Im Frühjahr wird Schweinfurt-Haßberge Pilotregion des neuen Bereitschaftsdienst-Modells der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern. Vor allem Menschen aus dem Raum Ebern fühlen sich damit schlecht behandelt - im wörtlichen Sinne.
Wenn sein Wartezimmer leer ist, schaltet Peter Jung zur Zeit noch nicht in den Feierabend-Modus. Dann hält der Gynäkologe zum Beispiel Vorträge, wie kürzlich vor der Frauenunion in Ebern. Sein Anliegen: Die Bürger im Kreis Haßberge davon überzeugen, dass zwei zentrale Bereitschaftspraxen für den Raum Schweinfurt-Haßberge - ungefähr 3240 Quadratkilometer und über 200.000 Einwohner - keine Ideallösung sind.
Zerreißprobe für den Landkreis?
Das ist die Meinung des CSU-Kreisrats aus Zeil, der mit seiner Botschaft "durch die Lande reist", wie er selbst sagt, und vor allem aus dem Bereich Ebern Zuspruch erfährt. Auf dem FT-Internetportal meldete sich zum Beispiel "Epino - Eberner Patienten in Not". Das Grüppchen, wie sie sich selbst betiteln, ist nicht alleine. So schreibt "Sententia" auf ebern.infranken.de: "Nach dem unrühmlichen Gezerre um die Wiedereinführung der Altkennzeichen EBN (Ebern) und HOH (Hofheim) steht der Landkreis Haßberge wieder vor großen Spannungen. Mit Haßfurt wurde ausgerechnet der dezentralste Ort im Landkreis als Standort für die Bereitschaftspraxis ausgewählt, den man sich vorstellen kann."
Das sieht Landrat Wilhelm Schneider (CSU) anders: Da zwei Standorte im Landkreis nicht infrage kommen würden - schon allein der Vorschlag wäre laut Schneider "kontraproduktiv gewesen"- "ist der Standort Haßfurt aus Sicht der Kreisbevölkerung der zentrale Standort". So die offizielle Stellungnahme aus dem Landratsamt.
Bisher wird der Bereitschaftsdienst von den niedergelassenen Ärzten im Bereich Haßfurt sowie Ebern/Hofheim selbst organisiert. Das soll sich im Frühjahr nächsten Jahres ändern, wenn es nach der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) geht. Noch bis Februar liegen Peter Jung die Dienstpläne der Bereitschaftsdienste aus seinem Bereich vor.
Dann übernimmt die KVB, spätestens ab April 2016 dann offiziell: Die KVB testet in der Region Schweinfurt-Haßberge ein Modell, mit dem sie den Bereitschaftsdienst einerseits auf den Bevölkerungsrückgang vorbereiten, andererseits die niedergelassenen Ärzte entlasten möchte, so die Erklärung der KVB. Ein Beispiel: Jung und seine Kollegen haben im südlichen Landkreis Haßberge bisher im Schnitt einmal monatlich Bereitschaftsdienst geleistet. Mit einer zentralen BD-Praxis sollen es noch ungefähr sieben, acht Diensttage pro Jahr sein, kalkuliert die KVB.
Mit der Einrichtung von Pilotregionen werden zentrale Bereitschaftspraxen geschaffen, die für Patienten nach den gewöhnlichen Sprechzeiten in einer Entfernung von circa 30 Kilometern und circa 30 Minuten Fahrtzeit erreicht werden können. Für den Kreis Haßberge wird es eine Praxis am Standort Haßfurt bei der Haßberge Klinik werden.
Mehr Notarzteinsätze?
Jung sieht das neue Modell als einen "Großangriff auf die niedergelassenen Haus- und Fachärzte in Deutschland", einer wohnortnahen medizinischen Versorgung würde dies nicht mehr entsprechen. Abgesehen davon, dass Jung mit einem solchen zentralen Modell die freiberufliche Initiative von Ärzten gefährdet sieht, sagt er: "Es richtet sich immer gegen die Patienten. Das ist die Sauerei."
Unterstützer des Modells, Mediziner, die das anders sehen, gibt es auch. Das sind zum Beispiel Roland Leitgeb aus Haßfurt, Diethelm Schorscher aus Pfarrweisach oder Thomas Bolibruch aus Ebern. Mit anderen Kollegen haben sie vor eineinhalb Wochen den Verein "Bereitschaftspraxis Haßberge" gegründet. Der Verein soll nach einem Zeitungsbericht als Träger der zentralen Praxis in Haßfurt fungieren und laut Jung unter anderem auch die Diensteinteilung vornehmen. Für eine aktuelle Nachfrage war der Vorsitzende gestern leider nicht zu erreichen, ein anderer Kollege, ebenfalls Vorstandsmitglied, wollte sich keinen Medienfragen stellen.
Jung befürchtet, dass nur Mitglieder des Vereins Dienst vor Ort machen können, und die Ärzte, die sich dagegen wehren, zum Fahrdienst verdonnert werden. "Wir sind keine radikale Minderheit", sagt Jung und erklärt, dass er bei "wir" von ungefähr 40 Ärzten im Kreis, die so denken wie er, spricht.
Jung kämpft gegen die Zentralisierung. Er glaubt nicht, dass mit dem neuen Modell Geld gespart werden kann: "Ich möchte wetten, die Notarzt-Einsätze nehmen zu." Nach seiner Vorrechnung kann eine Klinikambulanz ohne BD-Praxis für einen Patienten bis zu das Vierfache für eine Notfallbehandlung abrechnen.
