Im 2017 neu eröffneten Adipositaszentrum werden Patienten behandelt, die ihr Übergewicht nachweislich zu mindestens 80 Prozent nicht selbst verschuldet haben. Bei Bauer ist dies sogar zu 90 Prozent der Fall. Die Ärzte durchforsten ihre Krankenakten und stellen eine Fehlfunktion der Schilddrüse sowie genetisch bedingte Adipositas fest. "Selbst wenn ich hungern würde, wäre ich wahrscheinlich übergewichtig", resümiert die 48-Jährige.
Unendliche Scham
Musste Bauer zuvor ins Krankenhaus, rückten die Sanitäter immer gemeinsam mit der Feuerwehr an. Auch diesmal wurde die Haßfurterin mit einem Schwertransporter gefahren, in der Uniklinik brauchte sie ein extra angefordertes Spezialbett. Der 48-Jährigen war dieser Aufwand unsäglich peinlich: "Ich kann gar nicht sagen, wie schlimm das ist, wenn alles auf einen schaut. Ich wollte noch nie im Mittelpunkt stehen."
An vier Stellen führten die Chirurgen Sonden in ihren Magen ein. Bauer hebt ihr Oberteil und zeigt auf die hellroten Punkte auf ihrem Bauch. Das abgetrennte Stück sei in einem überraschend guten Zustand gewesen, nicht ausgedehnt und gesund cremefarbig. Ein Anblick, auf den sie gerne verzichtet hätte, erzählt Bauer und lacht. "Ein Jahr später ist dann der Rest rausgekommen. Jetzt ist gar kein Magen mehr drin." Eine Scheibe Knäckebrot mit Putenschinken, ein kleiner Joghurt oder eine halbe Mandarine - mehr braucht sie jetzt nicht mehr, um sich pappsatt zu fühlen.
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Es sind die kleinen alltäglichen Dinge, mit denen sich Bauer wieder ein selbstständiges Leben erkämpft: Wäsche machen, die Post aus dem Briefkasten holen oder alleine duschen. Einen Rückfall zu erleiden und wieder an Gewicht zuzunehmen, davor habe sie keine Angst. "Das würde ich nie mehr zulassen", sagt die 48-Jährige voll Überzeugung. "Du schnaufst nur von einem Tag in den anderen. Wenn irgendwo Geburtstage oder Feste waren, war ich nie dabei. Das war kein Leben. Jetzt fühlt sich alles besser an."
Das nächste Ziel
Aktuell zeigt die Waage 128 Kilo an. Auf 80 will Bauer noch runter. "Aber 30 schneiden wir ja noch an den Beinen weg, also sind wir schon fast im grünen Bereich." Der extreme Gewichtsverlust hat große Hautlappen hinterlassen, die in einer weiteren Operation entfernt werden sollen. "Das kommt alles weg", sagt Bauer und zeigt auf ihre Oberarme. "So kann man ja nicht rumlaufen." Am 14. Januar muss sie erneut nach Erlangen, dann wird auch ein Operationstermin festgelegt. "Ich bin schon ein Leben lang dick, da kommt es jetzt auf ein paar Monate nicht an", meint sie. "Ich bin der Typ, der immer sagt: Alles wird gut. Und meistens habe ich Recht."
7 Pfund Butter hat Sonja Bauer früher in einem Monat verbraucht, dazu Bratenfett und drei Flaschen Öl.
10 Kilo muss die Haßfurterin noch abnehmen, bevor ihre überschüssige Haut bei einer Operation entfernt wird.
Was ist Adipositas?
Nimmt Übergewicht ein krankhaftes Ausmaß an, sprechen Mediziner von Adipositas (Fettleibigkeit oder Fettsucht). Dies trifft ab einem BMI (Body-Mass-Index) von 35 oder höher zu. Die Betroffenen sind dabei sowohl körperlich als auch sozial und psychisch stark durch die Krankheit beeinträchtigt. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden in Deutschland aktuell 23 Prozent aller Frauen und 20 Prozent der Männer an Adipositas.