Glaubt man Günter Lipp, dann ist der Turnverein in Ebern nicht 150, sondern erst 142 Jahre alt. Der Kreisheimatpfleger hat in der Vereinsgeschichte einen holperigen Start entdeckt und geht davon aus, dass der Verein erst 1872 gegründet wurde. Gibt es also im Jahr 2022 nochmals eine 150-Jahr-Feier?
Einen Jubilar stellt man sich strahlend vor. Auch dann oder erst recht, wenn er bereits 150 Jahre auf dem Buckel hat. Der TV Ebern ist so ein strahlender Veteran, hoch betagt, aber trotzdem längst noch nicht alt. Wie viel frischer Wind durch den mehr als 1400 Mitglieder zählenden Verein weht, hat er gerade zur Feier seines Jubiläums bewiesen.
"Ein Verein ist ein Personenzug", konstatierte Günter Lipp als Festredner bei der Festveranstaltung in der städtischen Turnhalle am Samstagabend; "Er ist von seiner Gründung, seinem Start an immer in Bewegung."
Der Kreisheimatpfleger hatte sich tief in die Vereinsgeschichte eingearbeitet und zeichnete ein lebendiges Bild der schwierigen, aber auch turbulenten ersten 50 Jahre. Und er wäre nicht Günter Lipp, wenn er dem TV nicht etwas Neues aus seiner eigenen Geschichte berichtet hätte. Im Grunde machte er den Verein um acht Jahre jünger als bisher gedacht.
"Ein Stück Patriotismus" Der "Vereinszug" sei nämlich nicht schon 1863 sondern erst 1872 richtig ind "Fahrt gekommen". Die Gründung habe in einer Zeit gelegen, in der Vereinsgründungen "in" waren, so auch in Ebern, doch die meisten dieser Neugründungen, so der "konstitutionell-Monarchistische Verein", die "Casino-Gesellschaft", der Stenographenverein oder der Verschönerungsverein sind längst wieder von der Bildfläche verschwunden. Andere, wie der Bürgerverein, die Feuerwehr,d er Gesangverein oder der Kreislehrerverband, der heuer ebenfalls 150 wird, haben sich bis heute gehalten. "Die Vereinsgründungen," so sagte Lipp, "waren auch ein Stück Patriotismus" und Ziel der Bewegung sei ein "einiges, freies deutsches Vaterland" gewesen. Ein Trend bürgerlichen Aufbegehrens , den die Obrigkeit nicht grade unterstützte, was das unter König Max II entstandene Bayerische Vereinsgesetz von 1850 unterstreicht. Auch Turner hatten's nicht einfach, stellte Lipp heraus. Das "Frisch, fromm und fröhlich" im Leitspruch der Anhäger des Turnvaters Jahn habe die Obrigkeit nicht gestört, "das frei aber schon."
Impuls kam aus Coburg Lipp brachte in seinem Vortrag die Gründung des Eberner Vereins mit dem ersten deutschen Turn- und Jugendfest in Zusammenhang, das 1860 in Coburg stattfand. Ein Wilhelm Richter hatte 1863 einen Aufruf zur Gründung des Vereins gestartet und diesen als "Bittsteller" an die Stadt weitergeleitet. Dem Aufruf waren damals 52 aktive und passive Mitglieder gefolgt. Dieser Gründungsaufruf ist verschollen, wusste Lipp zu berichtet. So gilt ein Notizbuch, in dem die Namen dieser "23 Turnfreunde und 30 wirkliche Turner" aufgelistet stehen, heute als so etwas wie das Gründungsdokument des Vereins."
Doch der Kreisheimatpfleger aus Frickendorf hat herausgefunden, dass die offizielle Stellungnahme der Stadt, die zur Vereinsgründung erforderlich gewesen wäre, nie zustande kam. Eine Antwort der Stadt war 1868 unter "nicht registrierten Akten tief vergraben" aufgetaucht und darin hieß es, der Bürgermeister sei abwesend und Richter solle sein Gesuch nochmals vorbringen.
Der Kreisheimatpfleger weiter: "Wenn der Verein damals, 1863, tatsächlich gegründet worden ist, muss er sofort wieder eingeschlafen sein," denn politische Wirrnisse und der deutsch-französische Krieg 1870/71 hätten die Bevölkerung mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Ein klassischer Fehlstart also, oder wie Lipp es nannte; ein "Rumpelstart".
Selbstbewusst gemeldet Lipp war auf ein zweites Schreiben gestoßen, in dem der Eberner Franz Michael Bandorf 1872 dem Magistrat der Stadt Ebern offiziell die Gründung eines Turnvereins in Ebern meldet. Ganz anders als das "Bittgesuch acht Jahre zuvor war diese Bekanntgabe selbstbewusst formuliert. Lipp sieht darin den "entscheidenden Ruck vorwärts". Bandorf, seines Zeichens Bader und Turnlehrer an der Knabenschule, hatte dann auch das Amt des Vorsitzenden übernommen und wurde 1883 zum Ehrenmitglied des Turnvereins ernannt.
Lipp kam zu dem Schluss: "Der 17. September 1872, der Tag seiner Mitteilung an den Magistrat, ist meiner Erkundung nach also das eigentliche, das offizielle Gründungsdatum des Turnvereins Ebern!"
Er empfahl dem Vorsitzenden Karl-Heinz Krebs den 17. September 2022 schon mal im Terminkalender vorzumerken: "Es ist praktischerweise auch ein Samstag."
Hatte der Festredner seine Ansprache immer wieder mit Bonmots und launigen Anspielungen "gewürzt", so sorgten Vorführungen der TV-Turner und die Mädchen-Showtanzgruppe (Leitung Ullu Werner und Johanna Staudinger) sowie die Musik des Blasorchesters Ebern für hörens- und sehenswerte Auflockerung im Festprogramm. Unter die Gratulanten reihten sich Landrat Rudolf Handwerker und Bürgermeister Robert Herrmann (beide CSU) ein, auch Eberhard Wohl als Sprecher des Kulturrings und Bundestagsabgeordnete Dorothee Baer( CSU).
Das "Jahn-Schild" überreicht Für die umliegenden Gemeinden dankte Untermerzbachs Bürgermeister Helmut Dietz (SPD) dem TV dafür, dass er auch die Nachbarn von seinem reichhaltigen Sportangebot profitieren lassen.
Der Bayerische Fußballverband und der Landessportverband hatten natürlich ebenfalls wichtige Leute "aufgefahren", um zu gratulieren. Jörg Ammon, der Vizepräsident des Bayerischen Landessportverbands, Günther Bardutzky, der Ehrenamtsbeauftragte des Bayerischen Fußballverbands im Raum Oberfranken, Helmut Dinkel, der Kreisspielleiter aus dem Fußballkreis Coburg und Günter Dietz, der stellvertretende Bezirksvorsitzende des Bayerischen Turnverbandes im Bereich Schweinfurt-Haßberge brachten warme Worte und Urkunden mit. Zudem gab es das "Jahn-Schild" des deutschen Turnerbundes. Gerne nahm TV-Vorsitzender Karl-Heinz Krebs auch einige "flache Geschenke" in Empfang: Geldspritzen, die der TV besonders gut brauchen kann.