Fingerzeig beim Ortstermin: Birgit Heckelmann stellt in Richtung OB Müller sowie Jürgen und Sandra Malguth klar, dass Schildkröten das geringste Problem der Anlieger an der Weinbergsteige sind.
Eins ist am Dienstagabend wohl jedem klar geworden: Es geht längst nicht nur um Tiere. Es geht um Menschen, die sich "tierisch unfair" behandelt fühlen - und sich deshalb bei einem Ortstermin gegen den Neubau eines Schildkröten-Tierheims an der Weinbergsteige hinter dem Hoheimer Friedhof wehrten.
Der Finanzausschuss stellte sich wenig später im Rathaus auf die Seite der Anlieger, indem er den Antrag der Familie Malguth ablehnte. Die Malguths wollten auf eigene Kosten ein Bebauungsplanverfahren für den betreffenden Außenbereich einleiten, nachdem ihr Bauvorhaben anderweitig bereits im Rat gescheitert war.
Offenbar hat das Problem seine Wurzeln schon tief in der Vergangenheit. Am Dienstagnachmittag hatte zunächst eine Handvoll Stadträte Sandra Malguths Einladung angenommen und sich von der Leiterin der Schildkröten-Auffangstation das aus allen Nähten platzende "Tierheim" in der Ortsmitte (Fröhstockheimer Straße) zeigen lassen. Danach ging es an die Weinbergsteige. Dort wollten die Malguths auf einem rund 4000 Quadratmetern großen Areal ein modernes Tierheim errichten, in dem sie alle Schildkrötenarten aufnehmen können. Zahlreiche Anlieger warteten bereits am Grundstück. Auf Plakaten war zu lesen, was sie hergeführt hatte. Sie sind empört über die Baupläne, weil sie eine "Ungleichbehandlung der Bürger" befürchten beziehungsweise mehr Verkehr und eine Zersiedelung.
Ihre wohl größte Angst: Das Schildkrötenheim könnte der Anfang weiterer Bebauung sein - mit allen Folgen für die Bürger nebenan.
"In 100 Jahren kein Bauland" "Wir sagen nicht einfach, wir wollen den Bau nicht, sondern haben fundierte Gründe", stellte Birgit Heckelmann klar. Ihre Eltern haben das betreffende Grundstück im Außenbereich vor rund zehn Jahren nur deshalb verkauft, weil sie von Seiten der Stadt die Aussage bekommen hatten, "dass das Areal in 100 Jahren kein Bauland wird". Zu einem entsprechend niedrigen Preis veräußerten sie die große Wiese.
"Die ehemaligen Grundstücksbesitzer fühlen sich an der Nase herumgeführt, wenn das Wort der Stadt jetzt nicht mehr gilt", analysierte Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW). Ihm überreichte Sandra Malguth eine Liste mit rund 2000 Unterschriften, die für den Neubau werben. Die Anlieger winkten ab: "Wir haben zwar keine 2000 Unterschriften aus dem Bundesgebiet, dafür leben und wohnen wir hier."
Müller versuchte, die Anwesenden milder zu stimmen: "Wenn die Erschließung auf eigene Kosten der Malguths erfolgt, werden die Anlieger nicht belastet. Projekt und Planungsrecht - das muss man einfach mal trennen!"
Das gelang jedoch nicht so recht.
Rudolf Schardt, Alt-OB aus Hoheim, stellte fest: "Ein Schildkrötenheim kann man auch im Innenbereich verwirklichen." Im Namen mehrerer Anwohner befand Jürgen Minte, dass die Malguths "ohne Rücksicht auf frühere Ablehnungen ihr Bauvorhaben durchboxen möchten".
Oberbürgermeister Müller atmete tief durch: "Die Vergangenheit schwingt immer mit", brachte er die Stimmung auf den Punkt. Stadtrat Manfred Freitag (FW-FBW) stellte fest: "Der Ärger hat sich lange angestaut."
Lob für fachliche Arbeit Nach dem Ortstermin musste der Finanzausschuss - als vorberatendes Gremium für die Stadtratssitzung am 18. Oktober - darüber entscheiden, ob er dem Antrag der Malguths folgt und ein Bebauungsplanverfahren in die Wege leiten lässt. Nach längerer Diskussion bekam Stationsleiterin Sandra Malguth für ihre fachliche Arbeit mit den geschützten Schildkröten zwar allenthalben Lob, doch in den Stellungnahmen der Fraktionen wurde bereits deutlich, dass das Gremium kein grünes Licht geben würde.
Als letzte Gruppensprecherin war Andrea Schmidt (ödp) an der Reihe. Sie versuchte, vielleicht doch noch einen Kompromiss zu finden, und beantragte, das Thema ruhen zu lassen, bis man noch einmal mit den Malguths gesprochen hat: "Wenn sie auf die Betriebswohnung an der Weinbergssteige verzichten würden, könnte man dem Tierheimbau guten Gewissens zustimmen." Doch alle anderen Räte lehnten Schmidts Antrag ab. OB Müller formulierte es so: "Vielleicht fände sich später auch ohne Betriebswohnung keine Mehrheit für den Bau. Dann wären den Malguths unnötige Kosten entstanden."
Einstimmig lehnte der Finanzausschuss den Malguth-Antrag daraufhin ab. Jürgen und Sandra Malguth, die in der Sitzung kein Rederecht hatten, verließen den Saal mit versteinerten Mienen.