Sonja Bauer aus Franken leidet an Fettsucht - eine Operation rettet ihr Leben

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Heute kann sie wieder lächeln: Sonja Bauer aus Haßfurt leidet an Adipositas, hat aber mittlerweile fast 100 Kilo abgenommen. Foto: Teresa Hirschberg
Heute kann sie wieder lächeln: Sonja Bauer aus Haßfurt leidet an Adipositas, hat aber mittlerweile fast 100 Kilo abgenommen. Foto: Teresa Hirschberg
Sonja Bauer im August 1982 mit ihrem jüngeren Bruder: "Mit elf ist man normalerweise nicht so stabil." Foto: privat
Sonja Bauer im August 1982 mit ihrem jüngeren Bruder: "Mit elf ist man normalerweise nicht so stabil." Foto: privat
 

Hätte sie keine Hilfe angenommen, wäre sie heute tot. Da sind sich Sonja Bauers Ärzte sicher. Die 48-jährige Haßfurterin leidet seit ihrer Kindheit an starkem Übergewicht. Bis eine Operation alles veränderte.

Wenn Sonja Bauer sich auf alten Klassenfotos sucht, hält sie immer Ausschau nach dem rundesten Gesicht. Meist irgendwo in der hinteren Reihe. "Fürchterlich", kommentiert sie, als sie sich schließlich entdeckt, und blättert zur nächsten Seite. Sonja mit kneifendem Hosenbund, Sonja beim Naschen vor dem Kühlschrank. Essen hatte für die 48-Jährige schon immer einen besonderen Stellenwert. Bis es sie fast umgebracht hätte.

224 Kilogramm wog Bauer zu ihrer schwersten Zeit. 96 davon sind schon runter, doch ganz am Ziel ist die Haßfurterin noch nicht. Seit ihrer Magenverkleinerung im Erlangener Universitätsklinikum geht es abwärts - aber nur auf der Waage. Bauer befreit sich von einer Last, die sie schon seit Kindheitstagen mit sich herumschleppt. "Ich bin vier Wochen zu spät auf die Welt gekommen und habe fast elf Pfund gewogen", erzählt die 48-Jährige. "Aber man bleibt ja nicht von alleine dick, das muss irgendwie gefördert werden."

Als Kinder "gemästet" worden - mit zehn Jahren an Diabetes erkrankt

Bauers Großeltern hatten zwei Weltkriege, Hunger und Not miterlebt. Ein Gefühl, vor dem sie ihre Enkelin bewahren wollten. "Meine Oma hat gesagt, Kinder müssen dick sein. Natürlich sind wir nicht von diesem Gewicht ausgegangen." Zehn Tafeln Schokolade und dazu Butterhörnchen, das stand regelmäßig auf der Einkaufsliste ihres Opas, wenn Bauer mit ihren drei Geschwistern zu Besuch kam. Sie erkrankt an Diabetes, da ist sie gerade mal zehn Jahre alt. "Wir sind als Kinder richtig gemästet worden", erinnert sich Bauer. "Ich habe mir immer gedacht: Wenn ich älter bin und das selber kontrolliere, mache ich alles anders. Pustekuchen!"

Liebeskummer, Langeweile, Einsamkeit: Auch als Bauer zuhause auszieht und für sich selbst sorgt, gelingt das Abnehmen nicht. Als ihr älterer Bruder Elmar schwer krank wird, kündigt die gelernte Altenpflegerin ihren Job, um sich um ihn zu kümmern. Unterdessen steigt ihr Gewicht immer weiter an. Traut sich Bauer für Einkäufe mal vor die Haustür, muss sie mit Beschimpfungen und verächtlichen Blicken rechnen. "Ich bin angeschaut worden, als hätte ich drei Köpfe", erzählt sie. "Also am besten daheim bleiben und Tür zu!"

Kein selbstständiges Leben

Alleine einkaufen, putzen oder duschen wird für Bauer irgendwann unmöglich. Lange Zeit aufrecht stehen kann sie nicht mehr. Selbst um in ihr Bett zu kommen, ist sie nun auf fremde Hilfe angewiesen. "Ich saß nur noch im Bett, hinlegen konnte ich mich gar nicht", beschreibt Bauer. Bei Kleidergröße 62 kapituliert auch ihr kleiner Bruder, der bis dahin ihre Einkäufe erledigt hatte. "Er hat gesagt: Wenn du noch ein Gramm zunimmst, müssen wir dich in einen Sack stecken. Denn ich weiß nicht mehr, wo ich für dich was zum Anziehen finden soll." Bauers Hausärztin entscheidet schließlich, dass es so nicht weitergehen kann und wendet sich ans Uniklinikum Erlangen.

