Nicht nur für Janina und Julian, sondern auch für über 20 andere Kinder, Jugendliche und Erwachsene wird Ursula Ixmeier immer die "Mutti" bleiben.
Ob es hier ein "Erich Kästner Kinderdorf" gibt? Die Nachbarin schüttelt den Kopf. Nicht dass sie wüsste. Doch dann strahlen ihre Augen plötzlich: "Ach, Sie meinen bestimmt die Ixmeiers! Die wohnen gleich um die Ecke, Mönchsondheimer Straße 17a."
Ursula Ixmeier lacht herzlich, wenn sie solche Berichte hört. "Es ist gut, dass wir hier keinen Stempel aufgedrückt kriegen. Unsere Kinder sind im Sportverein, in der Feuerwehr, im Burschenverein. Wir gehören einfach dazu. So soll es sein."
Ursel und ihr Mann Paul sind ein besonderes Paar. Als sie vor 25 Jahren in Markt Einersheim ein Haus bauten, bekam dieses stattliche Maße: Sie wollten nicht nur Raum für sich und ihre eigenen Töchter schaffen, sondern auch anderen Kindern Wärme und Geborgenheit, Struktur und Halt geben. Sie schufen ein Zuhause für Kinder, deren frühere Erlebnisse man niemandem wünscht und die es zu verarbeiten gilt.
Schon als Ursel selbst noch klein war, hatte sie am liebsten viele andere Kinder um sich: "Damals wollte ich unbedingt Kindergärtnerin werden!" Viele Jahre später kam alles ein kleines bisschen anders: Während sie die Fachakademie für Sozialpädagogik in Schweinfurt absolvierte, bekam Ursel einen Praktikumsplatz im Mainbernheimer Erich Kästner Kinderheim. "Tja - und da fing alles an", erzählt die 53-Jährige lachend.
Sechs Pflegekindern ersetzt die Markt Einersheimerin tagtäglich die Mutter. Die ersten Kinder, die sie und ihr Mann aufnahmen, haben inzwischen selbst Familien gegründet. "Wir haben schon sechs Kinderdorf-Enkel", freut sich Ursel Ixmeier. "Die Entwicklung mitzuerleben, ist etwas ganz Tolles." Bei manchen habe es jahrelang gedauert, bis sie ihre Traumata überwunden hatten.
"Aber aus allen ist etwas geworden, alle haben einen gescheiten Beruf erlernt." Es gebe immer eine Chance: "Oft trippeln wir mit ganz kleinen Schritten vorwärts. Aber es geht voran."
Oma gibt Gitarrenunterricht Ursel Ixmeier leitet keine Institution, sondern eine Großfamilie in einem ganz normalen Haus, das sich weder außen noch innen von anderen Wohnhäusern unterscheidet. Außer vielleicht dadurch, dass es ein besonders schönes Domizil ist, gebaut mit viel Holz, lichtdurchflutet und gemütlich, mit einem großen Kachelofen in der Mitte - und vielen Kinderzimmern drumherum.
Wie in anderen Familien auch, bringt sich jeder in die Gemeinschaft ein: Die Kleineren zupfen schon mal Unkraut, die Jugendlichen mähen den Rasen, Paul schneidet die Bäume zurück, Ursel putzt die Fenster.
"Die Oma" - Ursels Mutter - , die nebenan wohnt und Musikpädagogin ist, unterrichtet jedes Kind an einem Instrument: Flöte, Gitarre oder Klavier. Und seit es ihr gesundheitlich nicht mehr so gut geht, helfen ihr die Kinder - "auch die, die schon aus dem Haus sind" -, wo sie nur können. "Es ist ein Geben und ein Nehmen, wie überall."
Kräftezehrende Szenen Natürlich herrscht nicht immer friedlicher Familienalltag. Bürokratische Neuerungen, Einmischung von außen, neu aufgenommene Kinder, die alles durcheinander wirbeln - manchmal ist das Leben der Ixmeiers sehr kräfteraubend. Ursel, die viele Kinder einfach "Mutti" nennen, sinniert: "Natürlich habe ich mir manchmal die Frage gestellt: Hättest du nicht einen 'gescheiten Beruf' lernen können? Aber dann schaue ich mich um und weiß: Nein! Denn dann wäre mir so viel versagt geblieben."
Was zum
Beispiel? Ursel überlegt nicht lang: "Offene Zuneigung nach Jahren des Zweifelns, Freudentränen über einen qualifizierenden Hauptschulabschluss, Jubel über einen Lehrvertrag, Großfamilien-Urlaube am Meer, Hochzeiten..."
Da stürmen die neunjährige Janina und der gleichaltrige Julian ins Esszimmer. "Robbi", wie er sich selbst nennt, gehört seit vier Jahren zur Familie, Janina seit diesem Sommer. "Für Dich!" Aufgeregt halten die beiden Ursel selbst gemalte Bilder hin. Julians zeigt ein rotes Herz mit einem lachenden Gesicht.
Ursel freut sich sichtlich. Von Janina, der kleinen Künstlerin, hat sie schon viele Gemälde bekommen. Aber "Robbi" zeichnet nicht so oft, er ist eher der Techniker. "Sein Ziel ist es, einmal eine Magnetschwebebahn von Markt Einersheim nach Nürnberg zu bauen", verrät die "Mutti" lächelnd.
Julians Augen strahlen, er nickt eifrig.
Wenig später düsen Janina und Julian hinaus ins Freie, zum Spielen. Ursula Ixmeier schaut ihnen durchs Fenster zu. Leise sagt sie: "Ich möchte keines meiner Kinder jemals missen."
Info:
Sechs Pflegekindern ersetzen die Ixmeiers täglich die Eltern. Als ihre eigenen Töchter Katja, Anne und Eva noch klein waren, erzogen Ursel und Paul also insgesamt neun Kinder. Heute sind die Töchter erwachsen, aber nach wie vor bevölkern sechs Pflegekinder die Mönchsondheimer Straße 17a in Markt Einersheim.
Zwischen eineindreiviertel und 13 Jahren waren die Kinder alt, als sie nach Markt Einers heim kamen. Insgesamt haben die Ixmeiers schon 21 Pflegekinder großgezogen.
Frühstücksfreude mal zwei: Am Sonntag, 11. November, lädt die KITZINGER von 9 bis 12 Uhr zum kostenlosen Frühstück ein. Wer sich auf einer Titelseite abbilden lassen oder hausgebackenes Martinsgebäck erstehen möchte, tut dies zugunsten des Kinderdorfes.