3 Min
Celina „singt“ eine Sprachnachricht - am Ende entsteht daraus ein gemeinsames Lied verschiedener Kinder für die Rufanlage.
Foto: Carina Gringel
Auch der kleine Kalle hat mitgemacht und ruft jetzt regelmäßig ganz laut „Spielen ist nicht abgesagt!“ durch Sickershausen.
Foto: Julia Göbel
Die Rufanlage in Sickershausen gewinnt in Zeiten von Corona wieder an Bedeutung. Gerade die älteren Bürger sollen durch die Durchsagen merken, dass das Dorf auch in der Krise zusammenhält.
Foto: Nele Grötsch

Die Sickershäuser verknüpfen moderne und alte Technik – und locken alle Einwohner zweimal wöchentlich zum Lauschen der Ortsrufanlage vor die Haustüre.

Das Dorfleben, wie man es in Sickershausen kennt, gibt es gerade nicht. Keine Kaffeekränzchen auf dem Spielplatz, keine Schwatzrunden beim gemeinsamen Gassi gehen. Der Fußballplatz, der sonst jeden zweiten Sonntag zum Treffpunkt für Jung und Alt wird, ist genauso verlassen wie das örtliche Gasthaus, das seine Türen vorübergehend geschlossen hat. Der Preisschafkopf ist abgesagt, die geplante Jungweinprobe auf Eis gelegt – das Vereinsleben liegt still. Corona hat das Dorf im Griff.

„Wir sollten zeigen, dass Sickershausen trotzdem zusammenhält.“ Auf diesen Gedanken kam Tanja Backhaus beim Telefonieren mit ihrer Freundin Alex Köhler. Ein Gläschen Wein und zwei Nächte später war die Idee gereift. Weitere Sickershäuser wurden per „WhatsApp“ und Telefon ins Boot geholt und schnell die Ortsrufanlage ins Gespräch gebracht.

Sickershausen ist eine von wenigen Gemeinden, die eine solche Anlage besitzt. Im ganzen Ort verteilt befinden sich Lautsprecher, befestigt an hohen Masten oder Häusern. Im Jahr 1966 wurde die Anlage errichtet – zur Verbreitung von lokalen Neuigkeiten und amtlichen Verkündigungen. Das waren Zeiten, in denen noch keiner ans Internet dachte.

Mit der besseren Verfügbarkeit von Rundfunk, Fernsehen und Tageszeitungen in vielen Haushalten nahm die Bedeutung von Ortsrufanlagen so weit ab, dass in den meisten Gemeinden der Betrieb wieder eingestellt wurde. Nicht aber in Sickershausen!

Hier verkündet nach wie vor jeden Donnerstag, um 18 Uhr, laute Marschmusik, dass jetzt die wichtigsten Nachrichten aus dem Dorf verlesen werden. Gerade die älteren Bürger versammeln sich dann vor ihren Hoftoren und am Straßenrand. Der Sickershäuser Gerd Pfau – oder seine Frau Elke – sitzt unterdessen schon in einem kleinen „Tonstudio“ im Sickershäuser Rathaus und greift zum Mikrofon. Die Durchsagen werden nämlich nicht aufgezeichnet, sondern immer live verlesen.

Mit der Verkündung von Vereinsnachrichten sieht es in Zeiten von Corona jedoch mau aus. Da kam die Idee der Sickershäuser Bürgerinitiative also wie gerufen. Wie üblich jeden Donnerstag – plus zusätzlich am Montag – wird jetzt aktuell eine 15-minütige Sickershäuser „Sondersendung“ ausgestrahlt. Die Beiträge sind bunt gemischt. Zu Beginn erklingt ein Lied von Bernice Ehrlich, deren Corona-Version des Songs „Halleluja“ auf Facebook millionenfach angeschaut wurde. Nach persönlicher Anfrage war sie gerne bereit, die Sickershäuser Aktion zu unterstützen.

Für die kommenden Durchsagen soll dieses Lied durch ein selbst gesungenes von Sickershäuser Kindern ersetzt werden. „Ein fröhlicheres Lied, das Hoffnung macht“, sagt Carina Gringel, die die Idee dazu hatte. Ihre Tochter Celina und einige Freundinnen haben sich dafür bereit erklärt und ihr heimisches Wohnzimmer ebenfalls zum Tonstudio umfunktioniert.

Kinder sind es auch, die einen weiteren Beitrag liefern. In einem kurzen Gedicht zählen 15 verschiedene Mädchen und Buben auf, dass in Zeiten von Corona zwar vieles verboten ist – aber längst nicht alles! Sonne, Frühling, Hoffnung, Liebe, Musik, Lachen, Spielen… all das ist nicht abgesagt.

Auch Weinprinzessin Ina Borawski war gleich dabei und dichtete auf die Schnelle einen Trinkspruch für die Corona-Zeit – schließlich schmeckt der Sickershäuser Wein auch beim Fernschöppeln über den Gartenzaun.

Ein weiterer Beitrag ruft die Menschen am Straßenrand zum gemeinsamen Applaudieren auf – für die vielen Menschen, die unsere Gesellschaft aktuell am Laufen halten. Auch Hilfe wird angeboten – unter Tel. 09321/3946220 können sich Sickershäuser melden, die zum Beispiel Unterstützung beim Einkaufen benötigen.

Alex Köhler, die dem Sickershäuser Kirchenvorstand angehört, rundet die Durchsage mit einem Segensspruch und einem Gebet ab. Zum Abschluss soll das Frankenlied die Sickershäuser beschwingt zurück in ihre Häuser schicken.

Wegen der aktuellen Kontaktsperre war das Zusammenbringen der einzelnen Beiträge eine gewisse Herausforderung – die sich in modernen Zeiten jedoch meistern ließ. Die Fäden liefen am Ende alle bei der Autorin dieses Artikels, Nina Grötsch, zusammen. Bei ihr trudelten weit über 20 Sprachnachrichten auf dem Handy ein. Die Kinderclips wurden sortiert, die Tonspuren der einzelnen Gesänge übereinandergelegt und am Ende ist aus all diesen Beiträgen eine CD entstanden. Die wanderte weiter in den Briefkasten von Gerd Pfau, der gleich kommentierte: „Tolle Idee, wir sind dabei.“ Er war es auch, der die Idee hatte, das Ganze in Kürze auch noch als Video im Internet zur Verfügung zu stellen.

Bis dahin lohnt es sich für alle Sickershäuser, jeden Donnerstag und jeden Montag um 18 Uhr die Fenster zu öffnen, in den Garten oder auf die Straße zu gehen und Tanja Backhaus? erstem Gedanken zu folgen: „Wir wollen erreichen, dass wir alle zusammenrücken – auch wenn wir Abstand halten müssen.“