Im 2017 neu eröffneten Adipositaszentrum werden Patienten behandelt, die ihr Übergewicht nachweislich zu mindestens 80 Prozent nicht selbst verschuldet haben. Bei Bauer ist dies sogar zu 90 Prozent der Fall. Die Ärzte durchforsten ihre Krankenakten und stellen eine Fehlfunktion der Schilddrüse sowie genetisch bedingte Adipositas fest. "Selbst wenn ich hungern würde, wäre ich wahrscheinlich übergewichtig", resümiert die 48-Jährige.

Unendliche Scham

Musste Bauer zuvor ins Krankenhaus, rückten die Sanitäter immer gemeinsam mit der Feuerwehr an. Auch diesmal wurde die Haßfurterin mit einem Schwertransporter gefahren, in der Uniklinik brauchte sie ein extra angefordertes Spezialbett. Der 48-Jährigen war dieser Aufwand unsäglich peinlich: "Ich kann gar nicht sagen, wie schlimm das ist, wenn alles auf einen schaut. Ich wollte noch nie im Mittelpunkt stehen."

An vier Stellen führten die Chirurgen Sonden in ihren Magen ein. Bauer hebt ihr Oberteil und zeigt auf die hellroten Punkte auf ihrem Bauch. Das abgetrennte Stück sei in einem überraschend guten Zustand gewesen, nicht ausgedehnt und gesund cremefarbig. Ein Anblick, auf den sie gerne verzichtet hätte, erzählt Bauer und lacht. "Ein Jahr später ist dann der Rest rausgekommen. Jetzt ist gar kein Magen mehr drin." Eine Scheibe Knäckebrot mit Putenschinken, ein kleiner Joghurt oder eine halbe Mandarine - mehr braucht sie jetzt nicht mehr, um sich pappsatt zu fühlen.

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Es sind die kleinen alltäglichen Dinge, mit denen sich Bauer wieder ein selbstständiges Leben erkämpft: Wäsche machen, die Post aus dem Briefkasten holen oder alleine duschen. Einen Rückfall zu erleiden und wieder an Gewicht zuzunehmen, davor habe sie keine Angst. "Das würde ich nie mehr zulassen", sagt die 48-Jährige voll Überzeugung. "Du schnaufst nur von einem Tag in den anderen. Wenn irgendwo Geburtstage oder Feste waren, war ich nie dabei. Das war kein Leben. Jetzt fühlt sich alles besser an."

Das nächste Ziel

Aktuell zeigt die Waage 128 Kilo an. Auf 80 will Bauer noch runter. "Aber 30 schneiden wir ja noch an den Beinen weg, also sind wir schon fast im grünen Bereich." Der extreme Gewichtsverlust hat große Hautlappen hinterlassen, die in einer weiteren Operation entfernt werden sollen. "Das kommt alles weg", sagt Bauer und zeigt auf ihre Oberarme. "So kann man ja nicht rumlaufen." Am 14. Januar muss sie erneut nach Erlangen, dann wird auch ein Operationstermin festgelegt. "Ich bin schon ein Leben lang dick, da kommt es jetzt auf ein paar Monate nicht an", meint sie. "Ich bin der Typ, der immer sagt: Alles wird gut. Und meistens habe ich Recht."

7 Pfund Butter hat Sonja Bauer früher in einem Monat verbraucht, dazu Bratenfett und drei Flaschen Öl.

10 Kilo muss die Haßfurterin noch abnehmen, bevor ihre überschüssige Haut bei einer Operation entfernt wird.

Was ist Adipositas?

Nimmt Übergewicht ein krankhaftes Ausmaß an, sprechen Mediziner von Adipositas (Fettleibigkeit oder Fettsucht). Dies trifft ab einem BMI (Body-Mass-Index) von 35 oder höher zu. Die Betroffenen sind dabei sowohl körperlich als auch sozial und psychisch stark durch die Krankheit beeinträchtigt. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden in Deutschland aktuell 23 Prozent aller Frauen und 20 Prozent der Männer an Adipositas.