Sorge bei Patienten und Ärzten
Auch der Leser "Hablohablo" befürchtet, dass das neue Konzept zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung im Raum Ebern führt: "Damit auch künftig die Nähe zum Patienten im Vordergrund stehen kann, lohnt es sich, für eine zweite Bereitschaftspraxis am Krankenhaus in Ebern zu kämpfen." Wie dieser Nutzer fordert auch Epino die Lokalpolitik auf, eine Petition gegen das Vorhaben zu starten.
Gabriele Rögner, CSU Ortsverband Ebern, feilt noch an der Formulierung der Petition, wie sie gestern mitteilte. Diese will sie über den Stadtrat und den Kreis bis an die KVB vorbringen. Wenn es nötig sei, werde eine Unterschriftenliste - wie damals bei der Kennzeichen-Debatte - gestartet. Sie stellt klar: "Die Petition ist nicht gegen den Kreis oder den Landrat gerichtet. Vielmehr soll es ein Signal sein: Wir als Bevölkerung wollen das nicht einfach hinnehmen."
Wären wir vor über 40 Jahren nicht zu diesem Kreis gekommen, wären wir jetzt auch nicht in einer "Pilotregion Schweinfurt-Haßberge".
Die flächendeckende ärztliche Versorgung abends und an den Wochenenden muss auch im Eberner Raum gewährleistet bleiben. Mit der Eröffnung der Bereitschaftspraxis in Haßfurt ist das nicht mehr gewährleistet!
Merken denn Kreisräte und Bürgermeister nicht, dass der Ärger über die Neuorganisation, die zu Lasten betroffener Patienten geht, wächst?
Die unvertretbar langen Anfahrtswege betreffen nicht nur die mobilen Patienten, sondern auch die mit einem Hausbesuch befassten Ärzte.
Bei der Neuorganisation wurde überhaupt nicht darauf eingegangen, dass es keine direkte Verbindung im Öffentlichen Personennahverkehr gibt. Auch die demographische Entwicklung wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Die Zahl der älteren und pflegebedürftigen Menschen, auch in den Alten- und Pflegeheimen, hat hier enorm zugenommen.
Ich vermisse ein unmissverständliches Bekenntnis der Volksvertreter zum Erhalt der flächendeckenden bereitschaftsärztlichen Versorgungsstruktur im Landkreis. Dazu müssen seitens des Landkreises unverzüglich Verhandlungen mit der kassenärztlichen Vereinigung aufgenommen werden.
Wenn die Politiker (hier ist der Kreistag angesprochen, aber auch die Bürgermeister) im Landkreis von der Bevölkerung Solidarität mit politischen Entscheidungen erwarten, so müssen sich umgekehrt auch die Politiker solidarisch zu ihrer Bevölkerung verhalten. Aber wie es aussieht, sind derzeit fast alle abgetaucht. Nicht einmal einen Grund dafür erfährt man. Man ist fassungslos!
Und was heißt überhaupt „Pilot-Projekt“? Bereitschaftspraxen gibt es andernorts auch schon. Soll in diesem Pilot-Projekt die Schmerzgrenze der Bevölkerung getestet werden? Dann sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass mit diesem „Pilot-Projekt“ eine Schmerzgrenze überschritten wird!
Mich macht es richtig ärgerlich, dass der Eberner Bürgermeister Hennemann kein Wort dazu sagt. Für andere Gruppen wie Asylbewerber setzt er sich doch auch ein. Kann er nicht mal was sagen, dass Ebern eine Bereitschaftspraxis bekommen soll???
Aus dem Artikel: "Bisher wird der Bereitschaftsdienst von den niedergelassenen Ärzten im Bereich Haßfurt sowie Ebern/Hofheim selbst organisiert." Das erweckt den Anschein, es würde bis jetzt nur zwei Dienstbereiche für den ärztlichen Bereitschaftsdienst geben.
Tatsache ist, es gibt aber drei ärztliche Bereitschaftsdienstbereiche: Ebern, Hofheim und Haßfurt.
Das darf nicht mit der Planungsregion für Hausärzte verwechselt werden, hier gibt es zwei Planungsregionen: Haßfurt und Ebern-Hofheim.
Nicht nur diejenigen, die zum Kränkeln neigen, müssten sich in Zukunft gut überlegen, ob sie noch auf dem Land wohnen bleiben. Außer der Stadt Haßfurt schauen künftig der Teilkreis Ebern in die Röhre und der Norden und Osten des Hofheimer Landes. Selbst der Steigerwald musste Einschnitte in der Arztversorgung schon hinnehmen, als der Dienstbereich Knetzgau - Steigerwald - Eltmann von Haßfurt einverleibt worden ist.
Gerade Kommunalpolitiker, die sich sonst umtriebig zeigen, schweigen noch. Jetzt wird es Zeit, dass sich Bürgermeister, Ärzte, Patienten, Bürger und der Landrat wehren. Es mag Gründe für die Zusammenlegung der Wochenend-Dienstbereiche geben, aber es sind keine Gründe aus Sicht der Patienten, und um die geht es beim ärztlichen Bereitschaftsdienst.
Ein Arzt muss auch nachts und am Wochenende erreichbar sein. Das gehört zum Berufsbild dazu, auch wenn vielleicht einige Ärzte und die Kassenärztliche Vereinigung heute eine abgewandelte Auffassung vertreten möchten. Vielleicht war aber auch einfach älteren Ärzten das Bewusstsein zur Nacht- und Wochenendbereitschaft tiefer verwurzelt als einem jüngeren Arzt. Wie dem auch sei, eine zentrale Bereitschaftspraxis in Haßfurt verschanzt sich hinter den Barrieren der Nicht-Erreichbarkeit. Da diskutiert man über Barrierefreiheit von Bürgersteigen, macht es aber älteren Patienten so gut wie unmöglich, am Wochenende oder nachts die Bereitschaftspraxis in Haßfurt überhaupt zu erreichen. ...