Ist das Alter ein Risikofaktor im Straßenverkehr?

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Günther Selig, Kreisvorsitzende des Autoclubs Europa (ACE), ist 72 und fährt regelmäßig Auto. "Mindestens 40 Jahre unfallfrei!", erzählt er. Foto: Katja Kölbl
Günther Selig, Kreisvorsitzende des Autoclubs Europa (ACE), ist 72 und fährt regelmäßig Auto. "Mindestens 40 Jahre unfallfrei!", erzählt er. Foto: Katja Kölbl

Ein Leben ohne Auto? Für die meisten Menschen im Landkreis Haßberge ist das undenkbar. Gerade für Ältere bedeutet ein fahrbarer Untersatz Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Doch mit dem Alter lassen auch die Fähigkeiten am Steuer nach. Wie sollen sich Senioren verhalten?

Mit seinen 72 Jahren sitzt Günther Selig regelmäßig hinter dem Lenkrad seines VW Sharan. Er holt die Enkelkinder ab, fährt zum Einkaufen und ein Mal pro Woche zur Gymnastikstunde. "Zehn Jahre ist das Auto alt und hat noch keinen Kratzer", erzählt der Zeiler. Er hat es im Griff und fährt sicher. Der Kreisvorsitzende des Autoclubs Europa (ACE) ist gegen ein generelles Fahrverbot für Senioren. Schon aus eigenem Interesse. "Jeder Mensch sollte selbst darüber bestimmen dürfen, ob er fit und gesund genug ist, um Auto zu fahren", sagt er.

Risikofaktor Alter

Aufgrund des demografischen Wandels werden in Zukunft immer mehr Autofahrer über 65 Jahren auf Deutschlands Straßen fahren. Laut Statistischem Bundesamt haben nach den Fahranfängern bis 24 Jahre die über 65-Jährigen das zweithöchste Risiko, auf der Straße zu sterben.
Sind ältere Pkw-Fahrer in Unfälle verwickelt, liegt laut Bilanz 2012 in zwei Dritteln der Fälle auch die Hauptschuld bei ihnen. Oft passieren ihnen Fehler bei der Vorfahrtsregelung.

Auch im Landkreis Haßberge steigt angeblich die Zahl der Unfälle, in die ältere Fahrer verwickelt sind. Allerdings "nur gefühlt", denn Peter Firsching, der Sprecher der Polizei in Haßfurt, liegen keine Zahlen dazu vor.
Einen Grund zur besonderen Besorgnis sieht der Polizeibeamte aber nicht. "Senioren sind auf unseren Straßen keine Risikogruppe wie die 20-Jährigen", sagt er. Der Polizeibeamte schätzt, dass weit unter zehn Prozent der etwa 1350 Verkehrsunfälle pro Jahr im Kreis Haßberge durch ältere Verkehrsteilnehmer verschuldet werden.

Doch wenn es kracht, dann ähneln sich die Gründe. Ältere Fahrer schätzen die Geschwindigkeit ihres und anderer Fahrzeuge oft falsch ein, verstoßen gegen Vorfahrtsregeln oder fahren über rote Ampeln. "Mit 65 plus nehmen die kognitiven Fähigkeiten einfach ab", sagt Peter Firsching. Das könnten die Fahrer zwar eine Zeit lang durch eine besonders vorsichtige Fahrweise ausgleichen. Aber das funktioniere nicht auf Dauer.

Dennoch warnt Firsching davor, ältere Fahrer unter Generalverdacht zu stellen. "Nicht jeder Senior, der einen Flüchtigkeitsfehler im Straßenverkehr macht, ist fahruntauglich", sagt er. Die Polizei in Haßfurt nehme das Problem ernst, wolle aber Vorverurteilungen vermeiden.

Für die Polizisten steht jedoch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer an erster Stelle. Darum melden sie der Verkehrsbehörde am Landratsamt Haßfurt, wenn sie bei der Aufnahme eines Unfalls den Eindruck haben, dass ein älterer Verkehrsteilnehmer kognitiv oder körperlich beeinträchtigt ist.

Diese "Fälle" wandern dann über den Schreibtisch von Mathias Ullrich. Der 46-Jährige leitet die Verkehrsbehörde, zu der auch die Führerscheinstelle gehört. "Wir laden die Betroffenen dann zu einem Gespräch ein, um uns von ihrer Persönlichkeit ein Bild zu machen", sagt Ullrich.

Keine exakten Zahlen

Informationen darüber, wie viele Menschen mit über 70 Jahren in den Haßbergen noch hinterm Steuer sitzen, gibt es nicht. Anhand des Haßfurter Führerscheinregisters lässt sich nur ablesen, dass zwischen 1941 und 1961 etwa 220.000 Führerscheine ausgestellt worden sind.

"Die Autofahrer wären jetzt zwischen 70 und 90 Jahre alt. Aber wir wissen nicht, wie viele von ihnen schon verstorben sind", erklärt Ullrich.
Hat die Behörde Zweifel an der Fahrtüchtigkeit, kann sie eine praktische Fahrprobe anordnen, die Verkehrspsychologen oder Führerscheinprüfer (bei Tüv oder Dekra) abnehmen. Eine solche "Probe" kostet etwa 170 Euro.

Erst mal zur Fahrschule

Ist das der Fall, landen die Senioren vielleicht bei Herbert Baus, einem der Führerscheinprüfer beim TÜV Schweinfurt. Die meisten Menschen, die bei ihm im Auto sitzen, haben Angst. Brauchen sie aber nicht, denn der 61-Jährige bringt gerade älteren Verkehrsteilnehmern viel Verständnis entgegen.
"Es ist doch eigentlich ganz logisch. Wir legen ein Mal im Leben die Führerscheinprüfung ab und bilden uns dann nie wieder fort. Wissen geht verloren, dazu kommen viele Änderungen in der Straßenverkehrsordnung. Es ist ein Glücksfall, wenn ältere Verkehrsteilnehmer noch wissen, wie sie sich verhalten sollen", erklärt Baus.

Sein Rat? "Gehen Sie zur Fahrschule!" Es sei doch nichts dabei, sein Wissen aufzufrischen. "Das rate ich jedem und die meisten sind von den Fahrstunden begeistert und bedanken sich danach bei mir", erzählt er. Ohne Fahrstunden hätten die älteren Prüflinge auch schlechte Karten, die Fahrverhaltensprobe zu bestehen.

Neben fehlendem Wissen schränken oft auch körperliche Gebrechen die Fahrtüchtigkeit ein. Darum kann Baus eine Brille, eine Lenkhilfe, einen Panorama-Innenspiegel oder andere technischen Helfer verordnen. "Beim zweiten Mal klappt die Prüfung", versichert Baus und es klingt wie ein Versprechen.

In Zeil lässt derweil Günther Selig sein Auto an - er will zur Gymnastikstunde. Selig will unbedingt mobil bleiben. Denn ohne Auto auf dem Land? Ein schrecklicher Gedanke.