Vor zwei Jahren sagte der Arzt, sie solle sich von ihm verabschieden. Heute, am Schutzengeltag, umarmt Caroline Mayer-Nuss ihren Mann Alexander gemeinsam mit Tochter Fiona. "Er hatte 1000 Schutzengel."
Hell strahlende Wesen mit weißen Flügeln? Alexander Nuss schüttelt den Kopf. Seine "Schutzengel" sahen anders aus. Sie trugen blutrote und weiße Kittel und waren, zum Glück, nicht zimperlich: Sanitäter brachten den Familienvater aus Sickershausen auf schnellstem Weg in die Uni-Klinik, Notärzte holten ihn nach vollständigem Organversagen ins Leben zurück. Und waren sofort zur Stelle, als er auf der Intensivstation wenige Tage später auch noch einen Schlaganfall erlitt.
Alexander Nuss aus Sickershausen hat schon immer gerne Sport getrieben, Fußball und Laufen. "Ich bin fast täglich durch die Weinberge bei Sickershausen gejoggt", erzählt er. "Als es passierte, war ich körperlich in einem absoluten Top-Zustand."
Es - damit meint der 44-Jährige seinen Kollaps beim Sickershäuser Weinbergslauf 2010. Plötzlich ging der Sportler in die Knie. Warum? Nuss weiß es bis heute nicht genau. Er sei vielleicht dehydriert gewesen, zudem leicht erkältet, eventuell kam auch eine erbliche Vorbelastung dazu, mutmaßt er.
Nach Zusammenbruch und komplettem Organausfall "haben sie mich in der Uni-Klinik zweimal reanimiert", berichtet Nuss. Seine Frau Caroline und Tochter Fiona haben Alexanders Kampf ums Überleben zum Teil durch die Scheibe der Intensivstation miterlebt.
"Fiona und ich sind automatisch erst einmal in die Kitzinger Klinik gefahren, nachdem Freunde uns über den Unfall informiert hatten", berichtet Caroline Mayer-Nuss.
Dort hat sie erfahren, dass man ihren Mann direkt nach Würzburg bringen musste, "denn es war Exitus".
Die Kinderpflegerin, die in der St. Martin-Schule arbeitet, wundert sich heute selbst darüber, wie sie es nach dieser Nachricht in die Würzburger Notaufnahme geschafft hat. "Dort durften uns die Schwestern nichts sagen. Wir haben zwei Stunden nicht gewusst, ob er lebt oder nicht."
Dann kam der Arzt, führte Mutter und Tochter auf die Intensivstation und erklärte ihnen, was Sache war und ist. Alexander Nuss lag, angeschlossen an zahlreiche Schläuche, im Koma. "Der Arzt war sehr einfühlsam, hat uns aber auch nicht angelogen, sondern zu verstehen gegeben, dass wir uns von ihm verabschieden sollten."
"Der Himmel soll warten" Caroline Mayer-Nuss erinnert sich an Zwiegespräche mit Gott. "Ich habe viel gebetet in diesen Stunden und Tagen." Das und die Tatsache, dass die Familie, die Nachbarn, Freunde und Fußballer kamen und helfen wollten, "hat uns das alles ertragen lassen".
Fiona und ihre Mutter speicherten Sidos Song "Der Himmel soll warten" auf dem Handy und spielten es dem Koma-Patienten vor. Nach drei Tagen in der Klinik schien sich Alexanders Zustand zu stabilisieren. Er erinnert sich: "Als ich wieder zu mir gekommen bin, habe ich mich gefühlt wie nach einem langen Schlaf. Ich habe das Schlimmste tatsächlich verschlafen." Doch "das Schlimmste" ist immer relativ.
Mitten in der Nacht erlitt der Wiedererwachte einen Schlaganfall.
Alexander Nuss überlebte auch diesen. Anfangs konnte er kaum sprechen, geschweige denn aufstehen. Innerhalb von 14 Tagen verlor er 20 Kilo Gewicht, vorwiegend Muskelmasse. "Ich habe gelallt, das war echt schlimm für mich. Man versteht sich nicht mal selbst."
Doch Aufgeben kam nicht in Frage. Seine Mädels gaben sich kämpferisch - "Zusammen schaffen wir das!" - und der damals 42-Jährige mühte sich redlich. "Auf Reha wurde alles von Tag zu Tag besser."
"Es war ein Arschtritt Gottes" Heute - zwei Jahre, viel Fleiß und Training später - hat Nuss noch leichte Schwierigkeiten mit der Koordination und kleine Sprachprobleme. Seinen Beruf im Gusswerk, wo er CNC-Maschinen einstellte, hatte er bereits während der Insolvenz des Unternehmens aufgeben und zum Berufskraftfahrer umschulen müssen. Zwei Tage vor der praktischen Prüfung fiel er beim Weinbergslauf um. Derzeit schult er erneut um: Im Landratsamt lässt er sich zum Kaufmann für Tourismus und Freizeit ausbilden.
Das verbittert ihn nicht. "Im Großen und Ganzen kann ich leben wie vorher. Und jetzt auch wieder arbeiten", sagt er - und ist dafür sehr dankbar. Wem? Alexander Nuss gibt sich pragmatisch. "Zum Teil war es bestimmt meine gute körperliche Verfassung.
Außerdem haben alle - Sanitäter, Ärzte - immer genau richtig reagiert." An Gott, eine höhere Macht, glaube er schon, sagt er dann. Aber eine Verbindung zu seiner "wunderbaren Heilung" sieht er eher skeptisch. "Mein größtes Glück ist, dass der Vorfall an diesem Tag passiert ist - wäre ich allein gewesen, hätte man mich wohl zu spät gefunden."
Caroline Mayer-Nuss lächelt. Sie ist sicher: "Er hatte 1000 Schutzengel." Eine höhere Macht habe "das alles geleitet". Für die 14-jährige Fiona ist ebenfalls klar: "Es war Papas Einstellung und Gottes Hilfe."
"Man könnte auch sagen: Es war ein Arschtritt Gottes", fügt Caroline hinzu, ihre Familie fest im Blick. Inwiefern? Was hat sich geändert? "Wir leben bewusster", ist die Kinderpflegerin sicher. "Papa ist nicht mehr so leichtsinnig wie früher", sagt Fiona. Und Alexander selbst? "Ich glaube nicht, dass ich mich wahnsinnig verändert habe." Aber einen Satz seiner Frau bestätigt er dann doch: "Wenn was schön ist, schließe ich es jetzt noch fester in mein Herz."